Aus den Projekten: Neustart nach Bruchlandung
09.12.2022 I In der Luftfahrtindustrie verloren während der Pandemie viele Beschäftigte ihren Job. An vier Flughäfen in Südostasien sollen Gewerkschaften nun wieder gestärkt werden.
»Die größte Herausforderung beim Organisieren von Flughafenpersonal sind die prekären Arbeitsverhältnisse«, sagt Erin van der Maas. »Viele Beschäftigte sind nicht direkt bei den Firmen angestellt, für die sie arbeiten. Verträge sind oft befristet, Arbeitsgesetze werden nicht eingehalten, Firmen versuchen, gewerkschaftliches Organisieren durch Entlassungen zu verhindern.« Es herrsche ein »Klima der Angst«.
Van der Maas leitet das Programm Organisationsarbeit an Flughäfen der Internationalen Transportarbeiterföderation (ITF). In Südostasien liegt ein Schwerpunkt auf den Airports in Bangkok (Thailand), Jakarta (Indonesien), Manila (Philippinen) und Kuala Lumpur (Malaysia). Die Projekte in Bangkok und Jakarta laufen seit mehr als drei Jahren, die in Manila und Kuala Lumpur haben gerade begonnen und werden vom DGB Bildungswerk mit Mitteln des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) gefördert.
Mit dem Programm sollen die neoliberalen Umstrukturierungen in der Branche gekontert werden. Auslagerungen und Fragmentierungen begannen lange vor der Covid-19-Pandemie. Doch mit dieser für die Luftfahrt beispiellosen Krise wurden gewerkschaftliche Antworten umso dringlicher. Den pandemiebedingten Einbruch des Flugverkehrs nutzten Unternehmen zu weiteren Umstrukturierungen auf Kosten der Beschäftigten. 2020 und 2021 gingen die Passagierzahlen im globalen Luftverkehr laut der Internationalen Luftfahrtorganisation ICAO im Vergleich zu 2019 um 60 und 49 Prozent zurück. Die Luftfahrtindustrie verlor ein Drittel ihrer Jobs, schätzte ITF-Luftfahrtsekretär Gabriel Mocho Rodriguez in einem Interview.
Dabei waren Fluggesellschaften Hauptempfänger staatlicher Subventionen. Doch nur selten waren diese mit Auflagen zugunsten der Beschäftigen verbunden. Vielmehr griffen Regierungen, Airlines und Flughafenbetriebe mit Massenentlassungen Arbeitnehmerrechte und -vertretungen an. Die Strategie des »fire and rehire«, also das Aushebeln von Tarifverträgen durch Kündigungen und Neueinstellungen zu schlechteren Bedingungen, wurde gängige Praxis, so das Fazit einer Studie der Universität Greenwich.
Zum Beispiel Thailand: Kurz nach Beginn der Pandemie reduzierte die Regierung im Mai 2020 den staatlichen Anteil an der angeschlagenen nationalen Fluggesellschaft Thai Airways (Thai) von 51 auf 48 Prozent. Damit entfiel für die bisherige Gewerkschaft der Thai-Mitarbeitenden (mehr als 10.000 Mitglieder) die Rechtsgrundlage. Denn Thailands Gesetze verlangen getrennte Gewerkschaften für staatliche und private Betriebe. Einen ähnlichen Angriff gab es auf die Vertretung der Mitarbeitenden im Sicherheitsbereich der Flughäfen Bangkok und Phuket. Diese arbeiten für ein Subunternehmen des Betreibers AoT. Der wechselte in der Krise plötzlich das Subunternehmen. Die Beschäftigten verloren ihre Arbeit, und bekamen im neuen Unternehmen nur Jobs zu schlechteren Konditionen.
Im Rahmen des Organisationsprojektes gelang es laut van der Maas, eine schon existierende kleine Gewerkschaft als Keimzelle zu nutzen, um die Mitarbeitenden des neuen Subunternehmens zu organisieren. »Die wichtigste Lehre ist, über bestehende Gewerkschaften zu organisieren. Diese haben wichtige Informationen und Kontakte, können Hilfe leisten und Schutz bieten«, sagt van der Maas. »Doch müssen diese etablierten Gewerkschaften, die sich bisher nur für eine Berufsgruppe und eine Firma zuständig fühlen, überzeugt werden, sich nicht nur um ihre bisherigen Mitglieder zu kümmern.«
Auch hilft es, an einem Flughafen die Gewerkschaften unterschiedlicher Berufsgruppen miteinander zu vernetzen. In Bangkok funktioniert dies informell, in Jakarta gründeten sechs Gewerkschaften schon 2019 die Föderation FSPBI. Weitere wollen sich anschließen. Trotzdem war auch dort die Krise ein Rückschlag. »Vor der Pandemie hatten wir mehr als 10.000 Mitglieder, 2021 waren es nur noch 6.500«, sagt FSPBI-Generalsekretärin Jacqueline Tuwanakotta. Ein neues Arbeitsgesetz und die vielen befristeten Verträge erschweren laut Tuwanakotta die Organisierung: »Junge Beschäftigte wollen während der kurzen Laufzeit ihrer Verträge möglichst Geld verdienen. An Gewerkschaften sind sie nicht interessiert, weil sie sich ohnehin bald neue Jobs suchen müssen.«
In Manila, wo im Rahmen des ITF-Projektes zunächst zwei Organisatoren finanziert werden, soll ein Frauennetzwerk bald weibliche Beschäftigte unterschiedlicher Firmen vernetzen, hofft van der Maas. Doch ein großes Problem seien die gewerkschaftsfeindlichen Billigfluglinien: »Dort können wir nicht offen organisieren. Erst wenn in einer solchen Airline viele Beschäftigte mitmachen, können wir mit der Forderung nach einem Tarifvertrag herauskommen. Sonst gefährden wir den Lebensunterhalt vieler.«
Autor: Sven Hansen lebt als Journalist in Berlin und ist Experte für Asien.