Katars Haus der Arbeitenden
09.12.2022 I Die Bau- und Holzarbeiter-Internationale (BHI) hat durch strategisches und hartnäckiges Vorgehen die Arbeitsrechtslage im Wüstenstaat verbessert. Nun geht es um die Umsetzung.
»Ich bin zuversichtlich, dass es im Jahr 2023 ein Haus der Arbeitenden in Katar geben wird«, sagt Dietmar Schäfers. Der Vize-Präsident der Bau- und Holzarbeiter-Internationale (BHI) ist immer wieder in den Wüstenstaat gereist, in dem kurz vor Weihnachten die Fußball-WM ausgetragen wird. Anders als viele Medienleute in ihren Berichten betont Schäfers die Fortschritte, die in den vergangenen Jahren bei den Arbeitsrechten erzielt werden konnten.
»Schritt für Schritt« sei es vorangegangen, meint der Gewerkschafter. Das alles ändere natürlich nichts daran, dass Katar ein autoritäres Regime ist mit einem Emir als absolutem Monarchen an der Spitze. Auch die Gründung von Gewerkschaften ist noch in weiter Ferne. Doch anders als bei den Olympischen Spielen in China konnte das Sportgroßereignis genutzt werden, um politisch Einfluss zu nehmen. »Ich muss das nicht gut finden, was da passiert. Aber wenn man in so einem Land was verändern will, habe ich mich auf einen langen Prozess einzurichten. Das ist dann manchmal wie der Ritt auf der Rasierklinge«, bilanziert Schäfers seine Erfahrungen der vergangenen Jahre.
Im Dezember 2010 hatte der Weltfußballverband FIFA Katar den Zuschlag für die Fußballweltmeisterschaft 2022 erteilt.
Inside WM: Nach Protesten sind die Bedingungen auf den Baustellen für das Weltereignis einigermaßen anständig
ILO (CC BY-NC-ND 2.0)
Zusammen mit anderen Organisationen zeigte die BHI dem korrupten Verband die rote Karte und plädierte für einen Boykott der Spiele. Außerdem legte der Gewerkschafts-Verbund Beschwerde bei der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) ein, weil das Emirat gegen das Übereinkommen zur Zwangsarbeit verstieß. Wie in vielen arabischen Ländern existierte auch dort das sogenannte Kafala-System. Dabei gelten Arbeitgeber als »Sponsoren«, die die Pässe ausländischer Beschäftigter einkassieren und darüber bestimmen können, ob sie den Job wechseln oder das Land verlassen dürfen.
Das in Katar für die Organisation der Fußball-WM zuständige Komitee (SC) wollte die BHI-Delegation nicht empfangen. Doch Schäfers und einige Kolleg_innen flogen trotzdem nach Doha – und weil sie nun schon mal da waren, zeigte man ihnen einige Baustellen, an denen wenig auszusetzen war. Nachts erkundeten die internationalen Gewerkschafter_innen die Lage auf eigene Faust. Sie sahen Unterkünfte, in denen katastrophale Zustände herrschten: Die Männer aus Nepal, Bangladesch, Indien und Pakistan lebten in drückender Enge, es gab viel zu wenige Waschräume und Küchen, die Toiletten standen vor Dreck.
Etwa 2,5 Millionen Arbeitsmigrant_innen gibt es in Katar, 900.000 davon sind in der Bauindustrie beschäftigt. Sie errichten Glaspaläste, U-Bahntunnel und Sportstadien, entladen Schiffe, schuften in der Gasindustrie, beziehen Hotelbetten, waschen, putzen, servieren und verrichten all die vielen Tätigkeiten, die den etwa 300.000 Katarer_innen zu schwer oder zu lästig sind. Das Pro-Kopf-Einkommen der Einheimischen zählt zu den höchsten der Welt, Gesundheitswesen und soziale Sicherungssysteme gelten als vorbildlich.
"Ich muss das nicht gut finden, was da passiert.
Aber wenn man in so einem Land was verändern will,
habe ich mich auf einen langen Prozess einzurichten."
Dietmar Schäfers
Die Gewerkschafter_innen analysierten die Positionen der verschiedenen Beteiligten. Sponsoren wie Coca-Cola und Adidas wollen nicht, dass die Fans bei der WM an geschundene Bauarbeitende erinnert werden und haben Einfluss auf die FIFA. Der Emir möchte international als fortschrittlich wahrgenommen werden und will auch nach der WM noch weitere internationale Sportevents ausrichten. Solche Interessen versuchte die BHI systematisch zu nutzen mit dem Ziel, Verbesserungen für alle Wanderarbeiter_innen zu erreichen.
Der einfachste Zugang war zunächst die Fokussierung auf die 40.000 Bauarbeiter auf den Stadion-Baustellen. Tatsächlich gelang es, dort internationale Kontrollen zur Arbeitssicherheit zu etablieren und Abkühlräume einzurichten. Gewählte Vertreter_innen der Arbeitnehmenden können per Handy oder persönlich kontaktiert werden. Auch die Unterkünfte und die Essensversorgung sind anständig, wie Betriebsräte aus europäischen Baufirmen nach Vor-Ort-Besuchen bestätigten. »Am Ende aber war die Zusammenarbeit mit dem SC äußerst erfolgreich. Zumindest auf den WM-Baustellen war der Standard beim Arbeits- und Gesundheitsschutz vorbildlich«, so Schäfers.
Auch die FIFA sah sich 2016 gezwungen, ein Reformprogramm zu verabschieden und Menschenrechte in ihre Statuten aufzunehmen. Seit 2018 gibt es ein ILO-Büro in Katar. Das Land hat das Kafala-System offiziell abgeschafft. Ein Mindestlohn wurde eingeführt, und es existiert ein Fonds, der die Löhne von Pleite gegangenen Firmen übernimmt. Woran es allerdings hapert, ist die Umsetzung. Die staatlichen Kontrollen sind äußerst schwach, die Widerstände vieler Unternehmen stark.
Ohne Zweifel hat der Menschenrechtsanwalt Barun Ghimire aus Nepal deshalb Recht, wenn er den WM-Pokal als »blutbefleckt« bezeichnet. Allein aus seinem Land sind 2.000 junge Arbeitskräfte unter ungeklärten Umständen in Katar gestorben – die meisten wahrscheinlich an Hitzschlag, denn in der Wüste am Persischen Golf steigen die Temperaturen im Sommer oft auf 45 Grad.
»Wir sind ein sehr armes Land, viele Leute sind gezwungen, im Ausland Geld zu verdienen«, sagt Shanta Basneet von der nepalesischen Gewerkschaft CUPPEC, die Maler_innen, Installateur_innen und Elektriker_innen organisiert. Etwa ein Drittel von Nepals Bruttoinlandsprodukt beruht auf der Rücküberweisung von Löhnen aus dem Ausland. Stirbt ein_e Arbeitsmigrant_in, gibt es fast nie eine Obduktion und damit auch keine Entschädigung für die Hinterbliebenen. Sie verlieren nicht nur geliebte Menschen, sondern die Hauptverdiener_innen der Familie. Oft sind sie jetzt auch noch verschuldet, weil Agenturen in Nepal und Bangladesch einige tausend Euro Vermittlungsgebühren verlangen – obwohl Katar diese Praxis vor ein paar Jahren verboten hat.
Juristische Grundlagen für Verbesserungen sind geschaffen – ihre Wirkung ist bisher jedoch äußerst begrenzt. Um das zu ändern, setzt die BHI nun vor allem auf die Selbstorganisation der Migrant_innen. In Absprache mit dem Arbeitsministerium in Katar organisierte sie Versammlungen für Beschäftigte aus unterschiedlichen Branchen, die die gleiche Sprache sprechen und informierte sie dort über die offizielle Rechtslage. Ziel ist es, ein offenes Haus der Wanderarbeiter_innen zu etablieren, wo sie sich austauschen und gegenseitig informieren können. Schäfers ist optimistisch, dass es bald so weit ist. Auf jeden Fall wird die BHI auch nach der WM in Katar präsent bleiben.
Autorin: Annette Jensen lebt als Journalistin in Berlin und beschäftigt sich viel mit Gewerkschaftsarbeit und Menschenrechten.