Antidiskriminierung: Macht es wie Berlin

Kommentar von Karamba Diaby (SPD, MdB aus Halle)
Es sind schreckliche Bilder, die uns aus den USA erreicht haben. George Floyd wird von mehreren Polizisten zu Boden gedrückt und ein weißer Polizist rammt ihm das Knie in den Hals, bis er stirbt. George Floyd flehte nach Atem. Doch sein Flehen blieb ungehört. Das Land ist jetzt seit Wochen in Aufruhr. Die überwiegende Mehrheit der Protestierenden ist friedlich. Die Solidarität zieht sich durch die ganze Gesellschaft – auch durch Polizei und Militär. Klar ist: Die Ursache für die Wut der Menschen ist die seit Jahrzehnten anhaltende systemische Ausgrenzung von schwarzen Menschen in den USA. Hinzukommt ein Präsident, der kein Mitgefühl zeigt, sondern – ganz im Gegenteil – weiter provoziert mit dem Ziel, das Land zu spalten und die Präsidentschaftswahl für sich zu entscheiden.
Machen wir uns aber nichts vor: Rassismus gibt es auch in Deutschland. Rassismus ist für mich ein gesellschaftliches Machtverhältnis, das Menschen in „Wir“ und „die Anderen“ aufteilt. Das Ziel: Abwertung und Ausgrenzung. Die NSU-Morde und die rechtsextremistischen Morde in Halle und Hanau zeigen, dass wir ein Problem haben. Auch die Arbeit der Sicherheitsbehörden ist nicht immer einwandfrei – auch wegen des Mangels an interkultureller Kompetenz in der Ausbildung. So gibt es immer noch Fälle von Racial Profiling: Menschen werden aufgrund ihres Aussehens durch die Polizei kontrolliert. Wir müssen dieses Vorgehen beenden. Klar ist: Aus dem Grundgesetz erfolgt die staatliche Verpflichtung, keine rassistischen Personenkontrollen vorzunehmen. Und doch geschieht das in Deutschland.
Rassismus gibt es fast in allen Teilen der Gesellschaft – in der Verwaltung, in den Schulen und auch in der Polizei. Die überwiegende Mehrheit der Menschen distanziert sich von Rassismus und steht ein für eine offene und solidarische Gesellschaft. Wenn wir unbedingt über Generalverdacht sprechen wollen, wäre es mir in erster Linie wichtig, dass wir Protestierende nicht unter Generalverdacht stellen – aber natürlich auch nicht die Polizei.
In Artikel 3 GG heißt es: „Niemand darf wegen … seiner Rasse, … benachteiligt oder bevorzugt werden.“ Ich bin für die Streichung dieses Begriffs. Nur rassistische Theorien gehen davon aus, dass es unterschiedliche „Rassen“ gibt. Das Land Sachsen-Anhalt hat den Begriff vor Kurzem aus der Verfassung gestrichen. Ich hoffe, dass andere Bundesländer und auch der Bund bald nachziehen. Das Wort müsste im Grundgesetz durch das Konstrukt rassistische Benachteiligung ersetzt werden. So könnte dann der neue Artikel aussehen: „Niemand darf rassistisch oder wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden.“ Ich bin froh darüber, dass wir in den vergangenen Wochen kleine Schritte vorangehen konnten: Wir haben auf höchster Ebene einen Kabinettsausschuss gegen Rechtsextremismus und Rassismus eingesetzt als direkte Reaktion auf die rechtsextremistischen Morde in Halle und Hanau. Das ist ein gutes Zeichen. Wir bekämpfen zudem die Hasskriminalität im Netz durch das Netzwerkdurchsetzungsgesetz. Facebook und Co. müssen nicht nur schneller Hasskommentare löschen, sondern diese auch den Behörden nennen.
Gleichzeitig wissen wir, dass es noch viel zu tun gibt: Der jüngste Antidiskriminierungsbericht zeigt, dass es einen deutlichen Anstieg der Anfragen zu rassistischer Diskriminierung in Deutschland gibt und zwar um 10 Prozent (33 Prozent aller Anfragen sind im Bereich rassistische Diskriminierung). Klar ist: Wir brauchen eine Reform des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG). Zum Beispiel müssen wir ein Verbandsklagerecht schaffen, um die Betroffenen konsequent unterstützen zu können. Das Land Berlin ist mit einem Landesantidiskriminierungsgesetz vorangegangen. Und das ist historisch. Nach 16 Jahren AGG hat Berlin ein Gesetz geschaffen, das auch die Verwaltung, Schule und Polizei umfasst. Jetzt müssen alle anderen 15 Bundesländer nachziehen, um die bestehenden Lücken zu schließen.
Betroffene können nun Schadenersatzansprüche stellen, wenn sie diskriminiert worden sind. Jetzt müssten die anderen Bundesländer nachfolgen. Die Kritik der Polizei an dieser Stelle ist nicht ganz berechtigt: Die Beweislastumkehr gilt nur dann, wenn eine überwiegende Wahrscheinlichkeit vorhanden ist, dass diskriminiert worden ist. Nicht jede Behauptung eines Betroffenen führt also dazu, dass die Polizei beweisen muss, dass sie nicht diskriminiert hat. Darüber hinaus brauchen wir mehr politische Bildung und Medienbildung und endlich ein Demokratiefördergesetz. Die Stärkung der Demokratie kann nicht über Projektförderung erfolgen und nur für einige Jahre. Wir brauchen endlich eine Dauerförderung für Daueraufgaben.