
Der Bedrohung nicht tatenlos zusehen

Kommentar von Ludovic Voet, Confederal Secretary des Europäischen Gewerkschaftsbundes (European Trade Union Confederation, EGB/ETUC)
Die jüngsten Wahlerfolge der Rechtsextremen in Schweden und Italien sind äußerst besorgniserregend. Gleichzeitig sind sie ein Aufruf an die Gewerkschaften, sich gegen die bedrohlichen Ideen der extremen Rechten zur Wehr zu setzen. Gewerkschaften können dabei auf eine stolze Tradition zurückblicken, sich ihnen entgegenzustellen und stehen auch heute für das exakte Gegenteil der extrem rechten Agenda.
Die Rechtsextremen kann nur bekämpfen, wer sie kennt. Dazu gehört zu wissen, welche Berührungspunkte ihre Bewegungen und Parteien in ganz Europa haben. Sie eint, dass sie die arbeitende Bevölkerung spalten wollen. Häufig nutzen sie dafür vermeintliche „nationale” Identitäten, um Einwanderer_innen oder Minderheitengruppen wie Roma auszugrenzen. Teils basieren ihre Ziele auf religiösen Überzeugungen oder sie richten sich gegen Frauen und LGBTIQ-Personen. Sie nutzen Verschwörungstheorien, etwa in Bezug auf ökologische Fragen, um die Wissenschaft anzugreifen. Und sie stellen sich gegen gesellschaftliche Solidarität – etwa die notwendigen Maßnahmen zum Schutz vor Pandemien.
Die extreme Rechte zielt dabei auch auf die Gewerkschaften ab. Sie versucht, die gewählte Führung der Arbeitnehmenden als etwas darzustellen, was mit den Arbeitnehmenden nichts zu tun habe, sondern vielmehr Teil einer globalen Elite sei, die Interessen der arbeitenden Bevölkerung nicht vertritt. Dabei ist jedes gewerkschaftliche Interesse ein Interesse der arbeitenden Menschen. Einige rechtsextreme Gruppen führen dazu – wie in Schweden – offene Kampagnen gegen die Gewerkschaften. Diese Angriffe gehen einher mit Versuchen, sich in Betrieben zu organisieren und dabei Marionettengewerkschaften zu gründen. Obwohl die Gemeinsamkeiten deutlich sind, gibt es keine Einheitslösung für die Bekämpfung der rechtsextremen Ideologie. Weiterhin gibt es viele nationale Unterschiede zwischen den rechtsextremen Bewegungen. Die Gewerkschaften aber sind gemeinsam stärker und können die extreme Rechte mit Solidarität und durch gegenseitiges Lernen über nationale Grenzen hinweg zurückdrängen.
Die Erfahrung von Enteignung und Unsicherheit wird von allen Arbeitnehmenden geteilt, unabhängig von ihrer Nationalität. Die Schwächung unserer kollektiven Kraft und die daraus resultierende ungerechte Verteilung des durch unsere Arbeit geschaffenen Reichtums überschreitet die nationalen Grenzen. Es ist offensichtlich, dass überall in Europa die wirtschaftliche Sicherheit abgenommen hat. Die Lebenshaltungskosten sind explodiert, während gleichzeitig die Gewinne der größten Unternehmen, die von der Krise profitieren, in groteske Höhen geschossen sind. Die extreme Rechte reagiert darauf, indem sie in ihrer Rhetorik auf die Inflationskrise eingeht – ohne dafür aber echte Lösungen anzubieten. Für die Gewerkschaften heißt dies: Sie müssen sowohl dem inakzeptablen Status quo als auch den falschen Lösungen der Rechtsextremen etwas entgegensetzen.
Die extreme Rechte in Europa freut sich über die Wahlsiege in Schweden und Italien und sehnt sich nach der Normalisierung ihrer Rhetorik. Der EGB kann dieser wachsenden Bedrohung nicht tatenlos zusehen. Wir bieten Lösungen als arbeitende Menschen, die über nationale Grenzen hinweg vereint sind. Und jede unserer Lösungen beruht auf den gewerkschaftlichen Werten der Einheit und Solidarität zwischen allen Arbeitnehmenden.
Wir bekämpfen die Rechtsextremen im EU-Parlament, wo die Präsenz ihrer Parteien und Bewegungen im Laufe der Zeit erheblich zugenommen hat. Mehr als jeder fünfte Abgeordnete des Europäischen Parlaments ist heute der extremen Rechten zuzurechnen. Auf europäischer als auch auf nationaler Ebene ist deshalb ein „Cordon sanitaire“ erforderlich, der die Versuche der Normalisierung und Legitimierung rechtsextremer Parteien und Bewegungen scheitern lässt.
Doch wir wären nachlässig, wenn wir darüber die digitale Sphäre außer Acht lassen würden. Entgegen der landläufigen Meinung ist der digitale Aktivismus nicht nur eine Bastion der progressiven Kräfte. Die Rechtsextremen sind sehr gut in der digitalen Mobilisierung. Ihre Strategie ist einfach, aber effektiv. Sie verbreiten eine radikal-rassistische Agenda im Internet, Menschen teilen diese Beiträge und rechtsextreme Netzwerke laden diese Menschen dann in geschlossene Facebook-Gruppen, in Discord-Kanäle, in WhatsApp- und Telegram-Chats ein, um sie weiter zu radikalisieren. Eine unserer wichtigsten Initiativen ist deshalb der Aufbau gewerkschaftlicher Kapazitäten zur Bekämpfung rechtsextremer Narrative. Wir schaffen eine gewerkschaftliche Plattform für digitales Engagement. Die Website www.action-europe.org wird als Petitionsplattform dienen, auf der sich Gewerkschafter_innen und ihre Verbündeten für Aktionen eintragen können. Die nationalen Gewerkschaftsbünde können dabei eigene digitale Plattformen einrichten. Diese Initiative ermöglicht dem EGB und seinen nationalen Mitgliedsorganisationen, mit Mitgliedern und Unterstützern zu kommunizieren. So wollen wir Arbeitnehmer_innen mit guten Argumenten gegen die extreme Rechte organisieren und mobilisieren.
Der Kampf gegen den Rechtsextremismus wird dabei nicht einfach sein. Das größte Risiko ist, mit einer falschen Kommunikationsstrategie das rechtsextreme Narrativ zu verstärken, demzufolge Gewerkschaften Teil einer Elite sind, die versucht, sie zum Schweigen zu bringen. Dies unterstreicht, wie wichtig es ist, mit den Arbeitnehmenden auf der Grundlage unserer Ablehnung des Status quo in Kontakt zu treten und eine gewerkschaftliche Alternative anzubieten.
Die Arbeitnehmenden sind durch stagnierende Löhne, unsichere Arbeitsplätze, schlechte Arbeitsbedingungen und Ungleichheit im Stich gelassen worden. Diese sind die Folgen politischer Entscheidungen und nicht die Schuld anderer Arbeitnehmer_innen. Der EGB ist entschlossen, die Fähigkeit zur Bekämpfung der extremen Rechten auszubauen und unsere Mitgliedsorganisationen dabei zu unterstützen, allen Versuchen zu widerstehen, die arbeitenden Menschen zu spalten – sei es am Arbeitsplatz oder im politischen Bereich. Wir werden Solidarität und Arbeitnehmermacht aufbauen und gegen die Rechtsextremen gewinnen.
Entnommen aus Forum Migration November 2022