Deutsche(r) ist, wer einen deutschen Pass hat: Kommentar von Ruprecht Polenz

Kommentar von Ruprecht Polenz – Politiker (CDU) und Präsident der Deutschen Gesellschaft für Osteuropakunde
„Umvolkung“ hält der neu gewählte AfD-Vorsitzende Chrupalla „nicht für einen Nazi-Begriff“. Damit dürfte er ziemlich allein dastehen, sieht man von seinen völkisch-nationalistischen Parteigenossen ab.
Faschisten nutzten damals und nutzen heute diesen Begriff, um Überfremdungsängste anzufeuern, die es in Teilen unserer Bevölkerung gibt. Wo bleiben „wir Deutsche“? hetzt die AfD gegen Ausländer und Flüchtlinge.
Ihr hilft dabei ein Begriff, der zu wissenschaftlichen Forschungszwecken sinnvoll sein mag, der aber politisch negative Folgen entwickelt, weil er dieser Hetze in die Karten spielt: Migrationshintergrund.
Von den 81,6 Millionen Einwohnern in Deutschland haben 10,9 Millionen Deutsche einen „Migrationshintergrund“. 9,9 Millionen sind Ausländer. Aber was sagt das Etikett „Migrationshintergrund“ über die einzelne Person? Was sagt es aus, wenn ein Elternteil nicht in Deutschland geboren wurde? Ist man dann kein richtiger Deutscher? Ist man dann automatisch weniger integriert? Deutsche(r) ist, wer einen deutschen Pass hat.
Auf einer Informationsreise habe ich vor Jahren erfahren: in Kanada bedeutet Integration Sprache, Arbeit, Heirat. Sprache und Arbeit gehören auch in Deutschland dazu. Aber es geht immer wieder auch um eine „deutsche Leitkultur“, der man sich anschließen müsse, um wirklich dazuzugehören. Der Streit um diesen Begriff zeigt, dass die Integrationsdebatte vor allem auch eine deutsche Identitätsdebatte ist.
Das Bekenntnis zum Grundgesetz, der sog. Verfassungspatriotismus, reiche nicht aus. Man müsse sich darüber hinaus zu bestimmten Werten bekennen, heißt es von den Befürwortern einer Leitkultur. Dabei bleibt schwammig, welche Werte genau gemeint sind.
Es gehe um die Gleichberechtigung der Frau und um die Familie, bekommt man oft zu hören. Aber diese Werte postuliert und schützt bereits das Grundgesetz. In ihm und den Ausführungsgesetzen sind die Werte enthalten, die wir für alle verbindlich machen wollen. Rechtsgehorsam wird von allen verlangt.
Aber das Grundgesetz will und ermöglicht eine pluralistische Gesellschaft, in der wir mit verschiedenen religiösen und weltanschaulichen Vorstellungen friedlich miteinander leben. Man nennt das Freiheit.
Es ist also legitim und vom Grundgesetz geschützt, auch verschiedene Wertvorstellungen zu haben, die sich z.B. in unterschiedlichen Erziehungsstilen der Eltern äußern können. Freilich setzen auch hier die allgemeinen Gesetze den zulässigen Rahmen. Es gibt keinen „Kultur-Rabatt“. Die allgemeine Schulpflicht gilt für jede und jeden.
Eine pluralistische Gesellschaft ist in diesem Sinn immer auch eine multikulturelle Gesellschaft. Für eine weitergehende, irgendwie verbindliche „deutsche Leitkultur“ ist kein Raum.
Natürlich gibt es ungeschriebene Gesetze und Regeln, an die man sich besser hält, wenn man nicht anecken will. Es empfiehlt sich nicht, sich in einer Schlange nach vorn zu drängeln. Umgekehrt helfen Höflichkeit, Freundlichkeit, Hilfsbereitschaft und Rücksichtnahme, wenn man dazugehören will. Aber das alles kann nicht gesetzlich vorgeschrieben werden.
Aber bei Menschen mit „Migrationshintergrund“ könne man nicht sicher sein, wem sie sich mehr verbunden fühlten, Deutschland oder dem Land ihrer Vorfahren. In Deutschland müsse die volle und ungeteilte Loyalität gelten. Sonst sei man eben kein(e) richtige(r) Deutsche(r). Das erinnert an die Frage „Wen hast du lieber, Papa oder Mama?“ Kluge Eltern stellen diese Frage nicht.
Der Autor auf Twitter: @polenz_r