Die Zukunft der Arbeitswelt ist bunt und weiblich: Kommentar von Naciye Celebi-Bektas

Kommentar von Naciye Celebi-Bektas, DGB Niedersachsen
Der Begriff ist gerade in Mode, das Phänomen aber ist alt: „Intersektionalität“ nennt man die Überschneidung von verschiedenen Diskriminierungsformen in einer Person. Intersektionelle Diskriminierung gibt es dann, wenn eine Person aufgrund verschiedener, zusammenwirkender Persönlichkeitsmerkmale Opfer von Diskriminierung wird. So wie Frauen mit Migrationsbiografie auf dem Arbeitsmarkt.
Dass gerade viel über „Intersektionalität“ gesprochen wird, ist eine gute Nachricht. Denn diese Schnittstelle der Diskriminierung von Frauen oder Migrant_innen wurde lange vernachlässigt – auch von und in den Gewerkschaften. Das ändert sich nun langsam. Die empirischen Befunde, die zu dem Thema etwa vom sozialwissenschaftlichen Institut der Hans-Böckler-Stiftung erhoben wurden, zeichnen ein klares Bild: Frauen mit Migrationsbiografie sind oft doppelt benachteiligt, wenn es darum geht, eine angemessen bezahlte und qualifikationsgerechte Beschäftigung zu finden – nicht nur aufgrund des Geschlechts, sondern auch aufgrund ihrer Herkunft. Ihnen fehlen häufig die Ressourcen für eine erfolgreiche Stellensuche. Sie haben oft keine ausreichenden Netzwerke und Kontakte. Häufig entsprechen ihre Deutschkenntnisse nicht dem geforderten Niveau. Auch Diskriminierung spielt eine wesentliche Rolle, genauso wie die fehlende Anerkennung von im Heimatland erworbenen Qualifikationen und (aufenthalts-)rechtliche Einschränkungen.
Die OECD hat im vergangenen Jahr herausgefunden, dass in den ersten fünf Jahren nach ihrer Ankunft in Deutschland nur etwa 15 Prozent der geflüchteten Frauen Arbeit finden. In Schweden liegt der Wert mit 30 Prozent etwa doppelt so hoch. Beschäftigte mit Migrationshintergrund verdienen im Durchschnitt schlechter, arbeiten häufiger im Niedriglohnbereich – und öfter in Teilzeit: Mehr als 3 Millionen Frauen mit Migrationshintergrund sind ausschließlich geringfügig beschäftigt.
Sie können oft nicht anders, denn es fehlt unter anderem an Kinderbetreuung. Und sie sind kulturell geprägten Rollenbildern unterworfen, in denen keine reguläre Erwerbsarbeit von Frauen vorgesehen ist. Daraus folgt auch: Viele Männer weigern sich, Familienpflichten mit zu übernehmen.
Ganz allgemein konzentrieren sich Frauen auf eine schmale Auswahl von Berufen, vorrangig im Bereich Büro, Soziales und Dienstleistungen. Diese Beschränkung ist bei Frauen mit Migrationshintergrund stärker ausgeprägt. So arbeiten 74 Prozent der einheimischen erwerbstätigen Frauen in den Bereichen Sprachen, Wirtschaft, Soziales und Gesundheit. Bei den Frauen mit Migrationshintergrund sind es 78 Prozent. Umgekehrt hat nur eine von fünf einheimischen erwerbstätigen Frauen eine Ausbildung in Technik oder Naturwissenschaft – bei den Frauen mit Migrationshintergrund sind es nur 16 Prozent. Bei den Männer hingegen sind es genau vier Mal so viele – und zwar sowohl unter jenen mit als auch ohne Migrationshintergrund.
Das alles muss nicht so bleiben. Hemmnisse für erfolgreichen Berufsverlauf lassen sich aus dem Weg schaffen. Durch mehr und bessere Informationen über den Zugang zum Arbeitsmarkt – vor allem in den Feldern hoch qualifizierter Beschäftigungen und Weiterbildungen. Durch fachspezifische Sprachkurse und Schulungen, durch schnelle und umfassende Anerkennung der Qualifikationen. Frauen mit Migrationsbiografie brauchen gesonderte Empowerment-Räume, um ihre eigenen Bedürfnisse und Stärken zu definieren und innovativ handeln zu können. Betriebe, Verwaltung und Verbände müssen ihre interkulturelle Kompetenz erhöhen – und Frauen mit Migrationsbiografie auch dorthin lassen, wo Entscheidungen getroffen werden.
Davon profitieren sie selbst ganz direkt: Innovation und Kreativität sind in gemischten Teams deutlich höher als in homogenen. Mit Migrantinnen kann es außerdem leichter gelingen, neue Märkte und Zielgruppen zu erschließen. Sie bieten mit ihren Fähigkeiten, Qualifikationen und Kenntnissen viele verborgene Schätze, die Arbeitgeber und Organisationen nutzen sollten.
Zur Stärkung der Situation von Frauen mit Zuwanderungs-biografie hat der DGB Niedersachsen – Bremen – Sachsen-Anhalt im Februar 2019 das „NeMiA-Netzwerk Migrantinnen und Arbeitsmarkt“ gegründet: https://niedersachsen.dgb.de/nemia
aus Forum Migration November 2019