
Ein Geschäft ohne Risiko
Kommentar von Heike Rabe (Foto), stellvertretende Abteilungsleitung und Lisa Fischer, wissenschaftliche Mitarbeiterin Menschenrechtspolitik Inland/ Europa, beim Deutschen Institut für Menschenrechte
Menschenrechte erscheinen zwar heute in Deutschland selbstverständlich, in der Lebenswirklichkeit vieler Menschen sind sie es jedoch keineswegs. Die Qualität des Menschenrechtsschutzes in einem Staat misst sich aber gerade daran, ob die Rechte der Schwächsten in Gesetzen verankert und auch in der Praxis geachtet und geschützt werden. Für die, die sich politischen Diskurs nur schwer Gehör verschaffen können, gilt das nur bedingt.
Deutschland ist ein EU-Land, in dem aufgrund von Zuwanderung, Entsendung und auch Flucht viele Migrant_innen leben und arbeiten. Sie erleben hier trotz gesetzlicher Änderungen und einer wachsenden Unterstützungsstruktur nach wie vor teils schwere Ausbeutung bis hin zu Menschenhandel zum Zweck der Arbeitsausbeutung. Sie arbeiten bisweilen für zwei bis drei Euro die Stunde, mit vielen Überstunden und ohne soziale Absicherung, denn ihre Arbeitgeber_innen führen häufig keine Sozialabgaben ab. Oft sind die Beschäftigten mit Drohungen und Gewalt konfrontiert.
In solchen Fällen liegt „schwere Arbeitsausbeutung“ vor. Das ist kein strafrechtlicher Begriff, doch er ist angelehnt an die strafrechtliche Definition der „ausbeuterischen Beschäftigung“. Diese definiert das Gesetz als Beschäftigung, die „aus rücksichtslosem Gewinnstreben zu Arbeitsbedingungen erfolgt, die in einem auffälligen Missverhältnis zu den Arbeitsbedingungen solcher Arbeitnehmer stehen“, die einer vergleichbaren Beschäftigung nachgehen.
In diesem Sinne ist schwere Arbeitsausbeutung in bestimmten Bereichen weit verbreitet – und heute in Deutschland oft ein risikoloses Geschäft. Denn die Menschen haben faktisch kaum eine Möglichkeit, ihre Lohnansprüche gerichtlich durchzusetzen. Sie befinden sich in einem Teufelskreis: Durch die äußerst prekären Lebensumstände sind sie von Obdachlosigkeit bedroht und gezwungen, immer wieder schlechte Jobs ohne Absicherung anzunehmen.
Fälle von schwerer Arbeitsausbeutung sind aus vielen Branchen, beispielsweise der fleischverarbeitenden Industrie, dem Transportwesen oder der häuslichen Pflege bekannt. Fehlende Sprach- und Rechtskenntnis, Abhängigkeit vom Arbeitgeber, fehlende Beweismittel sowie ein erschwerter Zugang zu Beratung führen zu einer strukturellen Unterlegenheit der Betroffenen gegenüber ihren Arbeitgebern. In den arbeitsgerichtlichen Verfahren, wie sie aktuell angelegt sind. kann diese nicht behoben werden.
Verschiedene Studien haben sich bereits mit Erscheinungsformen von Ausbeutung, den Strategien der Arbeitgeber_innen, rechtliche Vorgaben zu umgehen, sowie Risikofaktoren für Ausbeutung auf Seiten der Betroffenen und der anfälligen Branchen beschäftigt. Eine breite rechtspolitische Auseinandersetzung mit Maßnahmen, die das Einfordern von Lohn erleichtern würden, hat bisher jedoch kaum stattgefunden.
Andere europäische Länder hingegen haben reagiert. Sie begegnen diesem Machtgefälle und haben zum Teil den kollektiven Rechtsschutz über ein Verbandsklagerecht von Gewerkschaften eingeführt. Andere Länder gehen noch darüber hinaus und verleihen Behörden die Befugnis, individuelle Lohnansprüche stellvertretend für Arbeitnehmer_innen einzuklagen. Entsprechende Instrumente gibt es im deutschen Recht nur vereinzelt.
Was würde in Deutschland helfen? Es braucht ein Gesamtkonzept, um die Unterlegenheit der Betroffenen abzubauen. Die Diskussion und Entwicklung eines solchen Gesamtkonzeptes könnte zum Beispiel die Bund-Länder-Arbeitsgruppe Menschenhandel zum Zweck der Arbeitsausbeutung vorantreiben. Diese hat sich bereits unter der Federführung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales den Auftrag gegeben, zu überprüfen, „wie der Zugang zu arbeitsrechtlichen Ansprüchen für Betroffene in der Praxis verbessert werden kann“.
Hierbei sollte ein besonderes Augenmerk auf solche Instrumente gelegt werden, die im deutschen Recht zwar bereits existieren, für die Zielgruppe aber kaum zugänglich sind. Zu überdenken ist beispielsweise eine Veränderung der Beweislastregelungen: Arbeitnehmer_innen würden so dabei unterstützt, auch Rechte aus solchen Arbeitsverhältnissen einzufordern, deren Existenz und Umfang schwer zu belegen sind.
Insgesamt muss das Ziel sein, die Durchsetzung von Lohnansprüchen für die Betroffenen zu erleichtern. Dazu muss ein Bündel von Maßnahmen geschnürt werden, zum Beispiel die Verbandsklagemöglichkeiten gegen ausbeuterische Arbeitgeber, stellvertretende Klagen und bessere Möglichkeiten für Betroffene, prozessrelevante Daten von Kontrollbehörden zu bekommen.
Den Menschenrechtsbericht 2018 des Deutschen Instituts für Menschenrechte mit dem Schwerpunkt „Schwere Arbeitsausbeutung und die Lohnansprüche betroffener Migrant_innen“ können Sie hier herunterladen: https://bit.ly/2LezmR8