
Fleischindustrie: Tarifverträge als Pflichtaufgabe

Kommentar von Thomas Bernhard, Referatsleiter Fleischwirtschaft, NGG
Seit Jahrzehnten erleben wir in der Fleischwirtschaft einen Niedergang der Arbeitsbedingungen, Tarifflucht der Unternehmen, massive Zunahme von Werkverträgen, Leiharbeit. Das alles mit dem Ziel billiger Arbeitskosten und um den Preis der Ausbeutung der Menschen. Teilweise hatten wir Zustände, die an den Beginn des Kapitalismus erinnern: Menschen, die 16 Stunden am Tag für einen Hungerlohn gearbeitet haben, sich schimmelige Wohnungen teilen mussten, Lohnraub, Einschüchterung, völlige Erschöpfung erlebten.
Das Arbeitsschutzkontrollgesetz grenzt die seit langer Zeit übliche Ausbeutung von Beschäftigten in der Fleischwirtschaft maßgeblich ein. Werkverträge mit Subunternehmern sind ab 1. Januar 2021 gänzlich verboten; ab April wird die Leiharbeit auf einen festgelegten Anteil (acht Prozent) an der Stammbelegschaft eingeschränkt, die Verleihzeit wird auf vier Monate begrenzt. Und die Nutzung von Leiharbeit ist an den Abschluss eines Tarifvertrags gebunden.
Ebenfalls gesetzlich verankert ist nun die fälschungssichere, elektronische Arbeitszeiterfassung. Ein wichtiger Schritt gegen überlange Arbeitszeiten und den Lohnraub in der Branche. Bereits im Frühsommer 2020 hatten sich die Arbeits- und Sozialminister auf eine Kontrollquote geeinigt, die nun den Weg ins Arbeitsschutzkontrollgesetz gefunden hat.
Die neuen Regeln gelten für immerhin 150.000 Beschäftigte in der Fleischwirtschaft. Rund 35.000 meist in Werkverträgen bei zum Teil dubiosen Arbeitgebern Beschäftigte haben ihre Heimat in Rumänien, Bulgarien, Tschechien und Polen, aber auch Mozambik, Vietnam, Weißrussland.
Eine Zeitlang sah es so aus, als würde die vom Bundeskabinett im Mai beschlossene Vorlage in den Mühlen des Bundestags durch die mächtige Fleischlobby durch den Wolf gedreht. Der Regierungsentwurf sah das komplette Verbot auch von Leiharbeit vor. Letztlich haben sich die Regierungsfraktionen auf den nun zum 1. Januar 2021 gültigen Text geeinigt.
Noch kurz vor Jahresende hatte das Bundesverfassungsgericht mehrere Eilanträge gegen das Arbeitsschutzkontrollgesetz abgewiesen. Weitere Eilanträge zum Verbot der Leiharbeit liegen allerdings noch zur Entscheidung vor. Es ist davon auszugehen, dass die Branche alle rechtlichen Möglichkeiten nutzen wird, ihre ausbeuterischen Geschäftsmodelle fortzuführen. Zu groß ist deren Befürchtung, dass die Fleischwirtschaft nur Vorreiter in der Frage der Einschränkung von prekären Arbeitsverhältnissen sein könnte.
Die leidgeprüften Arbeitnehmer_innen aus ost- und südosteuropäischen Staaten dürfen nun auf transparentere Arbeitsverträge hoffen. Auch wenn das Gesetz erst am 30. Dezember veröffentlicht wurde: Die meisten Arbeitgeber hatten sich vorbereitet und den bisher über Subunternehmer Beschäftigten einen neuen Arbeitsvertrag zum 1. Januar 2021 angeboten. Nicht wenige allerdings haben mit den Subunternehmern Werkverträge in Leiharbeit umgewandelt.
Neben den neuen Bestimmungen zu Arbeitsverhältnissen stellt das Arbeitsschutzkontrollgesetz auch neue Anforderungen an die Arbeitgeber. Unterkünfte müssen Standards erfüllen und gemeldet werden. Erstmals müssen die Kapazitäten der bereitgestellten Unterkünfte, aber auch deren tatsächliche Auslastung an die Behörden gemeldet werden.
Insgesamt ist das Arbeitsschutzkontrollgesetz ein Meilenstein im Bereich des Arbeitsschutzes.
Damit aber noch nicht genug.
Seit Jahrzehnten sind Arbeitgeber nur in wenigen Fällen bereit, Tarifverträge für ihre Beschäftigten zu verhandeln. Auch diese gewerkschaftliche Aufgabe wird in Zukunft leichter fallen. In gespaltenen Belegschaften sind Tarifverträge nur schwer durchsetzbar. Künftig heißt es wieder: ein Betrieb – eine Belegschaft. Das erleichtert gewerkschaftliche Organisation und damit die Fähigkeit, Tarifverträge zu erzwingen. Dem Teil der Fleischunternehmen, die künftig Leiharbeit nutzen wollen, werden Tarifverträge gar zur Pflichtaufgabe.
Damit kommen wir als Lebensmittelgewerkschaft unserem Ziel einer Produktion mit geregelten Arbeitsbedingungen, tarifgebunden und mit Betriebsräten und Mitbestimmung ausgestatteten Arbeitsplätzen auch in der Fleischwirtschaft wieder ein Stück näher.
In vielen Teilbranchen der Lebensmittelindustrie arbeiten selbstbewusste Arbeiter_innen, die sich seit Jahrzehnten in der Gewerkschaft NGG für regelmäßige Lohnerhöhungen, gute Schichtsysteme, Mitbestimmung im Betrieb einsetzen. Das wollen und das werden wir zusammen mit den Beschäftigten auch in der Fleischwirtschaft erreichen.
Für uns als Gewerkschaft NGG gilt: Schluss mit Ausbeutung! Her mit Tarifverträgen und Betriebsräten!