
Geflüchtete aus der Ukraine brauchen Schutz – und Perspektiven am Arbeitsmarkt

Kommentar von Staatsministerin Reem Alabali-Radovan, Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration
Zerbombte Geburtskliniken in Mariupol, Kriegsverbrechen in Butscha, Millionen Menschen auf der Flucht – Russlands Angriffskrieg auf die Ukraine erschüttert die Welt und löste die größte Fluchtbewegung in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg aus. In Deutschland sind bis Mitte Mai rund 750.000 Geflüchtete eingereist, vor allem Frauen mit kleinen Kindern. Oberste Priorität bleibt, dass sie Schutz bei uns finden, gut an- und unterkommen. Das ist eine große Kraftanstrengung, die Bund, Länder und Kommunen gemeinsam schultern. Dabei können wir auf ein herausragendes Engagement im Land zählen, in Haupt- und Ehrenamt, auch in den Gewerkschaften.
Nach dem Ankommen geht es direkt um Perspektiven – in Kita und Schule, in Ausbildung und Arbeit. Denn viele möchten zwar so schnell es geht zurück. Ob und wie schnell das gelingen kann, ist ungewiss. Das ist die bittere Wahrheit, schauen wir nur in den Donbass. Darum haben wir sofort unsere Gesetze und Verordnungen angepasst: mit langfristigem Aufenthalt, mit sofortigem Zugang zu Arbeit oder Deutschkursen und ab 1. Juni mit Leistungen direkt aus dem SGB II oder XII – statt Asylbewerberleistungsgesetz.
Wer aus der Ukraine flieht, trifft bei uns auf einen aufnahmefähigen Arbeitsmarkt. Ich habe mit vielen Menschen aus der Ukraine gesprochen, die noch in Not-Unterkünften leben, aber schon arbeiten. Das ist eine enorme Leistung in den Betrieben und Belegschaften! Zu Gute kommt uns, dass Ukrainer_innen vergleichsweise gut qualifiziert sind. Laut IAB hat die Hälfte eine akademische Ausbildung oder einen Bachelor-Abschluss, der etwa der dualen Ausbildung entspricht. Gerade in höherqualifizierten Berufen braucht es dann gute Deutschkenntnisse. Darum war es wichtig, dass wir die Integrationskurse und Berufssprachkurse direkt für alle geöffnet haben. Über 75.000 Teilnahmeberechtigungen sind schon ausgestellt. Dabei müssen wir die Kinderbetreuung immer mitdenken – beim Integrationskurs, bei der Arbeitsaufnahme. Dafür hat der Bund den Ländern über 1 Milliarde Euro bereitgestellt. Wir behalten das im Blick und schauen regelmäßig, wo wir nachsteuern müssen.
Zwei Punkte sind jetzt besonders wichtig. Erstens: Gerade die vielen Frauen aus der Ukraine – aber nicht nur diese – sollen einen guten Berufseinstieg finden, ihrem Qualifikationsniveau entsprechend arbeiten, Weiterbildungen und Kinderbetreuung in Anspruch nehmen können – mit guten Löhnen und guter Arbeit. Sie sollen ihre Rechte kennen und nicht in prekäre Jobs gedrängt werden. Diese Erfahrung machen immer noch zu viele Frauen, seien es Frauen, die aus der EU kommen, bei uns arbeiten oder geflüchtete Frauen. Hier setze ich an und möchte noch viel stärker gemeinsam mit dem DGB, den Einzelgewerkschaften und der BA daran arbeiten, dass sich das verbessert. Mit Informationen in den unterschiedlichsten Sprachen und mit aufsuchender, aktiver Beratung, auch online und in sozialen Medien.
Zweitens: Vergessen wir nicht die Menschen, die aus anderen Regionen der Welt zu uns fliehen oder bereits bei uns sind. Ob aus Syrien oder Afghanistan. Auch sie möchten arbeiten, Deutsch lernen, studieren. Auch sie haben berufliche Qualifikationen. Es darf keine Geflüchteten erster und zweiter Klasse geben. Für alle muss Integration gut und schnell möglich sein. Dafür kämpfen die Gewerkschaften, dafür setze ich mich ein, dafür haben wir im Koalitionsvertrag vieles verankert. Das packen wir an: Wir machen Schluss mit Arbeitsverboten, wollen Zugang für alle zu den Integrationskursen, öffnen Wege im Aufenthaltsrecht für Geduldete. Weil wir wissen: Es ist weder human noch sinnvoll, Menschen zum Herumsitzen zu zwingen. Hier kann der historische Schulterschluss der EU und die Geschlossenheit, die eine schnelle Integration von Menschen aus der Ukraine ermöglicht, ein Katalysator sein und zeigen: Es geht um mehr Respekt und Fortschritt in unserem Einwanderungsland. Für alle, egal welcher Herkunft. Das treibt mich an, daran arbeite ich in und mit der Bundesregierung.
Entnommen aus Forum Migration Juni 2022