Kollision mit dem Föderalismus

Kommentar von Oliver Malchow, Vorsitzender der GdP
Wir begrüßen es, dass Hemmnisse bei der Durchsetzung der Ausreisepflicht abgebaut werden sollen. Dies darf jedoch nicht mit tragenden Werten wie etwa dem Sozialstaatsgebot oder dem Förderalismusprinzip bei den Zuständigkeiten von Bund und Ländern kollidieren. Das ist aber beim Geordnete-Rückkehr-Gesetz teilweise der Fall. Einige Beispiele:
Künftig sollen etwa subsidiär Schutzberechtigte – also Flüchtlinge mit einem niedrigen Schutzstatus – nicht erst nach einer strafrechtlichen Verurteilung leichter ausgewiesen werden können, sondern schon wenn angenommen wird, dass sie eine schwere Straftat begangen haben. Doch an die Stelle eines ordentlichen Strafverfahrens eine bloße Verwaltungs-„Annahme“ einer Straftat zu setzen, ist weder mit der verfassungsrechtlichen Unschuldsvermutung noch mit dem gesetzlichen Anspruch auf einen ordentlichen Richter zu vereinbaren.
Hinzu kommt: Aus unserer Sicht besteht gerade bei schweren Straftaten ein starkes öffentliches Interesse an der Strafverfolgung – das muss Vorrang haben. Darauf sollte nicht zu Gunsten einer schnellen Ausweisung verzichtet werden – auch nicht im Sinne der Straftatopfer. Es wäre in der Öffentlichkeit auch schwer zu vermitteln, dass die Bundesrepublik einerseits subsidiär Schutzberechtigte, die einer schweren Straftat verdächtig und bereits ausgereist sind, gegen ihren Willen für den Strafprozesses durch Polizeikräfte wieder nach Deutschland zurückholt. Ebenso wenig Verständnis dürfte es dafür geben, auf Strafverfahren zu verzichten und stattdessen die Ausreise durch Ausweisung vorzuziehen. Die Staatsanwaltschaft soll in solchen Fällen einer Ausweisung nicht mehr zustimmen müssen. Die Folge wäre: Die Ausländerbehörde würde zur primären Entscheidungsinstanz über die Durchführung oder Nichtdurchführung eines Strafverfahrens gegen eine subsidiär schutzberechtigte Person. Die Verfassung aber verlangt, dass niemand seinem gesetzlichen Richter entzogen werden darf.
Die Bundesregierung will als eine Art „Verwaltungshaft“ ein bis zu zehntägiges „Ausreisegewahrsam“ an Flughäfen oder Grenzübergangstellen einführen. Doch die Bundespolizei wie auch die Landespolizei haben keinerlei Personal für die Betreibung von Ausreisegewahrsam – und auch keine Qualifikation dafür. Es handelt sich um eine Aufgabe des Justizvollzuges und nicht der Polizei.
Darüber hinaus soll ab dem 1. Juli 2022 die Abschiebungshaft auch in Justizvollzugsanstalten, allerdings abgetrennt von Strafgefangenen vollzogen werden. Wir lehnen dies ab – insbesondere die geplante Inhaftnahme von Familien. Strafhaftanstalten sind nach besonderen Vollzugsgesichtspunkten errichtet und ungeeignet, für eine lediglich auf die Sicherung der Ausreise gerichtete Gewahrsamnahme herzuhalten.
Personen, die – aus welchen Gründen auch immer – nicht abgeschoben werden können, sollen mit Leistungskürzungen des Existenzminimums sanktioniert werden. Das soll auch abgelehnte Asylbewerber treffen, wenn die Entscheidung noch nicht unanfechtbar geworden ist. Die GdP sieht solche Kürzungen des Existenzminimums – um solches handelt es sich bei Asylbewerberleistungen – als „Verwaltungsstrafe“ für die Nichterfüllung von Verwaltungsauflagen als unzulässig an. Die im Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) vertretenen Gewerkschaften haben wiederholt klargestellt, dass eine Kürzung von Leistungen nach SGB II wegen Verstoßes gegen Auflagen oder Mitwirkungspflichten grundsätzlich abgelehnt wird. Die Leistungen des AsylbLG sind dem SGB II nachgebildet und stellen die Sicherung des verfassungsrechtlich verankerten Existenzminimums dar. Leistungskürzungen sind deshalb abzulehnen.
Das gilt besonders, bei Personen, die gegen einen ablehnenden Bescheid des BAMF Klage erhoben haben. Bereits die Erfolgsquote der Klagen gegen fehlerhafte BAMF-Bescheide spricht gegen eine Kürzung des Lebensunterhalts unter das Existenzminimum, erst recht, da den Personen regelmäßig auch die Ausübung einer entgeltlichen Beschäftigung verwehrt wird. Solange die Entscheidung des BAMF nicht unanfechtbar geworden ist, muss aus Verfassungsgründen das Existenzminimum ungeschmälert gewährt werden.
Darüber hinaus warnt die GdP vor Kürzungen des Existenzminimums, weil eine Kürzung des Existenzminimums immer eine Beförderung von Kriminalität nach sich zieht, insbesondere der Eigentumsdelikte, Schwarzarbeit und Förderung der Prostitution. Daran aber kann niemandem gelegen sein.
Die vollständige Stellungnahme der Gewerkschaft der Polizei zum Geordnete-Rückkehr-Gesetz lesen Sie hier: https://bit.ly/2Kv09KA