Mindestlöhne: Kontrollen verbessern, Rechte der Beschäftigten stärken

Kommentar von Frederic Hüttenhoff, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut Arbeit und Qualifikation (IAQ) der Universität Duisburg-Essen
Die Einführung des gesetzlichen Mindestlohns im Jahr 2015 hat zu einer deutlichen Erhöhung der niedrigsten Löhne geführt. Profitiert haben insbesondere prekär Beschäftigte, Frauen und Ausländer_innen. Getrübt wird die positive Entwicklung durch Studien, die zeigen, das noch im Jahr 2017 bis zu 3,2 Mio. der anspruchsberechtigten Personen weniger als den Mindestlohn erhielten. Die Probleme der Mindestlohnverstöße konzentrieren sich auf bestimmte Beschäftigungsformen wie Minijobs sowie auf Branchen mit vielen Kleinbetrieben, wechselnden Einsatzorten und geringer Tarifbindung. Zu den häufigsten Einfallstoren für Unterschreitungen zählen insbesondere falsche Angaben zur Arbeitszeit, die oft nur schwer nachzuweisen sind.
Die Finanzkontrolle Schwarzarbeit (FKS) verfügt als zuständige Kontrollbehörde zwar über weit reichende Befugnisse, um den Mindestlohn zu kontrollieren. Allerdings wird immer wieder die unzureichende Zahl von Kontrollen kritisiert und eine Aufstockung des Personals gefordert. Tatsächlich ist die Zahl der Prüfungen in den letzten Jahren insgesamt rückläufig, während gleichzeitig die Zahl der unbesetzten Stellen gestiegen ist. Die Kritik ist also durchaus berechtigt, allerdings sind die Probleme der FKS weitaus vielfältiger und hängen mit dem strategischen Vorgehen zusammen. Als problematisch erweist sich etwa, dass eine dezentrale Strategieausrichtung zu einem uneinheitlichen Vorgehen der FKS auf regionaler Ebene führt. So wird von manchen Dienststellen auch am Wochenende oder abends kontrolliert, während andere nur die üblichen Bürozeiten bedienen. Hinzu kommt, dass seit 2014 an vielen Dienststellen der Streifendienst eingestellt wurde, der jedoch laut Expert_innen notwendig ist, um einen ausreichenden Kontrolldruck in der Fläche zu gewährleisten.
Kritisiert wird auch, dass sich der Prüfauftrag der FKS auf staatliche Ansprüche beschränkt. Bei festgestellten Mindestlohnverstößen werden nur die Sozialversicherungsbeiträge nachgefordert, nicht aber die den Arbeitskräften vorenthaltenen Löhne. Die Beschäftigten werden noch nicht einmal über festgestellte Verstöße informiert. Gerade entsandte Beschäftigte sind davon häufig betroffen. Viele werden oft mit falschen Lohnversprechungen nach Deutschland gelockt und vor Ort dann der Lohn für schlechte Arbeit, Werkzeuge, Kleidung oder Kost und Logis gekürzt. Die meisten entsandten Arbeitskräfte sprechen kaum Deutsch, kennen ihre Rechte nicht, sind von als Unternehmen getarnten Schieberbanden abhängig, werden zudem in Schlafghettos isoliert und können bei nicht genehmem Verhalten jederzeit in ihre Heimatländer zurückgeschickt werden. Durch die individuelle Verantwortung schrecken viele Arbeitskräfte davor zurück, rechtliche Schritte gegen ihren Arbeitgeber einzuleiten, da sie Nachteile für sich befürchten. Dagegen werden in anderen Ländern wie Frankreich, Spanien, Großbritannien und Belgien die Beschäftigten bei der Durchsetzung ihrer Ansprüche von staatlicher Seite unterstützt.
Für eine bessere Aufdeckung von Verstößen und als Unterstützung der Beschäftigten müssen die geleisteten Arbeitszeiten manipulationssicher dokumentiert werden. Voraussetzung dafür ist eine (ggf. elektronische) Erfassung der Arbeitszeit, auf die die Beschäftigten das Recht zur Einsicht und zur Korrektur von falschen Angaben haben.
Die erheblichen Durchsetzungsprobleme können jedoch nicht alleine durch staatliche Kontrollen verringert, sondern müssen durch eine Stärkung der Selbstkontrollen durch die Sozialpartner ergänzt werden. Die wenigsten Verstöße gegen Arbeitsbedingungen finden sich in Branchen mit hoher Tarifbindung. Eine effektive Maßnahme wäre die Erleichterung der Allgemeinverbindlichkeit (AVE) von Tarifverträgen durch den Gesetzgeber. Hierfür muss lediglich das bisher nicht näher definierte „Öffentliche Interesse“ als Voraussetzung einer AVE spezifiziert werden, etwa wenn eine Branche einen hohen Anteil an Niedriglöhnen aufweist. Das öffentliche Interesse begründet sich dann aus den hohen Folgekosten geringer Löhne für die Sozialversicherungen und öffentlichen Haushalte.
Nur wenn es gelingt, die staatlichen Kontrollen zu verbessern sowie die Selbstregulierung der Tarifpartner und die Informationsrechte der Beschäftigten zu stärken, kann eine effektivere Einhaltung und Durchsetzung von Mindestlöhnen für alle Beschäftigten erreicht werden.