Partizipation braucht gesetzliche Garantien. Berlin macht es jetzt vor

Man kann jahrelang über Gleichberechtigung und Demokratie diskutieren, doch solange keine entsprechenden Gesetze existieren, können die in gesellschaftlichen Debatten ausgehandelten Fortschritte für die bisher Ausgegrenzten jederzeit widerrufen werden. Denn solange basieren sie lediglich auf nicht-bindenden Abmachungen. Das gilt auch insbesondere für die Rechte von Personen mit Migrationshintergrund auf die Teilhabe am gesellschaftlichen und politischen Leben. Der Verweigerung dieser Rechte soll die Novelle des Berliner Partizipationsgesetzes vorbeugen. Es wurde in seiner ersten Fassung schon 2010 verabschiedet. Über eine Reform wird derzeit beraten. Das Ziel der Novelle lautet: „Die Förderung der Partizipation und die Durchsetzung der gleichberechtigten Teilhabe von Personen mit Migrationsgeschichte in allen Lebensbereichen.“
Das soll unter anderem durch die Einführung von Quoten und anonymisierten Bewerbungsverfahren im öffentlichen Dienst erreicht werden. Für die Mitarbeiter_innen des öffentlichen Dienstes soll die Teilnahme an interkulturellen Trainings verpflichtend werden. Die Rolle des Beauftragten des Berliner Senats für Integration und Migration sowie des Landesbeirats für Integration sollen gestärkt werden. Schließlich soll der Begriff „Integration“ durch „Partizipation“ ersetzt werden. Die so genannten Bürgerdeputierten sollen enger in politische Prozesse einbezogen, die Kandidatur von Migrant_innen erleichtert werden.
Die Einführung von Quoten für Menschen mit Migrationshintergrund im öffentlichen Dienst ist dabei einer der größten Streitpunkte. Die Gegner_innen des Gesetzes behaupten unter anderem, es sei nicht möglich, die Quoten gemäß dem aktuellen prozentuellen Anteil von Migrant_innen an der Gesamtbevölkerung Berlins zu berechnen. Der Entwurf sieht aber vor, mehrere Kriterien für die Bestimmung des Status von Personen mit Migrationshintergrund bzw. Migrationsgeschichte einzuführen: die Selbstbezeichnung als Person mit Migrationshintergrund und/oder die Erfahrung der rassistisch motivierten Diskriminierung. Der Gesetzesentwurf sieht zudem vor, dass Personen, die selbst nicht das Staatsangehörigkeitsrecht durch Geburt besitzen oder bei zumindest einem ihrer Eltern- oder Großelternteile dies der Fall ist, ebenfalls als Personen mit Migrationshintergrund zu betrachten sind. Viele Berliner Migrant_innenorganisationen sind der Meinung, dass es ohne solche Quoten im Berliner öffentlichen Dienst auch in anderen Belangen keinen Fortschritt geben kann. Denn bislang wird Personen mit Migrationshintergrund der gleichberechtigte Zugang zu relevanten Funktionen innerhalb der Stadt verweigert.
Das neue Partizipationsgesetz ist daher ein Ausdruck der Stärkung der Demokratie und der Gleichberechtigung. Der Widerstand dagegen ist wiederum ein klassisches Aufbegehren der Eliten, die über alles selbst entscheiden und andere befehligen wollen. Dies erinnert an die Hierarchie eines Gutshofes, dessen Mitarbeiter_innen, obwohl sie freie Menschen sind und einen wesentlichen Beitrag zum Betrieb des Hofes leisten, vom Gutsherrn lediglich die Reste von seinem Tisch zugeworfen bekommen. Doch die Zahl dieser Benachteiligten steigt, und die Zahl der Privilegierten schrumpft: Jetzt scheiden viele Mitarbeiter_innen aus dem Berliner öffentlichen Dienst aus und gehen in Rente. Das wirft die Frage auf, wer sie ersetzen soll. Die Novelle wird auch darüber entscheiden, wie viele Stellen dabei Migrant_innen erhalten, die einen großen Anteil der Bevölkerung Berlins bilden. So ist die Abstimmung im Abgeordnetenhaus in der ersten Hälfte des Jahres 2021 auch ein Votum darüber, ob an die Menschen, die sich bewusst dafür entschieden haben, hier zu leben, Kinder zu bekommen und Steuern zu zahlen, ein positives Signal geschickt wird.
NRW, Baden-Württemberg und Berlin spielen dabei eine Vorreiterrolle. Diese drei Bundesländer haben Partizipationsgesetze eingeführt, die auf unterschiedliche Weisen den öffentlichen Dienst für Mitarbeiter_innen mit Migrationshintergrund öffnen und die interkulturellen Kompetenzen der Mitarbeiter_innen stärken. Aus diesen Erfahrungen schöpft nun die Arbeitsgruppe „Bundespartizipationsgesetz und Fachkräftezuwanderung“ der Bundeskonferenz der Migrantenorganisationen. Die macht sich für die Einführung eines Bundespartizipationsgesetzes stark. Das soll die Partizipation auch auf Bundesebene fördern. Dabei gibt es viele Hindernisse. Zu diesen zählt vor allem das fehlende aktive und passive Wahlrecht in Kommunalwahlen für Drittstaatsangehörige. Das erschwert die Einbindung von Migrant_innen in die politischen Prozesse. Ein weiteres Hindernis ist der Föderalismus, der viele Kompetenzen den Bundesländern überlässt.
Dr. Kamila Schöll-Mazurek forscht am Zentrum für Interdisziplinäre Polenstudien der Europa-Universität Frankfurt (Oder). Sie ist Mitglied im Sprecher_innenrat des Polnischen Bundesnetzwerk Partizipation und Soziales sowie im Vertreter_innenrat der Bundeskonferenz der Migrantenorganisationen
aus Forum Migration November 2020