Porträt Anerkannt: Gerechter Lohn für die Papierlosen
Sie habe eine „Schattenwelt aufgehellt“, lobte damals die Welt. Die Rede war vom Leben der Menschen ohne Papiere und zu jener Zeit, 2008, wusste man wenig über diese. Es war auch der Verdienst von Emilija Mitrovic, dass sich dies änderte. Die Sozialwissenschaftlerin erforschte, was es bedeutet, in Deutschland ohne Aufenthaltserlaubnis zu arbeiten – und sie baute die ersten gewerkschaftlichen Strukturen mit auf, um diese Gruppe zu unterstützen.
Es begann mit den Sexarbeiter_innen. Denen wollte die rot-grüne Bundesregierung 2002 mit dem Prostitutionsgesetz mehr Rechte verschaffen. „Für diejenigen, die sich gewerkschaftlich organisieren wollen, besteht nun endlich die Möglichkeit“, befand damals ver.di. Doch Hunderttausende papierlose Frauen würden wenig von den neuen Regelungen haben. Mitrovic befragte für ver.di Sexarbeiter_innen in fünf deutschen Städten. Bald wurde klar: Illegalisierte Arbeit „gibt es überall: Im Bau, in der Gastronomie, im Hafen, in Schlachthöfen“, sagt sie.
1953 wurde Mitrovic in Serbien geboren, ihre Mutter war eine deutschstämmige Donauschwäbin. Als sie sechs war, zogen Mitrovic und ihre Schwester zu ihrer Tante nach Deutschland. Seit 1982 arbeitete sie beim Hamburger Senat als Bildungsreferentin und als Dozentin an der Hochschule. „Im Migrationsbereich war ich gar nicht so aktiv“, sagt sie.
Das änderte sich schnell. Nach „Arbeitsplatz Prostitution“ schrieb Mitrovic die Studie „Leben ohne Papiere“ und leistete damit Pionierarbeit. Einer der wichtigsten Befunde: Je prekärer ihr Aufenthalt, desto gefährdeter sind Menschen für Lohnbetrug.
Eine Gruppe fortschrittlicher Gewerkschafter_innen gründete in ver.di den Arbeitskreis „Undokumentierte Arbeit“. Zwischenzeitlich gab es solche Initiativen in fünf Städten, wo sich feministische, antirassistische und migrantische Gruppen zusammenschlossen. Der AK verankerte das Thema Illegalisierung in den Gewerkschaften. Papierlose setzten durch, dass ver.di ihnen als erste deutsche Gewerkschaft die Mitgliedschaft ermöglichte. In Hamburg gründete der AK 2008 die Anlaufstelle MigrAr (Migration und Arbeit), zunächst bei ver.di, später beim DGB. Mitrovic arbeitet dort bis heute – ehrenamtlich.
Ein Ansatzpunkt: „Beim Arbeitsgericht spielt der Status keine Rolle“, sagt sie. So konnte MigrAr etwa drei papierlosen bulgarischen Bauarbeitern helfen, denen der Bauunternehmer keinen Lohn zahlen wollte, weil er den Auftrag an einen Subunternehmer weitergegeben hatte. „Nachdem wir an die Öffentlichkeit gegangen waren, lenkte er plötzlich ein“, sagt Mitrovic. Auch die Politik reagierte: „Danach hat die Hamburger Bürgerschaft entschieden: Generalunternehmer müssen bei Lohnausfällen für Subunternehmen eintreten, wenn sie öffentliche Aufträge haben wollen.“
Doch der Lohnbetrug gehe unvermindert weiter. Derzeit sei sie mit Reinigungsfirmen beschäftigt, sagt Mitrovic. Die stellten erst Arbeiter_innen ohne Papiere ein und sagten ihnen dann: „Tut uns leid, ihr habt keine Arbeitserlaubnis, also können wir euch den Lohn nicht zahlen. So können sie bei fünf Leuten zum Beispiel 12.000 Euro sparen.“ Mitrovic hat in vielen solcher Fälle von Lohnbetrug mit Erfolg interveniert. Doch bei den Unternehmen habe dies „keinen Erziehungseffekt“ sagt sie: Es beschwerten sich einfach zu wenige Betroffene. „Die meisten gehen.“ Umso wichtiger sei die Beratungsarbeit. Die Gewerkschaften sollten „flächendeckend in den Großstädten Beratungsstellen aufbauen und finanzieren“ findet Mitrovic.
Aus Forum Migration Januar 2020