
Unsere Demokratie ist für alle da

Kommentar von Rasha Nasr, neu gewählte SPD-MdB aus Dresden
Die deutsche Gesellschaft ist vielfältig – und das ist gut so! Über ein Viertel der Deutschen hat eine Migrationsgeschichte. Aber wie so häufig findet sich auch diese gesellschaftliche Realität nicht im politischen Spektrum wider. Jahrzehntelang haben wir daneben gestanden und dankend genickt, während von Politiker_innen erzählt wurde, dass auch Menschen aus dem Ausland „unsere Mitbürger“ hier in Deutschland seien – was haben wir uns darüber gefreut! Aber es wird jetzt auch Zeit, dass wir die gleichen guten Jobs, die gleichen guten Bildungschancen und bitteschön auch die gleichen guten Plätze auf den Listen und damit in den Parlamenten bekommen. Während dem letzten Bundestag nur rund 8,2 Prozent Mitglieder mit Migrationsgeschichte angehörten, so sind es im neuen Deutschen Bundestag immerhin 11,3 Prozent.
Das kann uns aber nicht zufrieden stellen, denn dahinter steht ein Problem, das noch tiefer greift. Mit Blick auf die Mitgliederstrukturen in den Parteien, offenbart sich ein ähnlich schwieriges Bild, auch wenn die Mitglieder die gesellschaftlichen Realitäten besser abbilden. Die Wahllisten sehen dann wieder anders aus. Wir müssen grundlegend überdenken, ob unsere Art und Weise, Politik zu organisieren und zu erklären, auch dort ankommt, wo sie ankommen soll. Ob unsere Art und Weise, Parteipolitik zu machen, dazu führt, dass diese Gesellschaft auch Lust hat, sich in all ihrer Vielfalt in den Parteien einzubringen. Ich bezweifle das. Lange, verschachtelte Sätze, am besten noch garniert mit hochtrabenden Begrifflichkeiten, die nur Studierte verstehen, so kann Politik im 21. Jahrhundert nicht mehr funktionieren. Besonders dann, wenn wir sehen, dass immer mehr Menschen sich von der Politik abwenden, sie nicht verstehen oder gar nicht erst verstehen wollen.
Ich sage: Unsere Demokratie ist eine Mitmach-Geschichte – sie ist für Alle da! Sie lebt davon, dass Menschen mittun, sich mit ihrer Stimme und individuellen Perspektive einbringen. Sie lebt davon, dass diejenigen, die Politik gestalten, mit denen zusammenarbeiten, für die sie Politik machen wollen. Es geht hier um Zusammenarbeit auf Augenhöhe. Ich kämpfe für eine Gesellschaft, die von Respekt geprägt ist. Eine Gesellschaft, in der wir uns gegenseitig anerkennen, auch wenn wir in vielerlei Hinsicht unterschiedlich sind. Und dazu gehört auch, allen eine Plattform und eine Stimme zu geben, die sich einbringen wollen.
Lasst uns daher endlich das Demokratiefördergesetz verabschieden! Auch wenn es in der letzten Legislaturperiode an der CDU gescheitert ist, nehmen wir nochmal Anlauf. Denn durch dieses Gesetz können wir das zivilgesellschaftliche und bürgerschaftliche Engagement und die demokratische Teilhabe stärken. Wir hören dann endlich damit auf, Demokratiearbeit an Projektzeiträume zu binden, und sorgen für eine echte Förderung von gesellschaftspolitischem Engagement. Denn Engagement darf kein Privileg sein. Es geht darum, demokratisches Grundwissen zu vermitteln, zu politischem Handeln anzuregen und dabei diejenigen zu unterstützen, die sich für unsere Gesellschaft und unsere Demokratie starkmachen. Nur so schaffen wir auch nachhaltig Repräsentation.
Ich will den Blick an dieser Stelle auch auf die lenken, die ihre Stimme gar nicht erst abgeben dürfen – fast 10 Millionen Menschen waren auch bei der diesjährigen Bundestagswahl wieder ausgeschlossen, weil sie keine deutsche Staatsangehörigkeit haben. Das sind aber Menschen, die teils seit Jahren und Jahrzehnten hier leben, arbeiten und Steuern zahlen. Dann sollten sie auch das Recht haben, über die Politik dieses Landes mitzuentscheiden. Das können wir doch progressiver lösen! Neuseeland zum Beispiel knüpft das Wahlrecht nicht an die Staatsangehörigkeit, sondern an die Aufenthaltsdauer im Land. Wer mindestens zwei Jahre dort lebt und einen unbefristeten Aufenthalt hat, darf mit wählen.
Wir leben in einem Land, das auf Einwanderung angewiesen ist. Integration ist deswegen eine permanente Aufgabe für uns alle. Daraus folgt: Menschen, die neu zu uns kommen, brauchen Zugang zu Bildung und Arbeit und Kinder und Jugendliche zu Kita, Schule und Freizeitangeboten. Gut integrierte Menschen ohne gesicherten Aufenthalt brauchen eine dauerhafte Bleibeperspektive. Und Familien gehören zusammen. Grund- und Menschenrechte gelten auch für Migrant_innen!
Unsere Demokratie ist für Alle da – egal, wo man herkommt, wie man aussieht, wen man liebt oder woran man glaubt!
Entnommen aus Forum Migration November 2021