
Wege in den Arbeitsmarkt für Geflüchtete öffnen!
Kommentar von Daniel Weber, DGB Bildungswerk Bund e.V. Geschäftsbereichsleiter
11 Thesen, die wir aus den Erfahrungen der Anerkennungsberatung in NRW heraus entwickelt haben:
1. Viele Geflüchtete sind sehr motiviert, Arbeit oder (Aus-)bildung zu finden. Doch gerade Geflüchtete, die Kompetenzen, Abschlüsse oder schon Berufserfahrung haben, brauchen dabei oft sehr spezifische Informationen und Hilfestellungen. Um eine hohe Qualität der Beratung sicherzustellen, benötigen auch die Berater_innen Unterstützung – durch Schulungen, Trainings, Supervision oder auch durch die Bereitstellung von Zeit und guter Infrastruktur.
2. Der Integrationsprozess ist komplex. Kein Akteur kann ihn alleine gestalten. Entscheidend für eine erfolgreiche Teilhabe am Arbeitsmarkt ist das Zusammengreifen der verschiedenen Zahnräder der Prozesskette: Die Integration Points (in NRW), Beratungsstellen, soziale Einrichtungen, Verwaltung – vor allem das Ausländeramt, Arbeitsmarktakteure, Qualifizierungsträger, Ehrenamtliche müssen über Organisationsgrenzen hinweg Lösungen finden. Wichtig hierfür sind Vertrauen und kurze Wege – und detaillierte Kenntnisse über Unterstützungsstrukturen.
3. Die komplexen Weiterbildungs-, Beratungs- und Förderstrukturen müssen transparent sein. Genau zu wissen, wer (aktuell) berät, schult oder finanziert ist wichtig. In NRW zeigte sich im Laufe des Projekts immer wieder, wie tief eine Recherche gehen muss: spezifische, oftmals ungewöhnliche Berufsbilder erfordern detaillierte Informationen über Abläufe, Inhalte und Akteure.
4. Häufig arbeiten Geflüchtete nicht in dem Feld, in dem sie arbeiten können und wollen – und tun dies teils auch noch unter schlechten Bedingungen. Die schnelle Integration, etwa über schlechte Leiharbeit, unbezahlte lange Praktika oder eine Helfer_innentätigkeit scheint kurzfristig im Interesse des Arbeitsmarkts und teils auch der Ratsuchenden. Langfristig ist dies fatal. Gewerkschaften, sozial verantwortliche Arbeitgeber, Kammern und deren Einrichtungen sollten helfen, gute Ausbildung und Arbeit zu finden. Auch die generelle Akzeptanz der Geflüchteten in den Betrieben ist dann höher – und Integration in den Betrieb gelingt dann besser.
5. Viele Anerkennungsverfahren dauern unnötig lange: wegen hoher oder bürokratischer Vorgaben, langer Kommunikationswege oder fehlender passgenauer Anpassungsqualifizierungen. Bei medizinischen, pflegerischen und pädagogischen Berufen dauert die Dokumentenbeschaffung oft lange, Vorschriften sind nur schwer erfüllbar, oder Sprachqualifizierungen fehlen. Das IQ-Netz hat einen Teil der Lücken gefüllt oder zum Abbau bürokratischer Hürden beigetragen. Die Anerkennung aber muss weiter beschleunigt werden.
6. Politische Entscheidungen sind direkt verantwortlich für den Erfolg oder Misserfolg von Integrationsprozessen – vom rechtlichen Zugang zum Arbeitsmarkt, über staatliche Förderleistungen bis zum gesetzlichen Schutz vor Ausbeutung. Verbesserungen gab es nur wenige. Vor allem die schwierige aufenthaltsrechtliche Situation und der unklare Schutzstatus sind Herausforderungen. Für die Aufnahme einer Qualifizierung oder Arbeitsstelle ist der langfristige Fokus entscheidend. Restriktive Regelungen stehen einer nachhaltigen, qualifikationsadäquaten Integration im Weg.
7. Arbeitsmarkt- und Weiterbildungsakteuren fehlt immer noch viel Diskriminierungs- und Vielfaltssensibilität. Mangelndes Knowhow zur Gestaltung von Vielfalt und Vorurteile bekommen Geflüchtete besonders zu spüren – auch weil sie oft aus Ländern kommen, die besonders mit Vorurteilen belegt sind. Diese Vorurteile und Rassismen weiter abzubauen bleibt eine große Aufgabe aller.
8. Sonderprojekte für Geflüchtete im Betrieb sind selten ein guter Weg. Geflüchtete sollten als selbstverständlicher Teil einer Organisation gesehen werden. Das gelingt dann gut, wenn man Gruppenbildung nicht noch verstärkt und Unterstützung direkt aus der Belegschaft heraus organisiert wird – etwa über betriebliche Mentoring/Partner_innenverfahren, den Betriebsrat oder gemischte Teams.
9. Viele Ratsuchende wollen lernen. Zugänge zu Bildung und Fördermöglichkeiten sind aber sehr unterschiedlich. Altersgrenzen, weitstudiumsregelungen, Anerkennungsverfahren für Schulzeugnisse, Regelungen für Bafög oder des Sozialgesetzbuches erschweren die Wahl des passenden Bildungsweges. Gute Projekte, die Brücken schaffen, gibt es nicht ausreichend. Hochschulen können sich hier engagieren und Wege eröffnen.
10. Dequalifizierung ist zurzeit eher der Regelfall als passende Weiterbildungsförderung. Oftmals wird in „Jobs“ vermittelt, die es nur schwer zulassen auf vorhandenen Qualifikationen aufzubauen. Grund dafür sind die verschiedenen Finanzierungsmöglichkeiten aus den unterschiedlichen Kapiteln im Sozialgesetzbuch: In der ersten Phase scheinen die Möglichkeiten in der Bundesagentur für Arbeit noch groß, die JobCenter haben allerdings im weiteren Verlauf nur enge Spielräume. Für den Zugang zu Qualifizierung werden diese Spielräume noch dazu unzureichend genutzt. Finanzieren müssen sich die Betroffenen dann oft auf kreativen Wegen oder durch Mittel des IQ Individualfonds oder sozialer Einrichtungen.
11. Gute Ansätze müssen verstetigt und nachhaltig gestaltet werden. Immer wieder berichten Berater_innen und Ratsuchende über gute Projekte. Doch oft sind diese positiven Ansätze nicht langfristig angelegt. Die Projekthaftigkeit vieler Integrationsbemühungen wird der Prozesshaftigkeit der Integration nicht gerecht. So verschwinden oft ganze Projekte mit viel Knowhow und Glaubwürdigkeit.