Just Transition >>Ein historischer Auftrag für Gewerkschaften<<
Was der sozial-ökologische Umbau für die Gewerkschaften bedeutet: Sie müssten darauf achten, dass keine Verlierer produziert werden, erklärt Hans-Jürgen Urban von der IG-Metall. Dem Markt könne die Transformation nicht überlassen werden, argumentiert Jan Paprotny vom DGB.
Die Präambel des Pariser Klimaabkommens ist ein riesiger Erfolg der internationalen Gewerkschaftsbewegung: Denn dort ist das Prinzip »Just Transition« verankert. Erstmals haben damit die Interessen der Beschäftigten im globalen Norden und Süden einen festen Platz in der Klimadebatte.
Just Transition bedeutet »gerechter Übergang« bei den grundlegenden Veränderungen, die der Klimawandel in Wirtschaft, Gesellschaft und Politik erzwingt. Im Blick dabei: der Klimaschutz selbst, die unter dem Klimawandel Leidenden und der Schutz jener, die vom Umbau direkt betroffen sind, weil etwa ihr bisheriger Job wegfällt.
Nach der Verankerung des Prinzips im Pariser Klimaschutzabkommen im Jahr 2015 wurde beim Klimagipfel in Katowice im Dezember 2018 auf Initiative des Internationalen Gewerkschaftsbunds (IGB) und der gastgebenden polnischen Präsidentschaft die »Solidarity and Just Transition Silesia Declaration« (»Schlesische Erklärung für einen solidarischen und gerechten Übergang«) in die UN-Klimakonferenz eingebracht. 53 Länder sowie die Europäische Kommission haben sie unterzeichnet. »Diese Erklärung bedeutet, dass die Arbeitnehmer und ihre Gewerkschaften am Verhandlungstisch sitzen und ihre Stimmen gehört werden, wenn die Klimapolitik entwickelt und umgesetzt wird«, sagt IGB-Generalsekretärin Sharan Burrow.
Hans-Jürgen Urban, geschäftsführendes Vorstandsmitglied der IG Metall, sieht es als zwingend an, dass Gewerkschaften für Just Transition sorgen. »Die gerechte Transformation ist ein historischer Auftrag der Gewerkschaften«, sagt er. Als Teil der globalen Umweltbewegung sei es die Aufgabe der Gewerkschaften, die Klasseninteressen der Beschäftigten in diesen Prozess einzubringen. »Wir müssen darauf achten, dass die ökologische Transformation keine Verlierer produziert«, warnt er. So müssten soziale Perspektiven geschaffen werden, zum Beispiel wenn Beschäftigte von Arbeitsplatzverlust bedroht seien.
Urban plädiert für globales Denken in mehrfacher Hinsicht: Ein E-Auto sei nur klimagerecht, wenn der Strom für den Betrieb aus regenerativen Energien stammt. Beim Umbau der Branche müsse Mobilität im Sinne der Gesellschaft insgesamt neu gedacht werden. Und die Rohstoffe, die für die Fertigung der Batterien von E-Autos gebraucht werden, dürften nicht durch neue Ausbeutungsverhältnisse etwa im Globalen Süden beschafft werden. »Die übergeordnete Anforderung ist, den Transformationsprozess auch in seiner globalen Dimension zu einem gerechten Projekt werden zu lassen«, betont Urban, »die Klimafrage kann nur transnational gelöst werden«.
Entscheidend sei die Verankerung einer neuen Wirtschaftsdemokratie. Richte sich der Umbau nach den Regeln von Konkurrenz, privaten Profiten und Marktzwängen, werde er scheitern. »Die so getriebenen Veränderungen werden weder eine sozial noch eine ökologisch nachhaltige Entwicklung bewirken«, erklärt Urban. Märkte und Profitstreben müssten reguliert werden, Gegenkräfte wie die Gewerkschaften Freiräume schaffen für eine wirklich soziale und ökologische Transformation. Sind erste Ziele erreicht, dienen sie als Basis weiterer Schritte. »Das ist nicht nice-to-have, sondern elementar«, bekräftigt er. Und zwar nicht nur in Europa – dieser Ansatz sei universell.
Staaten wie Kanada oder Neuseeland haben Prozesse im Sinne der »Schlesischen Erklärung« eingeleitet. Sie erarbeiten Konzepte für den Übergang fossiler Industrien und beziehen dabei die Gewerkschaften mit ein. Auch der deutsche Kohlekompromiss vom Frühjahr 2019 ist ein Beispiel für ihre Beteiligung beim Umbau der Wirtschaft. Die Kommission für Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung hat den Ausstieg aus der Kohlekraft in Deutschland bis 2038 beschlossen und Maßnahmen wie den Ausschluss betriebsbedingter Kündigungen vereinbart, um soziale Härten zu verhindern.
Gewerkschafter_innen in anderen Ländern blickten mit Interesse auf die deutsche Kohlekommission, meint Jan Paprotny, der beim DGB für Just Transition zuständig ist. Die Beteiligung von Gewerkschaften sei keineswegs selbstverständlich. In Chile etwa gibt es eine Kommission für einen Kohleausstieg, bei der weder Gewerkschaften noch andere gesellschaftliche Akteur_innen wie Umweltverbände einbezogen sind.
Die erforderliche Transformation sei gewaltig, sagt Paprotny: »Sie umfasst alle Industriebranchen und Dienstleistungsbereiche.« Ein Widerspruch müssten »gute Arbeit und Klimaschutz« aber nicht sein. Durch den Umbau entstünden neue Arbeitsplätze, etwa im Bereich erneuerbare Energien, Gebäudedämmung oder im öffentlichen Personenverkehr. Gleichzeitig würden Investitionen in nachhaltige Produktionsweisen dazu führen, dass Arbeitsplätze erhalten und fit für die Zukunft gemacht werden.
Innerhalb des Europäischen Gewerkschaftsbundes und des IGB gebe es einen regen Austausch über Just Transition, berichtet Paprotny. Bei den UN-Klimakonferenzen veranstalteten internationale Gewerkschaftsdelegationen eigene Strategietreffen. Klimapolitik im Norden dürfe, so Paprotny weiter, »nicht zu Lasten der Menschen im Globalen Süden« gehen. Das ist derzeit beim Abbau von Steinkohle oder von Seltenen Erden in Ländern des Globalen Südens der Fall. »Auch aus diesem Grund ist die Frage der Lieferkettengerechtigkeit sehr wichtig«, sagt er.
Dabei müsse aber jedes Land seinen eigenen Weg finden. »Es gibt keine Blaupause für alle«, sagt Paprotny – Gemeinsamkeiten aber schon. Arbeitnehmer_innen verfügten auf der ganzen Welt über viel Wissen, etwa darüber, wie Energie effizienter eingesetzt werden kann. Von ihren Erfahrungen könnten alle lernen. Außerdem steige mit ihrer Beteiligung am Prozess auch die Akzeptanz für den Umbau.
Wie Urban ist Paprotny überzeugt: »Der Transformationsprozess muss weltweit von Gewerkschaften und anderen Akteuren aktiv begleitet und darf nicht dem Markt überlassen werden.«
Autorin: Anja Krüger lebt als Journalistin in Berlin und beschäftigt sich unter anderem mit Gewerkschaftspolitik.
Dezember 2019