Lieferketten: Rohstoffindustrie Volks-Ja zu Konzernverantwortung
Die Schweizer_innen stimmten im November mehrheitlich für ein Lieferkettengesetz, das auch den Bergbaukonzern Glencore an die Kette nehmen sollte. Es scheiterte trotzdem. Das ist vor allem bitter für die Menschen in den Minen der Demokratischen Republik Kongo.
Mutombo Kasuyi war eines der Gesichter der Kampagne. Das Sicherheitspersonal des Schweizer Bergbaukonzerns Glencore hatte den 23-Jährigen 2014 im Umland der Stadt Kolwezi im Süden der Demokratischen Republik Kongo aufgegriffen, als er das Minengelände überquerte. Offenbar warfen sie ihm vor, als sogenannter wilder Schürfer ohne Erlaubnis des Konzerns Metallerze mitgenommen zu haben. Dass er festgenommen wurde, war das letzte, was seine Angehörigen von Kasuyi erfuhren. Seitdem ist er spurlos verschwunden.
Kasuyis Geschichte ist eines der vielen konkreten Beispiele, mit denen mehr als 130 NROs, die Gewerkschaften, die Kirchen und die grünen und sozialdemokratischen Parteien der Schweiz für die »Volksinitiative für verantwortungsvolle Unternehmen – zum Schutz von Menschen und Umwelt« warben. Mit einem Referendum wollten sie erreichen, dass in der Schweiz ansässige Konzerne umfangreiche Umwelt- und Menschenrechtsstandards einhalten müssen und auch für Verstöße dagegen in ihren Wertschöpfungsketten haftbar gemacht werden können. Es wäre das bislang weitreichendste Lieferkettengesetz der Welt gewesen.
Am 29. November 2020 stimmten 50,7 Prozent der Schweizer Wählenden für die Volksinitiative. Nicht zustande kam allerdings die zusätzlich erforderliche Mehrheit der Kantone. Damit scheiterte die Initiative. Immerhin wird nun ein Gegenvorschlag der Regierung Gesetz, der die Unternehmen verpflichtet, regelmäßig Bericht zu erstatten und bei sogenannten Konfliktmineralien auch Sorgfaltsprüfungen durchzuführen. Bei Verstößen soll es Bußgelder geben. Das entspricht in etwa dem, was auch die bisher bekannten Eckpunkte zum geplanten deutschen Lieferkettengesetz vorsehen, das seit dem Sommer auf Eis liegt.
Den Angehörigen von Kasuyi wird die abgeschwächte neue Regelung nichts nützen. Sie hatten einem Bericht der Menschenrechtsorganisation Brot für alle zufolge darauf gehofft, vor einem Zivilgericht in der Schweiz eine Schadenersatzklage erheben zu können. Im Kongo selbst hatten sie vergeblich versucht, den Fall juristisch aufarbeiten zu lassen. Ein Gerichtsverfahren wurde jahrelang verschleppt, die Akte Anfang dieses Jahres als »verloren« gemeldet.
Tatsächlich sind ähnliche Vorfälle, aber auch Unfälle im Zusammenhang mit den Minen des Kongo an der Tagesordnung. Immer wieder gelangen Chemikalien und belastete Flüssigkeiten in die Flüsse oder auf die Felder in der Nähe der Minen und verseuchen Wasser und Böden. 2019 kamen 21 Menschen zu Tode, als ein Tanklastzug mit Schwefelsäure für die Kupfer-Abtrennung verunglückte. 43 weitere starben beim Einbruch von vermutlich illegal angelegten Tunneln.
Die Demokratische Republik Kongo ist für internationale Konzerne besonders interessant, weil sie über die Rohstoffe verfügt, die für die Wirtschaft der Zukunft gebraucht werden. Rund 60 Prozent des weltweit verwendeten Kobalt stammt aus kongolesischer Produktion. Kobalt wird neben Lithium und Jod für die Produktion von Batterien für Elektroautos und Akkus eingesetzt.
Vor allem die Arbeitsbedingungen bei den einheimischen Subfirmen oder im informellen Sektor, wo den globalen Konzernen zugearbeitet wird, sind prekär. Nach Schätzungen der Hilfsorganisation Ökumenisches Netz Zentralafrika arbeiten dort mehr als zwei Millionen Menschen, auch Kinder, die für umgerechnet 0,75 Dollar pro Tag kobalthaltige Steinbrocken aus den oft niedrigen Stollen bis zu den Produktionsanlagen schleppen, in denen die Abtrennung des Metalls erfolgt. Kommt es zu Unfällen, schieben die Bergbaufirmen als ökonomische Nutznießer die Schuld auf die »illegalen Schürfer«, von denen es dann heißt, diese hätten am Ort ihrer Tätigkeit eigentlich nichts zu suchen gehabt.
Gewerkschaftlich organisieren können sich diese Informellen nicht; ohnehin beschränkt sich die Organisationsmacht der Gewerkschaften der Dachverbände CSC und CDT weitgehend auf den öffentlichen Dienst sowie die katholischen Privatschulen. Theoretisch müssen sich Kleinschürfer nach dem Bergbaugesetzbuch schon seit 2002 in »Kooperativen« zusammenschließen, die ihnen eine kollektive Interessenvertretung – und dem Staat eine geregelte Besteuerung – ermöglichen sollen. In der Praxis herrschen innerhalb der Kooperativen aber strikte Hierarchien, an ihrer Spitze stehen etwa Provinzgouverneure oder Militärs.
Die Organisation Brot für alle setzt deshalb auch nach dem verlorenen Referendum weiter darauf, die Missstände gemeinsam mit den Partnerorganisationen vor Ort anzusprechen, öffentlich zu machen und Gerechtigkeit bei den großen Playern einzufordern. »Das Volks-Ja zeigt, dass Schweizer Konzerne auch im Ausland Verantwortung übernehmen müssen«, heißt es. Aber eigentlich nicht nur Schweizer Konzerne.
Autor: Bernard Schmid ist Journalist und Anwalt in Paris. Er berichtet unter anderem über das französischsprachige Afrika
Dezember 2020