Schule in Peru: Lern zu Hause!
Fehlendes Equipment, rudimentäre Internetanschlüsse, zu wenig Lehrer_innen: Rund eine Million Schüler_innen kommen in der Krise nicht zur Schule, warnt die Lehrergewerkschaft SUTEP. Wie Peru versucht, den Unterricht aufrechtzuerhalten.
Der Eingang zur Schule »Fe y Alegría 21« im Stadtteil San Jerónimo von Cusco in Peru ist verwaist. Die Zettel am schweren schwarzen Stahltor geben Auskunft, dass vor dem 15. März kein Unterricht stattfinden wird. Doch in den Büros hinter den Türen wird gearbeitet, so die Direktorin Eleonora Morales Azurín. »Wir bereiten den Neustart vor, sind mit allen Schüler_innen in Kontakt, haben sie vor der Pause mit Lernstoff versorgt und machen das auch zukünftig. Digital, aber auch über Arbeitsmappen, die wir zur Not zu Hause vorbeibringen,« erklärt die Pädagogin. Alle mitnehmen, keine und keiner soll der Schule im Arbeiterviertel der alten Inkastadt Cusco den Rücken kehren, lautet die Devise an der Grund- und weiterführenden Schule.
Das ist alles andere als einfach, wie Zahlen aus dem Bildungsministerium und der landesweit präsenten Gewerkschaft der Lehrer_innen (Sutep) belegen. 300.000 Schüler_innen, so kalkulieren die Bildungsexperten in Lima, hätten sich aus dem Schulsystem verabschiedet; eine Million sind es hingegen laut Sutep-Schätzungen. Das sind alarmierende Zahlen angesichts von offiziell 7,8 Millionen Schüler_innen in Peru. Und der Trend könnte sich 2021 fortsetzen, weil Peru durch die Pandemie in die Rezession gerutscht ist. Um bis zu 14 Prozent ist das Bruttoinlandsprodukt geschrumpft – endgültige Zahlen liegen noch nicht vor.
Von der ökonomischen Talfahrt würden diejenigen, die kein formales Arbeitsverhältnis haben, voll erwischt; Tagelöhner_innen, Straßenverkäufer_innen, Handwerker_innen, die mit ihrer Werkzeugtasche am frühen Morgen im Zentrum von Cusco auf Arbeitgebende warten, meint Carlos Herz: »Das sind zwischen 70 und 75 Prozent aller Beschäftigen.« Der 62-jährige Entwicklungsexperte hat viele Jahre internationale Organisationen bei Projekten beraten, seit ein paar Jahren ist er Direktor eines kirchlichen Bildungszentrums, des Centro de Estudios Regionales Andinos Bartolomé de las Casas in Cusco. Er kennt die regionalen Probleme.
Miese Infrastruktur, rudimentärer Internet-Zugang und gravierende Armut sorgen dafür, dass die Bildungsschere zwischen Stadt und Land weiter auseinandergehen könnte. »Auch in Peru hat das Bildungsministerium auf virtuellen Unterricht umgestellt. Doch bei Regen ist die Netzverbindung schon von Lima nach Cusco instabil«, schildert Herz seine Erfahrungen. Zudem seien Smartphones, Tablets und Laptops längst nicht überall verfügbar.
Herz und seine Kollegin von der Schule Fe y Alegria 21 begrüßen es darum sehr, dass das Bildungsministerium dafür gesorgt hat, dass »Aprende en Casa« – Lern zu Hause – auch per Radio und im Fernsehen empfangen werden kann. »Das hilft, wir haben Schüler_innen, die auf die nächste Anhöhe klettern, um sich mit ihren Lehrer_innen unterhalten zu können«, berichtet Morales Azurín. Darunter viele Kinder, die Cusco verlassen haben, weil ihre Eltern in ihre Herkunftsregion zurückgegangen sind. Dort sei es oft einfacher, an Lebensmittel zu kommen. Aber etliche Familienväter suchten auch Jobs im Bergbau, erklärt die Pädagogin: »Halbwüchsige, kräftige Jungen müssen ihren Vater dann oft begleiten.« Das deckt sich mit den Schilderungen der Sutep. Die Gewerkschaft verweist zudem darauf, dass hunderttausende Familien das Schulgeld für Privatschulen nicht mehr zahlen können und ihre Kinder nun an öffentliche Schulen schicken. Im Bildungsministerium, das Mitte März in halber Klassengröße wieder zum Präsenzunterricht zurückkehren will, wirft das neue Probleme auf. Sutep-Generalsekretär Lucio Castro hält die Pläne für »unverantwortlich«. Denn viele der öffentlichen Schulen auf dem Land hätten weder Wasser- noch Abwasser-Anschluss, die Klassenräume seien klein, oft sei eine Lehrperson für mehrere Klassen zuständig.
Carlos Herz und Morales Azurín sehen das genauso. Neben dem schnellen Impfen sei auch der Abbau struktureller Defizite nötig. Doch scheint beides wenig realistisch: Bildungsminister Ricardo Cuenca ist erst seit November im Amt, fehlende Kontinuität im Ministerium ein Problem. Zudem belaufen sich die Bildungsausgaben in Peru zur Zeit auf nur 3,72 Prozent des Bruttosozialprodukts. Das sind deutlich weniger als die 6 bis 8 Prozent, die internationale Experten empfehlen. Mittlerweile hat Minister Cuenca angekündigt, dass der Unterricht ab dem 15. März für mindestens einen weiteren Monat virtuell stattfinden wird. Es ist ein Kompromiss – bis auf Weiteres.
Autor: Knut Henkel ist freier Journalist in Hamburg und bereist mehrmals im Jahr Lateinamerika.
März/2021