Kolumbien: Ja zu mehr Handel - aber mit stärkeren Arbeitnehmerrechten und in Frieden
Seit 2013 ist das Handelsabkommen der Europäischen Union mit Kolumbien und Peru in Kraft. Die Öffnung der Märkte, Spielregeln für Handel und Garantien für Investoren sollen Wirtschaftswachstum und Diversifizierung bringen. Der Handel und die Zusammenarbeit mit der EU sollten den Friedensprozess fördern. Es gibt sogar einen Maßnahmenkatalog zu Menschen- und Gewerkschaftsrechten. Die Bilanz bisher: negativ.
Der Autor Alberto Orgulloso ist Wirtschaftswissenschaftler und Generaldirektor des gewerkschaftlichen Bildungsinstituts, Escuela Nacional Sindicale, (ENS). Der Artikel wurde im Dezember 2019 in der Broschüre Gewerkschaftsrechte weltweit (2019) veröffentlicht.
Es gehört zu den umstrittensten Abkommen überhaupt. Ursprünglich war es als interregionales Assoziierungs-abkommen mit den drei Säulen politischer Dialog, Entwicklungszusammenarbeit und Freihandel konzipiert, doch schon bald konzentrierten sich die Verhandlungen auf ein reines Handelsabkommen der EU mit Kolumbien und Peru. Begleitet wurden die Gespräche von einer intensiven Kampagne zivilgesellschaftlicher Organisationen in Kolumbien, Peru und der EU. Sie warnten vor menschenrechtlichen, sozialen und ökologischen Risiken des Handelsvertrags und forderten die EU auf, sich ihrer Verantwortung bewusst zu werden. Der Europäische und der Internationale Gewerkschaftsbund legten dem Europäischen Parlament nahe, gegen den Vertrag zu stimmen. Sie prangerten die Verletzung der Menschenrechte, der Arbeitsrechte, die anhaltende Gewalt und vor allem die Straflosigkeit an, mit der das alles geschehen konnte.
Die Proteste sorgten dafür, dass sich Kolumbiens Regierung zu einem Maßnahmenkatalog verpflichtete, wie Menschen- und Gewerkschaftsrechte sowie Umweltstandards eingehalten und geschützt werden sollten. Die EU-Parlamentarier verabschiedeten 2012 eine Entschließung, um die menschenrechtliche Verantwortung im Abkommen zu unterstreichen. Sie erklärten, Ziel des Abkommens sei »die Förderung einer umfassenden Wirtschaftsentwicklung, um die Armut abzubauen, neue Arbeitsplätze zu schaffen, die Arbeitsbedingungen zu verbessern und den Lebensstandard zu verbessern«, und lieferten eine Art Bedienungsanleitung, mit welchen Herausforderungen hier zu rechnen und wie ihnen zu begegnen sei.
Das Abkommen ist juristisch ein sogenanntes gemischtes Abkommen, neben Kolumbien, Peru und den EU-Gremien, die es 2012/13 unterzeichneten, müssen auch die nationalen Parlamente der EU-Mitgliedsländer zustimmen. Als vorläufig letztes Land ratifizierte Österreich im Juli 2019. Da aber Belgien noch fehlt, ist der Vertrag immer noch nur »vorläufig« in Kraft.
Hintergrund für den Druck, die Handelsbeziehungen vor allem zu Kolumbien schnell neu zu regeln, war, dass Kolumbien nach der Definition der Weltbank den Status eines »oberen mittleren Einkommenslands« erreicht hatte und ab 2014 nicht mehr die einseitigen Handelsvorteile unter dem Allgemeinen Präferenzsystem der EU genießen sollte. Allerdings ist das Durchschnittseinkommen ein denkbar schlechter Indikator, denn Kolumbien ist von extremer Ungleichheit, Armut und Krieg geprägt. Am schlechtesten sind die Arbeitsbedingungen auf dem Land, beinahe neun von zehn Erwerbstätigen arbeiten im informellen Sektor. Es gibt keine soziale Absicherung, weder was Gesundheit, noch den Arbeitsschutz oder auch das Recht auf Altersversorgung angeht. Hinzu kam der mittlerweile offiziell beigelegte Konflikt mit der FARC.
Dank des Drucks von Gewerkschaften und anderen Organisationen der Zivilgesellschaft wurde eine Menschenrechtsklausel als »wesentlicher Bestandteil« in das Handelsabkommen aufgenommen. Umwelt- und Sozialstandards sind jedoch in ein Nachhaltigkeitskapitel ausgelagert, das nicht dem Streitschlichtungsmechanismus des Abkommens unterliegt. Die Bilanz des Abkommens fällt auch deshalb eher mau aus. Zwar ist die Anzahl der illegalen Arbeitsverhältnisse zurückgegangen, doch immer noch werden zwei Millionen Beschäftigten grundlegende Arbeitsrechte verwehrt. Die jetzige Regierung unter Iván Duque verfolgt eine wirtschaftsliberale Politik mit Steuersenkungen für Unternehmen und Anreizen für ausländisches Kapital. Gleichzeitig werden die Abgaben für Arbeitnehmende erhöht und Reformen umgesetzt, die zu weiterer Prekarisierung führen.
Christoph Saurenbach, Handelsbeauftragter der EU in Kolumbien, erklärt, »die beste Methode, Exporte zu diversifizieren besteht darin, in die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft zu investieren. Die Europäische Union leistet mit rund 50 Millionen Euro wichtige Hilfe für Kleinstunternehmen, für die Schaffung von Arbeitsplätzen in ehemaligen Konfliktgebieten sowie gefährdeten Gemeinden«. In der Realität hat sich das Handelsvolumen seit 2013 abgeschwächt. Die positive Handelsbilanz der beiden Andenstaaten gegenüber der EU ist abgeschmolzen – Diversifizierung und Wertschöpfung sind nicht eingetreten.
Große Gefahren für den Frieden in Kolumbien
Das 2016 abgeschlossene Friedensabkommen mit der Guerilla der FARC hat die Situation zusätzlich verschärft statt sie zu verbessern. Nachdem zunächst mehr als 10.000 Kämpfende ihre Waffen niedergelegt hatten, stockt der Prozess, weil die aktuelle Regierung ihre Verpflichtungen nicht einhält. Sie hat die Budgets für die Umsetzung gekürzt. Zudem blockiert sie das von der Wahrheitskommission gebildete Übergangsjustizsystem, ein Sondergericht für den Frieden sowie die Spezialeinheit zur Suche verschwundener Personen bei der Aufnahme ihrer Arbeit. Alles Einrichtungen, die es etwa der Gewerkschaftsbewegung, ermöglichen sollten, Berichte über Fälle von gewerkschaftsfeindlicher Gewalt im Zusammenhang mit dem internen bewaffneten Konflikt einzureichen. Diese Missachtung lässt den bewaffneten Konflikt wieder aufflammen – die ehemaligen Kämpfenden bewaffnen sich erneut und treffen nun auf eine größere Zahl von bewaffneten aufständischen Gruppen, die das Machtvakuum nach dem Friedensschluss genutzt hatten, um frühere FARC-Gebiete zu übernehmen, die der Staat sich selbst überlassen hatte. Dabei sind frühere Paramilitärs, die sich illegal vor allem durch den Drogenhandel finanzieren.
Allein in diesem Zeitraum von 2016 bis 2018 wurden 73 Gewerkschafter_innen ermordet, die Drohungen gegen Führer_innen der Gewerkschaftsbewegung und die gewalttätigen gewerkschaftsfeindlichen Angriffe haben zugenommen. Besonders betroffen sind Gewerkschaften im ländlichen Raum sowie aus den Bereichen Bildung, Bergbau und Energie. Nach einem Bericht des Instituts Cinep forderten politische Gewalttaten auch insgesamt die größte Zahl von Todesopfern: Zwischen 2016 und 2018 gab es 447 Morde, 386 Drohungen, 129 Verletzte und 48 Attentatsopfer. Seit der Amtsübernahme durch Iván Duque im September 2019 wurden in Kolumbien 268 Persönlichkeiten aus der Gesellschaft und der Menschenrechtsszene sowie 150 ehemalige und wieder ins zivile Leben eingegliederte ehemalige Kämpfer ermordet.
Der Ernst der Lage brachte die Europäische Union im Juni dieses Jahres dazu, die Kampagne »Das Leben verteidigen« zu starten, um die besonders bedrohten Gruppen sichtbar zu machen und zu schützen. Sie forderte die kolumbianische Regierung auf, die spezifischen Maßnahmen des Friedensabkommens umzusetzen.
Fazit
Es gibt einen entscheidenden Zusammenhang von Handel und Frieden. Nur eine politisch friedliche Umgebung und ein fairer Handel bieten gute Bedingungen, um Ressourcen besser zu nutzen, die Produktionsbedingungen von Land und Leuten zu verbessern, ausländische Investitionen anzuziehen und qualifizierte Arbeitsplätze zu schaffen.
Die internationale Gemeinschaft, die Vereinten Nationen, die ILO und die weltweite Gewerkschaftsbewegung können sehr viel mehr helfen, indem sie dem kolumbianischen Volk und den Gewerkschaften solidarisch zur Seite stehen. Sie müssen die kolumbianische Regierung auffordern, Garantien zum Schutz des Lebens, für die Menschenrechte und die Gewerkschaftsfreiheit abzugeben und die von Kolumbien eingegangenen internationalen Verpflichtungen im Bereich des Arbeitsrechts einzuhalten.
Die Zusammenarbeit mit Institutionen in Deutschland und Europa ist von elementarer Bedeutung in einer Zeit, in der Kolumbien sich der OECD anschließt. Die Außen-, Handels- und Investitionspolitik der Europäischen Union darf einem Partnerland wie Kolumbien gegenüber nicht nachsichtig sein, das nach wie vor Menschenrechte und die Gewerkschaftsfreiheit verletzt, die Umwelt zerstört und den regionalen Frieden in Lateinamerika in Gefahr bringt. —