Fokus Afrika: Impfpatente - Keine Patentlösung in Sicht
29.09.2021 I Die Zivilgesellschaft in Afrika kämpft seit Monaten um die Aufhebung des Patentschutzes auf Impfstoffe gegen Covid-19. Doch die ist ebensowenig in Sicht wie globale Impfgerechtigkeit.
Astrazeneca hat das Serum Institut Indien lizensiert, den Impfstoff herzustellen: Ankunft einer Charge in Südafrika
Wie es um die globale Impfgerechtigkeit steht, lässt sich am besten in Zahlen ausdrücken. So schickte das globale Impfprogramm Covax im Juni 2021 530.000 Dosen Impfstoff gegen Covid-19 nach Großbritannien. Also in eine der sieben reichsten Industrienationen, in der zu diesem Zeitpunkt mehr als die Hälfte der 66,6 Millionen Brit_innen bereits doppelt geimpft war. Ganz Afrika, ein Kontinent mit 55 Staaten und mehr als 1,2 Milliarden Bewohner_innen, von denen bis dato knapp zwei Prozent gegen Covid-19 geimpft waren, erhielt im gleichen Monat nicht einmal die Hälfte der Dosen. »Wenn wir absichtlich versucht hätten, Teile der Welt von Impfstoffen auszuschließen: Hätten wir es schlimmer machen können, als es heute ist?«, fragt rhetorisch Bruce Aylward. Er ist einer der engsten Berater von Tedros Adhanom Ghebreyesus, dem Chef der Weltgesundheitsorganisation. Die Antwort lautet: Wohl kaum.
Denn Covax, das zu Beginn der Pandemie gegründet wurde, um den Impfstoff gegen Covid-19 gleichmäßig an die weltweit Gefährdetsten zu verteilen, kann weder die Impfstoffgier der Industrienationen eindämmen noch das eigentliche Problem lösen: Es wird zu wenig Impfstoff hergestellt. Um das zu ändern, fordert nicht nur Christian Happi, Mikrobiologe am Afrikanischen Exzellenzzentrum für Infektionskrankheiten im nigerianischen Ede, einen Paradigmenwechsel. Wenn der auf der Nordhalbkugel hergestellte Impfstoff nicht nach Afrika gelange, müsse Afrika selbst welchen herstellen. Dazu aber haben afrikanische Impfstoffhersteller kein Recht, denn ihnen fehlen die Patente.
Mehr als 100 Staaten kämpfen seit Oktober 2020 innerhalb der Welthandelsorganisation WTO dafür, den Patentschutz während der Pandemie auszusetzen. An ihrer Seite stehen zivilgesellschaftliche Bündnisse und Wissenschaftler wie Matthew Kavanagh von der Georgetown University in Washington, D.C. »Die globale Verteilung von Impfstoffen wird derzeit nicht vom öffentlichen Gesundheitswesen kontrolliert, sondern von einigen wenigen Konzernchefs, die Europa und Nordamerika über Afrika stellen«, wetterte Kavanagh im August. Da war bekannt geworden, dass Johnson & Johnson Millionen Impfstoffdosen aus einer südafrikanischen Fabrik nach Europa exportiert hatte. Dieses Problem, da ist sich Kavanagh sicher, ließe sich nur lösen, indem afrikanische Firmen die Patente für die eigene Impfstoffproduktion erhielten.
Das verhindern derzeit vor allem die europäischen Staaten. Selbst die überraschende Ankündigung von US-Präsident Joe Biden im Mai, seine Regierung werde die vorübergehende Aufhebung im Rahmen des TRIPS-Abkommens, des Übereinkommens über handelsbezogene Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums, unterstützen, änderte nichts daran. Die ohnehin nur informellen Gespräche stocken.
Penny Clarke, stellvertretende Generalsekretärin des Europäischen Gewerkschaftsverbands für den öffentlichen Dienst (EPSU), macht dafür die massive Lobby der Industrie verantwortlich. »Die Industrie kann immer sehr viele Ressourcen mobilisieren, wenn sie behauptet, Jobs könnten gefährdet sein.« Ob eine Patentaussetzung tatsächlich Arbeitsplätze kosten würde, bezweifelt Clarke indes. Schließlich seien Errungenschaften wie die Covid-Impfstoffe inzwischen Gemeinschaftsanstrengungen, die massiv aus öffentlichen Geldern finanziert würden. »Und da sollte man doch erwarten, dass politisch viel aggressiver dafür gesorgt wird, dass wirklich alle diesen Impfstoff erhalten.« Letztlich, glaubt Clarke, sei das auch im Interesse der Arbeitgeberseite. »Alle Sozialpartner sollten doch daran interessiert sein, dass jeder vor Covid-19 geschützt ist, denn nur dann kann gearbeitet werden.«
Ende Juli verkündete Pfizer-Biontech ein sogenanntes Fill and Finish-Abkommen mit dem südafrikanischen Pharmaunternehmen Biovac. Dieses soll in Zukunft Covid-Impfstoff herstellen, abfüllen und innerhalb von Afrika vermarkten. Pfizer-CEO Albert Bourla feiert das Abkommen als Beleg dafür, dass man den Impfstoff gerecht verteilen will. Susana Barria vom globalen Gewerkschaftsverband Public Services International (PSI) dagegen kritisiert, dass nach wie vor Pfizer entscheidet, wie viel Impfstoff in Südafrika produziert wird. »Die Technologie bleibt also in den Händen einiger Weniger, autonome Entscheidungen im Globalen Süden bleiben damit unmöglich.« Zudem verfolgten Unternehmen wie Pfizer zwangsläufig Profitinteressen. »Und die Logik, nach der eine Pandemie bekämpft wird, ist nicht die gleiche wie die des maximalen Profits.« Barria will deshalb weiterhin für die Aufhebung des Patentschutzes streiten. Spätestens bis zum WTO-Gipfel im November rechnet sie mit einem Durchbruch.
Der Autor: Marc Engelhardt lebt als freier Journalist in Genf, berichtet von den Vereinten Nationen und den 200 anderen internationalen Organisationen mit Sitz am Genfer See, davor war er Afrika-Korrespondent in Nairobi