Ist der bolivianische Traum ausgeträumt?
17.12.2021 I Bolivien ist reich an Lithium, das für E-Mobilität und Digitalisierung gebraucht wird. Die Regierung versucht, die Wertschöpfung im eigenen Land zu halten. Doch so langsam reichen politischer Wille und gute Arbeitsbedingungen in der Batterieproduktion nicht mehr aus. Ein quantitativer Sprung wäre nötig.
Grüne Kunststoffkisten, die mit einem schwarzen und einem roten Kabel am Steuerpult hängen, sind das neueste Produkt der Ingenieur_innen der bolivianischen Batteriefabrik La Palca. Die liegt ein paar Kilometer von der Bergbaustadt Potosí entfernt. Hier wird das produziert, was die Zukunft des Landes prägen soll: kompakte, leichte Autobatterien auf Lithium-Ionen-Basis. Ein paar Dutzend dieser Aggregate stehen in diesem Jahr auf dem Produktionsplan der Belegschaft – neben allerlei anderen Batterietypen.
Lithium gehört zu den wichtigsten Rohstoffen für die anstehenden Transformationen. Es steckt etwa in Laptops oder Elektroautos. Aktuell wird die Nachfrage vor allem von Australien, China und Chile gedeckt, wo das Metall am leichtesten im Bergbau gewonnen werden kann. Bis zu 60 Prozent der weltweiten Reserven von 86 Millionen Tonnen sind aber im Dreieck Bolivien, Argentinien und Chile zu finden, wo das Lithium aus der Sole der großen Salzseen extrahiert werden muss. 21 Millionen Tonnen lagern in Bolivien. Auch weil der Abbau ökologisch schädlich ist, Unmengen an Wasser verbraucht und damit die Wasserversorgung in der Region gefährdet wird, will Bolivien nicht nur Rohstofflieferant sein. Das Land soll auch an der weiteren Wertschöpfung beteiligt sein – und die größeren Profite nicht ausländischen Konzernen überlassen, deshalb entschied die bolivianische Regierung schon 2013, eine eigene Lithium-Ionen-Akku-Produktion aufzubauen.
La Palca ist das Pilotprojekt. Aufgebaut hat es der heute 40-jährige Marcelo Gonzaléz, der bis 2013 in Potosí Physik lehrte und dafür in die Praxis wechselte. Für ihn sei wichtig gewesen, dass er damit einen Beitrag zum Bremsen des Klimawandels leisten konnte, sagt er. Denn der ist in Bolivien von Jahr zu Jahr spürbarer. Gonzaléz suchte Expert_innen, die im Ausland ausgebildet worden waren, und integrierte sie. Er sorgte für gute Arbeits- und Forschungsbedingungen, aber auch für gute Gehälter. Eine wichtige Voraussetzung, denn qualifiziertes Personal ist auch bei der Konkurrenz in Chile oder Argentinien gefragt.
Inzwischen ist Gonzaléz an die Spitze der YLB berufen worden. Die Abkürzung steht für Yacimientos de Litio Bolivianos, auf deutsch: Bolivianische Lithium-Vorkommen. Die Personalie gilt als Indiz dafür, dass Boliviens Regierung am Traum von der Batterieproduktion en Gros festhalten will.
Die 66 Mitarbeiter_innen in La Palca produzieren heute alle gängigen Batterietypen. »Wir sind ein Zwitter zwischen Forschungseinrichtung und Pilotfabrik, machen Grundlagenforschung und Produktentwicklung in einem«, erklärt Jorge Balboa. Balboa ist Ende Dreißig und Chemiker, er hat in Frankreich studiert. Seine Ambitionen gehen aber über die Möglichkeiten der Pilotanlage hinaus: »Für die semiindustrielle und industrielle Nutzung brauchen wir ganz andere Anlagen, mehr Expertise und vor allem einen Markt für unsere Produkte«, so schildert der Chemiker die Herausforderungen, vor denen die ehrgeizigen YLB-Verantwortlichen stehen.
Derzeit beliefert die Fabrik vor allem Quantum. Das Unternehmen aus Cochabamba baut das erste Elektromobil Boliviens und setzt seit Oktober 2019 auf Akkus aus bolivianischer Produktion. Größere Reichweite und weniger Gewicht seien ausschlaggebend gewesen, frohlockte Vize-Energieminister Luis Alberto Echazú damals im Interview. Der Erfolg geht auf kontinuierliche Forschung zurück, für die das KachiCar der Pilotfabrik steht. Neue Akkus kommen in dem schmucken Cabriolet zuerst zum Einsatz - und nicht nur Ex-Präsident Evo Morales, sondern auch der derzeit regierende Luis Arce haben darin bereits Platz genommen.
Für Experten wie George Campanini vom Forschungszentrum CEDIB in Cochabamba ist das aber nicht viel mehr als Marketing. Nach dem Scheitern der Verträge mit dem deutschen Unternehmen ACI-Systems Ende 2019 sei es ruhig geworden um die Batterieproduktion des Landes. »Niemand weiß, ob es einen neuen Kooperationspartner gibt«, so der Umweltanalyst. Deutsche Medien berichteten allerdings über neue Annäherungen zwischen dem deutschen Mittelständler und YLB. Eine internationale Zusammenarbeit wäre laut Campanini entscheidend, um den Traum der industriellen Produktion eigener Batterien in die Realität umzusetzen. »Außer dem Lithium muss Bolivien alles rund um die Batterien importieren. Daher ist die Produktion in China oder Indien schlicht billiger«, meint Campanini.
Vielleicht ist das der Grund, weshalb es zuletzt ruhiger geworden ist um YLB und Gonzaléz. Die Lithium-Industrie bleibt ein bolivianischer Traum.
Der Autor: Knut Henkel ist Journalist in Hamburg und regelmäßig in Lateinamerika unterwegs.