Aus den Projekten: Mehr als ein reines Hochschulprogramm
Wissensvermittlung und internationale Vernetzung von Gewerkschaftsarbeit sind die Ziele der Global Labour University. Das wissen auch die Inderin Aparna Roy und die Pakistanerin Shaheena Kausar zu schätzen, die beide Stipendiatinnen des DGB Bildungswerks sind.
Im Grunde war es »Der Alchemist« von Paulo Coelho, der Aparna Roy aus Kerala in Südindien nach Kassel geführt hat. Zumindest habe der Roman über einen jungen Hirten auf der Suche nach dem Glück ihr klar gemacht, dass ihre gewerkschaftliche Arbeit mit Näherinnen und Hausangestellten eine internationale Perspektive brauche. »Deshalb studiere ich an der Global Labour University«, sagt sie.
Dafür nimmt Aparna »ein sportliches Programm« auf sich, wie die Koordinatorin der Universität, Simone Buckel, erklärt. Um den Master Labour Policies & Globalisation der Global Labour University (GLU) zu erwerben, müssen die Studierenden sich zwei Semester lang beispielsweise mit internationalen Arbeitsstandards, fairen Lohnstrategien in der globalen Wirtschaft und Arbeitsqualität in globalen Lieferketten beschäftigen. Sie machen ein sechswöchiges Pflichtpraktikum in Brüssel oder Genf bei einer internationalen Gewerkschaftsorganisation oder der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO). Hinzu kommen Exkursionen, Workshops und Treffen mit Alumni. Zulassungsvoraussetzung ist ein abgeschlossenes Hochschulstudium in Recht, Sozialwissenschaften, Wirtschaft oder Pädagogik. »Alle, die an unserem Programm teilnehmen«, sagt Koordinatorin Buckel, »haben Vorerfahrung mit Arbeitsthemen. Sie engagieren sich in Gewerkschaften oder in Organisationen, die zu Arbeitsthemen arbeiten.« Andere hatten einen Arbeitsfokus in ihrem Studium.
Aparna Roy hat Wirtschaftswissenschaften in Kerala und Development in Bangalore studiert. Nach ihrem Master arbeitete sie für die Asia Floor Wage Alliance, eine NGO, die für existenzsichernde Löhne und Vereinigungsfreiheit sowie gegen geschlechtsspezifische Gewalt in der Bekleidungsproduktion kämpft. Die 25-Jährige hat schon früh erlebt, »wie Frauen in unserer Gesellschaft in Bezug auf Löhne und andere Leistungen diskriminiert wurden«. Ihre Mitstudentin Shaheena Kausar kommt aus Pakistan. Die 39-Jährige hat Politikwissenschaften in Punjab studiert und als Organizerin bei der Frauengewerkschaft WWU gearbeitet, die zur Muttahida Labour Federation gehört. Shaheena hatte bereits Kontakte zu deutschen Gewerkschaften, bevor sie sich für ein Stipendium bei der GLU beworben hat. »Ich habe in Pakistan eng mit der Friedrich-Ebert-Stiftung zusammengearbeitet.« Beide Gewerkschafterinnen sind Stipendiatinnen des DGB Bildungswerks, das Stipendium ist aus Mitteln des BMZ finanziert. »Als Kind einer indischen Mittelschichtsfamilie könnte ich mir einen Studienaufenthalt im Ausland sonst gar nicht leisten«, sagt Aparna Roy.
Pro Jahrgang absolvieren im Schnitt zwischen 15 und 20 Studierenden die Kurse der GLU, die meisten von ihnen kommen aus Ländern des globalen Südens. Regulär findet ein Semester an der Universität Kassel und eines an der Hochschule für Wirtschaft und Recht in Berlin statt. »Während die Seminare in Berlin eher einen ökonomischen Ansatz verfolgen, setzen die Dozent_innen in Kassel auf politikwissenschaftliche Themen«, erklärt Koordinatorin Buckel. Wie schreibt man policy papers? Was gibt es für Organisationen im gewerkschaftlichen Umfeld? Wie entwickeln sich Löhne, Wertschöpfung und Arbeitskämpfe entlang der globalen Lieferketten? Welche internationalen Instrumente gibt es, um Arbeitsrechte durchzusetzen? Der Lehrplan wurde gemeinsam von Universitäten und Gewerkschaften aus der ganzen Welt entwickelt.
Partneruniversitäten gibt es in Brasilien, Indien, Südafrika und in den USA. Entsprechend weit gestreut ist der Kreis der Alumni. An die 450 Absolvent_innen gibt es inzwischen. Ein Netzwerk, das die GLU mit einem jährlichen Workshop für je 30 bis 40 Ehemalige pflegt. »Wir sind kein reines Hochschulprogramm, wir vernetzen die Kolleg_innen weltweit, um so zu einer engeren Zusammenarbeit zwischen Gewerkschaften in Zeiten der Globalisierung beizutragen«, sagt Simone Buckel. Die Universität soll mehr sein als ein Ort akademischer Wissensvermittlung.
Dazu tragen letztlich die Master-Kandidat_innen selbst bei. Aparna etwa kann ihre gewerkschaftlichen Erfahrungen aus Kerala und Assam in die Diskussionen in Kassel einbringen. Bei der Asia Floor Wage Alliance hat sie als Kampagnenkoordinatorin für Südindien gearbeitet und dort kleinere Bekleidungsgewerkschaften vernetzt und zu geschlechtsspezifischer Gewalt recherchiert. Bei der Frauengewerkschaft AMTU in Kerala hat sie Projektarbeit geleistet. AMTU wurde mit Streiks für Sitzgelegenheiten und Toiletten für Verkäuferinnen im Textil- und Einzelhandelssektor bekannt. In Assam hat Aparna mit Hausangestellten gearbeitet, die vielfältigen Diskriminierungen und Übergriffen ausgesetzt sind. »Die GLU gibt uns Studierenden die Gelegenheit, unsere Erfahrungen zu teilen – mit Arbeitsfragen, Kämpfen und Gewerkschaftsstrategien in verschiedenen Sektoren und in verschiedenen Ländern«, so beschreibt Aparna, was ihr mit das Wichtigste an den Seminaren in Deutschland ist.
Nach dem Ende ihres Masterstudiums in Deutschland wollen Aparna und Shaheena wieder ihre Gewerkschaftsarbeit in Kerala und Punjab aufnehmen. Shaheena ist inzwischen überzeugt, dass »jeder Gewerkschaftsaktivist Wirtschaftswissenschaften und internationale Wirtschaftsgeschichte studieren sollte«.
Autorin: Uta von Schrenk
Info: www.global-labour-university.org
April 2020
Bild oben: Stipendiatinnen des DGB Bildungswerk an der Global Labour University