Kaffeegenuss in Deutschland und Verbrechen in Brasilien – Unrecht entlang deutscher Lieferketten
Ein Text unserer Partnerorganisation Repórter Brasil
01.07.21 I Ob Rindfleisch, Orangensaft, Kaffee oder Kakao – fast immer ist der Verzehr von Lebensmitteln mit Unrecht und schwerwiegenden Folgen für die Umwelt in den Erzeugerländern verbunden.
Der Klimawandel und die Ausbeutung von Arbeiter_innen hängen eng mit unserem Lebensmittelsystem zusammen. Nun startet im September die europaweite Kampagne “Our Food. Our Future” (Unser Essen, unsere Zukunft), um globale Probleme wie Umweltzerstörung, Flucht und Vertreibung zu bekämpfen.
Die von der deutschen Menschenrechts-NRO Christliche Initiative Romero (CIR) initiierte Kampagne setzt sich für den nachhaltigen Wandel des Ernährungssystems sowie faire Agrarlieferketten ein. Dominik Groß, Referent für Menschenrechte und Klimaschutz in Agrarlieferketten bei CIR erklärt in einem Interview für das DGB-Bildungswerk BUND: „In unseren Augen ist das Ernährungssystem kaputt, für viele Menschen und die Umwelt funktioniert es nicht“. Am Anfang der Wertschöpfungsketten entstünden Kosten, die auf keinem Kassenbon stehen. Das seien Belastungen auf dem Rücken der Arbeiter_innen oder Zerstörungen der Umwelt wie die Rodung riesiger Waldflächen, so Groß weiter (Zum vollständigen Interview).
„In unseren Augen ist das Ernährungssystem kaputt, für viele Menschen und die Umwelt funktioniert es nicht“, Dominik Groß, Referent für Menschenrechte und Klimaschutz in Agrarlieferketten.
Folgen für Umwelt und Arbeit in den Erzeugerländern
Die Kampagne setzt auf Informationen über die Ausbeutung und Naturzerstörung entlang deutscher bzw. europäischer Lieferketten, die die brasilianische Menschenrechtsorganisation und Partner des DGB-Bildungswerkes BUND, Repórter Brasil, zusammengestellt hat. In einer aktuellen Studie berichtet Repórter Brasil von gravierenden Menschenrechtsverletzungen sowie Regenwaldrodung beim Anbau von Orangen, Kaffee und Kakao oder der Rinderzucht in Brasilien. Die Studie mit dem Namen „Von Brasiliens Farm auf den europäischen Tisch – Umwelt- und Arbeitsrechtsverstöße in landwirtschaftlichen Lieferketten zwischen Brasilien und der Europäischen Union (Rindfleisch, Orangen, Kaffee und Kakao)“ zeigt anhand der Geschäfte mit diesen Agrarprodukten wie notwendig eine stärkere Sorgfaltspflicht europäischer Unternehmen für ihre Lieferketten aber auch die Verantwortung der Verbraucher_innen hierzulande ist. Schließlich machten Kaffeebohnen (8,9 Prozent), Fruchtsäfte (3,5 Prozent) und Rindfleisch (2,7 Prozent) im vergangenen Jahr mehr als 1/6 aller über den Atlantik verschifften Waren im Wert von 28,3 Milliarden US-Dollar aus. Doch insbesondere die Produktionsverhältnisse in diesen Bereichen sorgen seit Jahren für negative Schlagzeilen. Sie tragen dazu bei, die chronische Armut im ländlichen Raum zu erhöhen und befördern Landkonflikte. Im Folgenden stellen wir die Probleme entlang von vier Lieferketten vor.
Rindfleisch
Der weltweit wachsende Wohlstand der letzten Jahrzehnte hat zu einer enormen Nachfrage nach billigem Fleisch geführt – auf Kosten der Umwelt und der Arbeitsbedingungen. Als Folge sprang Brasiliens Fleischproduktion in den Jahren 1975 bis 2017 um 642 Prozent in die Höhe. Der Rinderbestand verzehnfachte sich und stieg in dem Zeitraum von 8,4 auf 87 Millionen Tiere. Dies wiederum führte zu einem stetig wachsenden Bedarf nach Weideland. Die Studie von Repórter Brasil hebt hervor, dass heute auf 65 Prozent der gerodeten Amazonas-Flächen Rinder grasen. Ein großer Teil dieser Rinder landet in deutschen Supermarktregalen. Rund 17 Prozent aller in Deutschland erhältlichen Rindersteaks, stammen von Weideland, für das Urwälder gerodet wurden. Fast jedes zweite Steak stammt von Flächen, deren Ursprung nicht eindeutig geklärt ist. Doch nicht nur die Regenwaldvernichtung, sondern auch die Viehhaltung an sich hat dramatische Folgen für das Klima. Die Rinder stoßen beträchtliche Mengen an Methangas aus. So gehen jüngsten Studien zufolge 1/5 der CO²-Emissionen aus der gesamten Tropenregion des Planeten allein auf die brasilianische Viehzucht zurück.
Rund 17 Prozent aller in Deutschland erhältlichen Rindersteaks, stammen von Weideland, für das Urwälder gerodet wurden.
Neben den negativen Folgen für die Umwelt ist die brasilianische Viehzucht Spitzenreiterin bei Menschenrechtsverletzungen. Mehr als die Hälfte aller aufgedeckten Fälle von sklavereiähnlicher Arbeit zwischen 1995 und 2020 entfallen in Brasilien auf diesen Sektor. Von den insgesamt 17.253 Arbeiter_innen, die in dieser Zeit aus Schuldknechtschaft, Zwangsarbeit oder unwürdigen Arbeitsbedingungen befreit wurden, arbeiteten 1/3 in der Rinderzucht.
Orangen
Der zweite Schwerpunkt der Studie wirft einen Blick auf den brasilianischen Orangenanbau. Orangensaft ist mit einem Anteil von 35 Prozent der weltweit beliebteste Fruchtsaft. Der größte Teil wird in Europa konsumiert. Wie bei der Rinderzucht hat Brasilien beim Anbau von Orangen eine Monopolstellung inne. Laut dem Verband der brasilianischen Orangensaft-Exporteure, der CitrusBR, haben drei von fünf Gläsern O-Saft, die auf der Welt getrunken werden, ihren Ursprung auf brasilianischen Plantagen. Allein bei der Ernte 2019/2020 pflückten brasilianische Landarbeiter_innen 96 Mrd. Orangen, um den globalen Durst nach dem gelben Getränk zu stillen. Doch nur wenige profitieren von dem Geschäft. Gerade einmal drei Unternehmen, Cutrale, Citrosuco und Louis Dreyfus Company (LDC), beherrschen den lukrativen brasilianischen Exportmarkt. Gleichzeitig stehen sie immer wieder wegen massiver arbeitsrechtlicher Verstöße im öffentlichen Fokus. So berichtet Repórter Brasil von zwei Fällen aus den Jahren 2019 und 2020, bei denen Zulieferer der Citrosuco als auch der Cutrale Arbeiter_innen unter sklavereiähnlichen Bedingungen ausbeuteten. Dabei waren die Arbeiter_innen durch Schuldknechtschaft an die Plantagen gebunden, erhielten keinen regulären Lohn, oder es standen keinen sanitären Anlagen zur Verfügung.
Ungleiche Gewinne: Brasiliens Orangen-Pflücker_innen verdienen nur fünf Prozent dessen, was in deutschen Supermärkten für O-Saft bezahlt wird. Foto: Marcos Weiske, Repórter Brasil.
Generell problematisch in der Lieferkette von Orangensaft ist die äußert ungleiche Gewinnschöpfung. Häufig verdienen die Beschäftigten auf den Plantagen nicht einmal den Mindestlohn, der in Brasilien ohnehin bei nur 170 Euro liegt. So behalten die Pflücker_innen weniger als fünf Prozent dessen, was in den Supermärkten des globalen Nordens für O-Saft bezahlt wird. Bei in Deutschland gehandelten O-Säften gehen statistisch gesehen zwar sieben Prozent des Endwertes an die brasilianischen Landarbeiter_innen zurück – dies ist aber einzig dem Geschäft mit Fair Trade-Produkten zu verdanken. Dabei bleiben noch immer 20 Prozent bei den Supermärkten hängen. In Frankreich oder Großbritannien sind es sogar 40 bzw. 45 Prozent.
Kaffee und Kakao
Kaffee und Kakao bilden die zwei letzten Schwerpunkte der Studie von Repórter Brasil, auf die sich die Kampagne „Our Food, Our Future“ bezieht. Denn auch beim europäischen Import von Kaffee belegt Brasilien den Spitzenplatz unter den Produzenten. Ganze 35 Prozent brasilianischen Kaffees gehen nach Europa, wobei Deutschland mit 17 Prozent der weltweit zweitwichtigste Abnehmer nach den USA ist. Generell führt das südamerikanische Land die weltweite Produktion an und dominiert mit einem Anteil von 27 Prozent den globalen Kaffee-Handel. Mit einem Gesamtwert von 3,8 Mrd. Euro ist Kaffee nach Soja und Mais Brasiliens drittwichtigstes landwirtschaftliches Exportgut. Entsprechend gewaltig sind die Ausmaße des Anbaus. Die Kaffee-Plantagen erstrecken sich über eine Fläche so groß wie das Bundesland Rheinland-Pfalz. Mit rund 360.000 Arbeiter_innen pro Ernte ist der Sektor einer der wichtigsten Arbeitgeber. Doch auf den Plantagen sind die Arbeiter_innen meist schonungslos dem Einsatz von Pestiziden ausgesetzt und verdienen nur einen Bruchteil des Verkaufswerts. Denn obwohl 80 Prozent der Pflücker_innen des Sektors Kleinbäuer_innen sind, kommen nur 35 Prozent der Erlöse dieser Gruppe zugute. Zwei Drittel der Gewinne verbuchen die großen Konzerne. Gerade deren Zulieferer und Sub-Unternehmen machen immer wieder durch Fälle sklavereiähnlicher Arbeit auf sich aufmerksam. Zwischen 2017 und 2020 registrierten die Arbeitsinspekteure des Wirtschaftsministeriums auf Kaffeefeldern 466 Personen in menschenunwürdigen Arbeitsbedingungen. Vermutlich liegt Dunkelziffer bedeutend höher, befürchtet Repórter Brasil. Seit Jahren nehmen die Kontrollen der Regierung ab, wodurch die Zahl aufgedeckter Fälle sinkt.
Generell führt das südamerikanische Land die weltweite Produktion an und dominiert mit einem Anteil von 27 Prozent den globalen Kaffee-Handel.
Ähnliche Missstände werden aus dem Kakao-Anbau berichtet. Verträge mit Subunternehmen und Familienbetrieben erschweren es den Kontrolleuren, die großen Gewinner in den Lieferketten für Menschenrechtsverletzungen, wie beispielsweise die Beschäftigung von Kindern, verantwortlich zu machen. Entgegen diversen Hinweisen auf unwürdige oder ausbeuterische Verhältnisse zeigte die brasilianische Regierung in den letzten 20 Jahren kein Interesse, die Arbeitsbedingungen auf Kakaoplantagen zu kontrollieren. Nur 29 Betriebe wurden in der ganzen Zeit von staatlichen Inspekteuren aufgesucht. Bei diesen wenigen Inspektionen wurden dennoch 191 Fälle von sklavereiähnlicher Arbeit festgestellt, was die Dringlichkeit weiterer Inspektionen untermauert. Zwar belegt Brasilien bei Kakao keinen Spitzenplatz mehr unter den Produzenten wie noch in den 1970er Jahren. Und verglichen mit den Einnahmen aus dem Kaffeeexport fallen die 250 Millionen Euro aus dem Kakao-Geschäft gering aus. Nichtsdestotrotz hat Europa eine herausragende Verantwortung, wenn es um die Sorgfaltspflicht in diesen Lieferketten geht. Denn im letzten Jahr importierte die EU 60 Prozent des weltweiten Kakaos; allein elf Prozent werden in Deutschland konsumiert. Hier konzentriert sich auch die Wertschöpfung. Gerade einmal vier Konzerne – Ferrero, Mars, Mondeléz und Nestlé – produzieren die Hälfte der weltweit konsumierten Schokolade. Und auch in Brasilien haben sich nur drei Kakao verarbeitende Firmen – Olam International, Barry Callebaut und Cargill – den Markt unter sich aufgeteilt. Ihre Marktdominanz und ihre Gewinne beruhen auf den kritischen Arbeitsbedingungen am Anfang der Lieferkette. Die Kampagne „Our Food, Our Future“ will diese Zustände verändern.
Autor_innen: Fernanda Sucupira und Maurício Hashizume, Repórter Brasil
Übersetzung/Redaktion Juni 2021: Mario Schenk
Hinweis: Es handelt sich um eine kontextualisierte Übersetzung mit zusätzlichen, erklärenden Informationen. Der Originaltext erschien am 18.03.21.
Diese Reportage wurde mit Unterstützung des DGB-Bildungswerk BUND im Rahmen des Projekts Gewerkschaften in Lateinamerika stärken – Ungleichheit bekämpfen produziert und aus Mitteln des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung finanziert. Für den Inhalt der Reportage ist ausschließlich Repórter Brasil verantwortlich.
Übersetzung und Redaktion wurden gefördert von Engagement Global mit Mitteln des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung.