Klimakonferenz in Glasgow: Mit Tierfett gegen den Klimawandel? Wie Brasilien bei CO²-Zertifikaten schwindelt
Ein Text unserer Partnerorganisation Repórter Brasil
30.11.21 | Auf der Weltklimakonferenz in Glasgow präsentierte die brasilianische Regierung ein Programm, das die Treibhausgase verringern soll. Tatsächlich ermöglicht dieses Programm Fleischkonzernen, die Klimaziele zu untergraben und vom Verkauf von CO²-Zertifikaten zu profitieren.
Bei seinem Auftritt auf der COP26 in Glasgow lobte Brasiliens Bergbau- und Energieminister, Bento Albuquerque, die Bemühungen seines Landes, Benzin und Diesel durch Biokraftstoffe zu ersetzen. Das entsprechende Programm namens RenovaBio helfe, die Treibhausgasemissionen des größten lateinamerikanischen Landes zu senken, indem Unternehmen für die Herstellung von Biokraftstoffen CO²-Zertifikate erhalten und auf dem Emissionsmarkt verkaufen können. „Das Programm ist Gold wert. Richtig angewandt, dient es der ganzen Gesellschaft und dem Ausstieg aus den fossilen Brennstoffen“, so Albuquerque Anfang November in Glasgow.
Auf den ersten Blick ist RenovaBio vielversprechend. In nur zwei Jahren ermöglichte das 2017 eingerichtete Förderprogramm der Regierung, 40 Millionen Tonnen Treibhausgase einzusparen. Doch ein zweiter Blick offenbart eine Schwachstelle, von der ausgerechnet jener Sektor profitiert, der am meisten Treibhausgase verursacht: die Landwirtschaft. Vor allem die großen, international agierenden Fleischkonzerne, wie JBS und Minerva, deren Aktivitäten eng mit Regenwaldrodungen verbunden sind, fahren durch die Förderung zusätzliche Gewinne in Millionenhöhe ein.
Der Clou besteht darin, dass RenovaBio den Fleischkonzernen ermöglicht, neben Fleisch und Wurst auch Biodiesel auf Basis von Tierfett zu produzieren und sich diesen Beitrag zur Einsparung fossiler Kraftstoffe im Emissionshandel vergolden zu lassen. Dabei unterstellt diese Praxis jedoch, dass die Fleischproduktion der Atmosphäre Kohlenstoffdioxid entzieht, obwohl die Viehzucht in hohem Maße zur weltweiten Erwärmung beiträgt.
Dabei unterstellt diese Praxis jedoch, dass die Fleischproduktion der Atmosphäre Kohlenstoffdioxid entzieht, obwohl die Viehzucht in hohem Maße zur weltweiten Erwärmung beiträgt.
Auf diese Weise konnte der Fleischmulti JBS mit der Produktion von Biodiesel im vergangenen Jahr 430.000 CO²-Zertifikate ausgeben, was einer Einsparung von 430.000 Tonnen Kohlenstoff entspräche. Bei dem damaligen Durchschnittspreis von 7,50 Euro pro CO²-Zertifikat steigerte der weltgrößte Produzent tierischer Proteine damit seinen Gewinn um weitere 3,3 Millionen Euro. Darin ist der Gewinn aus dem Verkauf des Biodiesels noch nicht mitgerechnet. Der Minerva-Konzern, ein weiterer Gigant der Viehwirtschaft, zertifizierte seine Biodiesel-Anlage bei RenovaBio im Mai dieses Jahres. Die aktuelle Produktionskapazität erlaubt dem Konzern zusätzliche Einnahmen in Höhe von rund 600.000 Euro durch den Emissionshandel.
Der Biodiesel von JBS und Minerva besteht aus Tierfett, das die Fleischproduzenten über ihre Schlachthöfe gewinnen. Die Möglichkeit, dass das Schlachtvieh von Weideflächen stammt, für die zuvor Wald gerodet wurde, ist sehr groß. Denn Fakt ist, dass 90 Prozent der gerodeten Flächen im Amazonasgebiet anschließend in Weideflächen umgewandelt werden.
Die staatliche Förderung führt demnach dazu, dass die beiden Unternehmen durch ihre Fleischverarbeitung Kohlenstoffdioxid-Zertifikate vermarkten, obwohl ihre wirtschaftlichen Aktivitäten mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit zur Rodung des Amazonas-Regenwaldes und damit zur Freisetzung von Gasen beitragen, wie Erhebungen des Imazon-Instituts für Regenwaldschutz (Instituto do Homem e Meio Ambiente da Amazônia) zeigen. Auch im Jahr 2020 führte die Entwaldung mit einem Anteil von 46 Prozent der freigesetzten Treibhausgase das Ranking der Klimasünder in Brasilien an. Darauf folgte die Tierzucht, bei der wiederum die Rinderzucht mit 62 Prozent den größten Anteil an Emissionen verantwortete. „Die Viehzucht ist zweifellos ein Hauptverursacher von Treibhausgasen in Brasilien“, fasst die Klimaforscherin Renata Potenza vom Imazon ihre Kritik an der aktuellen Förderpolitik zusammen.
Erst Anfang Oktober legte die Bundesstaatsanwaltschaft (MPF) Zahlen vor, nach denen in 32 Prozent der Fälle die Herkunft der Schlachtrinder „sozial-ökologische Unregelmäßigkeiten“ aufwies, die der JBS-Konzern aus dem Bundesstaat Pará im Amazonas geliefert bekam. Allein zwischen 2018 und 2019 schlachtete der Fleischkonzern mehr als 285.000 Rinder, die von illegal gerodetem Farmland stammten. Das Unternehmen ging zwar gerichtlich gegen seine Nennung im Zusammenhang mit Rodungen vor, verpflichtete sich aber gegenüber der MPF, kein Fleisch mehr von Zuliefererbetrieben zu beziehen, gegen die wegen Umweltverstößen ermittelt wurde. Im Fall der Minerva ermittelte die Staatsanwaltschaft keine Verstöße bei Zulieferbetrieben in Pará. Doch Recherchen von Repórter Brasil ergaben, dass das Unternehmen Rinder schlachtete, die von gerodetem Weideland aus anderen Bundestaaten stammten.
Auf Anfrage erklärte JBS, dass das Unternehmen „eine verantwortungsvolle Beschaffungspolitik seiner Rohstoffe gegenüber seinen direkten Zulieferern verfolgt" und ein Programm eingeführt hat, das selbst „die Zulieferer der Zulieferer" an soziale und ökologische Richtlinien bindet. Die Minerva erklärte gegenüber Repórter Brasil, „dass es als erstes Unternehmen des Sektors Anstrengungen unternimmt, um selbst die indirekten Lieferbetriebe in der Lieferkette zu kontrollieren“ sowie Maßnahmen zur Senkung seiner Emissionen ergriffen habe.
Schwachstellen im System
Würde der Biodiesel von JBS oder Minerva auf Basis von Soja hergestellt, sähe die Geschichte ganz anders aus. Denn RenovaBio stellt keine CO²-Titel für pflanzliche Biokraftstoffe aus, dessen saubere Herkunft nicht einwandfrei belegt ist. Dafür ist es notwendig, dass die Hersteller beweisen, dass es entlang der gesamten Lieferkette zu keinen illegalen Rodungen kam. Soja, das auf illegal gerodeten Flächen angebaut wurde, darf zwar zur Produktion von Biodiesel verwendet werden. Es werden dafür aber keine Zertifikate für den Emissionshandel ausgestellt.
Erst Anfang Oktober legte die Bundesstaatsanwaltschaft (MPF) Zahlen vor, nach denen in 32 Prozent der Fälle die Herkunft der Schlachtrinder „sozial-ökologische Unregelmäßigkeiten“ aufwies.
Beim Tierfett gelten andere Regeln. Denn überschüssiger Talg und Fett gelten als industrielle Abfallprodukte in der Fleischproduktion. Diese Regelung lässt die Lieferkette der Viehzucht völlig unberücksichtigt, so als ob die Herkunft der Tiere der Schlachthof und nicht die Farm ist. Auf Behördenebene ist dieser Widerspruch bekannt. “Das wäre eine Verdrehung, die wir nicht gerne sehen würden. Es entspricht aber den derzeitigen Bestimmungen der RenovaBio“, bestätigt Felipe Bottini, der im Auftrag der Bundesbehörde für Erdöl, Erdgas und Biokraftstoffe (Agência Nacional do Petróleo, Gás Natural e Biocombustíveis, ANP) die Zertifizierungen für RenovaBio durchführt.
Die ANP rechtfertigt ihre Entscheidung damit, dass die Weiterverarbeitung von Tierfetten (in der Produktion von Biokraftstoffen) „die Abfallverwertung dieses Materials als ein Folgeprodukt ermöglicht“. Und der Vorsitzende der nationalen Forschungseinrichtung für Landwirtschaft, Embrapa, und Entwickler der RenovaBio, Marcelo Morandi, verteidigt den Ruf des Programms damit, dass die allgemeinen Richtlinien der RenovaBio international anerkannt seien.
Nur die Fleischwirtschaft profitiert
Die Idee, das überschüssige Tierfett weiterzuverarbeiten, entstand nicht erst mit dem Programm RenovaBio. Bevor es zum Rohstoff für Biodiesel wurde, kam es bereits in der Herstellung von Reinigungsmitteln, Farben und Lacken zum Einsatz – ein weiteres Feld, auf dem die Fleisch- und Wurstproduzenten tätig sind. Doch mit der weltweit steigenden Nachfrage nach Fleisch ist ein Überschuss an Tierfetten verbunden, den die herkömmlichen Märkte nicht mehr verarbeiten können. „Indem Brasilien zum größten Exporteur von Tierproteinen weltweit geworden ist, sind die Mengen an Rinderfett zu groß, um von den bisherigen Absatzmärkten absorbiert zu werden. Der Biodiesel ist deshalb wichtig, weil er eine nachhaltige Nutzung ermöglicht“, begründet Sergio Beltrão, Geschäftsführer des brasilianischen Biodieselverbandes (União Brasileira do Biodiesel e Bioquerosene) die Verarbeitung zu Benzinersatz.
Doch im Gegensatz zum Biokraftstoff ist es bei keiner anderen Verwendung von Rinderfett zulässig, dass Schlachthöfe für seine Herstellung Emissionsgutschriften erzeugen und verkaufen. „Das ist eine Schwachstelle im Programm, die man verbessern könnte“, gibt Morandi von der Embrapa zu.
RenovaBio wurde 2017 von der brasilianischen Regierung ins Leben gerufen, um die Ziele des Pariser Klimaabkommens zu erreichen und einen weltweiten Temperaturanstieg von mehr als 2 °C zu verhindern. Sein Schwerpunkt liegt darum auf der Dekarbonisierung des Verkehrssektors, der einen großen Teil der Treibhausgasemissionen Brasiliens ausmacht.
Aus diesem Grund hat das Programm einen CO²-Markt etabliert: Einerseits sind die Kraftstoffhändler gezwungen, die Emissionstitel zu kaufen, um die CO²-Emissionen der von ihnen verkauften fossilen Kraftstoffe auszugleichen. Andererseits bescheinigt es Biokraftstoffherstellern mittels der Zertifikate, dass ihre Produkte im Gegensatz zu ihren fossilen Verwandten CO² einsparen – aber das nur in der Theorie, wie der Fall zeigt.
„Das Programm war zweifellos ein Erfolg und hat seinen Zweck erfüllt. Es befindet sich aber in einem kontinuierlichen Verbesserungsprozess. Man muss schauen, wie es auf andere Lieferketten übertragen werden kann. Die Wirtschaft verändert sich und die Forderung nach Rückverfolgbarkeit entlang der Lieferketten, wie im Fall der Fleischproduktion, könnte RenovaBio effektiver machen“, schließt Morandi.
Autorin: Naira Hofmeister/ Repórter Brasil
Übersetzung/Redaktion November 2021: Mario Schenk
Hinweis: Es handelt sich um eine kontextualisierte Übersetzung mit zusätzlichen, erklärenden Informationen. Eingeschobene Absätze sind von der Redaktion erstellt. Der Originaltext erschien am 08.11.21.