Lieferkettengesetz und Mitbestimmung: Hebel für Betriebsräte und Gewerkschaften
29.09.2021 Mit dem neuen Lieferkettengesetz müssen Unternehmen die Vertretungen der Arbeitnehmer_innen beim Schutz der Menschenrechte, der Umwelt-, Arbeits- und Sozialstandards einbeziehen. Was das heißt? Eine Analyse von Carola Dittmann von der Stiftung Arbeit und Umwelt der IG BCE.
Unser globales Wirtschaftsgefüge hat Auswirkungen auf Mensch und Umwelt – positive, viel zu oft aber negative. Nach wie vor erreichen uns regelmäßig Berichte über schlechte Arbeitsbedingungen, Umweltverschmutzung und ausbeuterische Geschäftsmodelle – in Deutschland und in Europa, jedoch noch viel ausgeprägter in Ländern des Globalen Südens. Bislang haben Mitbestimmungsakteur_innen wenig Einfluss, einem race-to-the-bottom durch Verlagerung von Produktion oder die Auswahl von Lieferantenbeziehungen auf Kosten von Umwelt-, Arbeits- und Sozialstandards entgegenzuwirken. Menschenrechtliche Sorgfaltsprozesse finden entweder gar nicht oder auf Basis freiwilliger Selbstverpflichtungen auf Managementebene statt. Arbeitnehmer_innenvertretungen sind – wenn überhaupt – nur punktuell in entsprechende Prozesse einbezogen.
Mit dem im Juni 2021 verabschiedeten Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) werden Unternehmen verpflichtet, Verantwortung zur Einhaltung grundlegender Arbeitnehmer_innen- und Menschenrechte zu übernehmen – nicht nur im eigenen Unternehmen und eigenen Land, sondern überall auf der Welt, wo sie direkte oder indirekte Geschäftsbeziehungen pflegen. Bei Verstößen drohen Bußgelder oder auch der Ausschluss von öffentlichen Aufträgen.
Die Ausübung dieser unternehmerischen Sorgfaltspflicht ist ein dauerhafter Prozess, der eine wirksame Beteiligung von Gewerkschaften und Arbeitnehmer_innenvertretungen erfordert. Das setzt voraus, dass ihre Einbindung in der alltäglichen betrieblichen Ausgestaltung sichergestellt ist und nicht auf der Ebene von einzelnen Initiativen und Beispielen verharrt. Dieser Anspruch wurde mit der finalen Fassung des LkSG unterstrichen, die gegenüber früheren Entwürfen insbesondere die Rechte der Betriebsrät_innen stärkt. Gewerkschaften können nun, neben Nichtregierungsorganisationen, gegen grobe Missstände klagen, was bisher nur den Geschädigten selbst möglich war.
Das im LkSG verankerte umfassende Informationsrecht des Wirtschaftsausschusses verpflichtet Arbeitgeber_innen, rechtzeitig und umfassend zu allen Fragen der unternehmerischen Sorgfaltspflicht zu informieren sowie jegliche erforderlichen Unterlagen vorzulegen. Die Informationspflicht bewirkt zwar keine unmittelbaren Mitbestimmungsrechte, diese lassen sich aber durch den gesetzlich vorgeschriebenen Beschwerdemechanismus ableiten.
Der Betriebsrat muss sowohl zustimmen, dass das Beschwerdeverfahren im Unternehmen implementiert wird, als auch dass die Beschäftigten entsprechend geschult werden sollen. Durch Qualifizierungen muss sichergestellt werden, dass die eigenen Beschäftigten die Menschenrechtsstrategie sowie entsprechende Verhaltenskodizes und Richtlinien kennen, verstehen und richtig anwenden.
Damit die Akteur_innen in der Mitbestimmung und den Gewerkschaften ihre Rechte wahrnehmen und ihren Pflichten nachkommen können, müssen Kompetenzen und Netzwerke aufgebaut, erneuert und erweitert werden. Neben gezielten Schulungen, speziellen Handlungsanleitungen und dem Erfahrungsaustausch in gewerkschaftlichen Netzwerken sind die grenzüberschreitende Stärkung von Arbeitsbeziehungen, Gewerkschaften und Arbeitnehmer_innenvertretungen sowie des sozialen Dialogs wesentlich.
Eine wichtige Rolle spielen hierfür Globale Rahmenvereinbarungen (GRV). Die in ihnen vereinbarten Grundsätze sind weltweit an allen Standorten des unterzeichnenden Unternehmens und in die Lieferkette hinein wirksam. Die so festgeschriebenen Arbeitsbeziehungen und Konsultationsprozesse zwischen Gewerkschaften, Arbeitnehmervertretungen und dem Management helfen unter anderem, menschenrechtliche Risiken zu identifizieren, die Wirksamkeit ergriffener Maßnahmen zu überprüfen und wirksame Beschwerdemechanismen zu etablieren. Eine strukturierte Einbindung und Befähigung von lokalem Management sowie Arbeitnehmer_innenvertretungen in den Produktionsländern, beispielsweise des Globalen Südens, sind zentrale Elemente des Erfolgs.
Die Verbesserung der allgemeinen menschenrechtlichen Lage in internationalen Wertschöpfungsketten ist nicht nur ein Beitrag zu globalen Grundwerten, sondern mittelfristig auch der einzige Weg, den weltweiten Prozessen des Sozialdumpings und der Schwächung von Arbeitnehmer_innenrechten entgegenzuwirken. Dafür setzen sich sowohl Gewerkschaften als auch die unternehmerischen und betrieblichen Mitbestimmungsakteur_innen in ihrer täglichen Arbeit ein.
Die Autorin: Carola Dittmann, Bereichsleiterin CSR und Mitbestimmung, Stiftung Arbeit und Umwelt der IG BCE