
Pflegearbeit Japan - Die Grenzen des Roboters
Pflegearbeit Japan – Die Grenzen des Roboters
Das japanische Wirtschaftministerium fördert die Automatisierung von Pflegearbeiten. Als Hilfsmittel gegen Rückenschmerzen der Pfleger seien die auch »sehr gut«, sagt ein Gewerkschafter. Nur: An der schlechten Entlohnung der Pflegekräfte ändert das nichts.
Ein Bett, das sich in einen Rollstuhl verwandeln kann – so sieht einer der ersten kommerziellen »Pflegeroboter« in Japan aus. Bett und Matratze sind der Länge nach geteilt. Eine Hälfte lässt sich abkoppeln und formt sich durch einen Elektromotor in einen Sitz auf Rädern um. Bettlägerige müssen nicht mehr hochgehoben und in einen Rollstuhl gesetzt werden. Das Rollstuhlbett findet sich bereits an mehreren hundert Standorten in Japan.
Trotz des simplen Konzepts benötigte der Hersteller Panasonic viele Jahre, das Bett zur Marktreife zu bringen. Das lag nicht nur an den hohen Sicherheitsanforderungen durch den neuen ISO-Standard für Maschinen in der Pflege, sondern auch an konzeptionellen Hürden. Ursprünglich bauten die Ingenieur_innen einen humanoiden Roboter, der liegende Menschen greifen und tragen konnte. Aber Testpersonen störten sich an der Größe der Maschine und ihrem toten Gesicht. »Richtige Pflegeroboter müssen sich selbstständig bewegen und mit Menschen physisch Kontakt aufnehmen können«, sagt Roboterforscher Shigeki Sugano von der Universität Waseda. »So weit sind wir aber noch nicht.«
Auch der emotionale Teil der Pflege lässt sich nur schwer ersetzen. Die Babyrobbe Paro mit schwarzen Knopfaugen und weißem Kuschelfell reagiert dank vieler Sensoren und Motoren wie ein echtes Tier auf einen Menschen und vertreibt Senior_innen in inzwischen 30 Ländern die Einsamkeit. Ihr Entwickler Takanori Shibata vom nationalen Forschungsinstitut AIST zeigt gerne ein eindrucksvolles Video, wie die Robbe einen schreienden Demenzkranken in kurzer Zeit beruhigt. Der Kontakt mit dem Robotertier verringere Angst, Schmerz, Stress und Depression, sagt Shibata. Aber in seinem Video steuert ein Pfleger die Kommunikation zwischen Mensch und Kuschelroboter.
Auch die japanische Regierung hat früh erkannt, dass der Weg zu Robotern als vollständiger Ersatz für menschliche Pflegekräfte noch sehr lange dauert, während der demografische Wandel bereits weit fortgeschritten ist. Mehr als jede_r fünfte Japaner_in ist schon über 70 Jahre alt. Daher wird in den nächsten Jahren die Zahl der Pflegebedürftigen stark zunehmen. Es gibt jedoch schon heute nicht genug ausgebildete Altenpfleger_innen. Springen Angehörige ein, müssen sie ihren Arbeitsplatz aufgeben. Das wiederum verschärft den großen Mangel an Arbeitskräften in Japan.
Daher fördert das Wirtschaftsministerium METI die Automatisierung vieler Pflegetätigkeiten. Zuhause und im Heim treffen Japans Alte künftig auf mehr Computer, mehr Sensoren und mehr Apparate, die auf sie aufpassen und ihnen helfen, länger selbstständig zu bleiben. Die Fördermittel fließen in die Bereiche Trage- und Gehhilfen, Toiletten, Kommunikation und Baden. Vor einem Jahr kam als Fokus die Sammlung, Auswertung und Nutzung aller Daten der maschinellen Helfer dazu, um Pflegebedürftige aus der Ferne beobachten und ihre Lage bewerten zu können.
Mit Exoskeletten zum Beispiel können Pfleger_innen leichter Lasten heben. Bei körperlich eingeschränkten Senior_innen unterstützen sie das Laufen und verhindern bei Schwäche einen Sturz. Ein Sensor in der Windel erkennt den gestiegenen Harndrang und gibt ihren Träger_innen und deren Pfleger_innen frühzeitig ein Warnsignal. Andere Maschinen erleichtern das An- und Ausziehen von Hosen und Unterwäsche und waschen vollautomatisch die Haare.
Japans Gewerkschaften haben zur Technisierung der Pflege bisher keine offizielle Position bezogen. »Aber wir finden robotische Hilfsmittel gegen Rückenschmerzen der Pfleger und Roboter als Aufpasser von alten Leuten sehr gut«, erklärt Akira Somekawa, Sprecher der Nippon Careservice Craft Union (NCCU), mit 80.000 Mitgliedern die größte Gewerkschaft der Pflegenden in Japan. Weil der Bedarf so groß sei, fürchte kein Mitglied, durch einen Roboter die Arbeit zu verlieren. »Wir begrüßen jede Entwicklung, die uns Pflegende entlastet«, betont der NCCU-Sprecher.
Die wahre Sorge der Gewerkschaft gilt der Entlohnung. Pflegekräfte in Japan verdienen im Schnitt monatlich umgerechnet knapp 2.000 Euro und damit rund ein Fünftel weniger als Industriearbeiter_innen. Der Staat schießt zwar seit zehn Jahren monatlich 300 Euro dazu, aber die Lücke ist nicht geschrumpft.
Wenn wie beschlossen ab April mehr Ausländer_innen als Pflegende kommen dürfen und das knappe Geld verstärkt in Maschinen fließt, dürfte sich die Lohnschere erst recht nicht mehr schließen. Das Roboterbett von Panasonic kostet immerhin umgerechnet 8.000 Euro, eine Paro-Kuschelrobbe 3.200 Euro und die Leihgebühr für ein Exoskelett des Marktführers Cyberdyne monatlich 800 Euro.
Martin Fritz arbeitet als Korrespondent in Tokio.