Pflegearbeit Kolumbien - Gewerkschaftsfeindliche Praxis
Krankenschwester Luz Fany Zambrano hat 2011 eine Gewerkschaft initiiert, die binnen drei Jahren auf knapp 11.000 Mitglieder anwuchs. Doch der Erfolg war nur vorübergehend.
Aus den Fenstern des zweiten Stocks hängt eine Girlande aus bunten Buchstaben, die den Satz ergeben: »Das Alter ist die Summe des Lebens.« Das Dutzend Senior_innen am weißen Tisch im prächtigen Innenhof des Altenheims kann sie gut sehen. Die meisten von ihnen kommen aus der kolumbianischen Hauptstadt Bogotá, das Altenheim der Stiftung Francisco de Asís befindet sich eine gute halbe Stunde davon nördlich. Die Bewohner_innen stammen zumeist aus einfachen Verhältnissen, viele haben keine Angehörigen. Krankenschwester María Nazareth, die das Altenheim leitet, meint: »Wir sind auf Hilfe angewiesen.« So reiche es bei der Versorgung mit Medikamenten hinten und vorne nicht.
Das ist nichts Ungewöhnliches. »Engpässe bei der Versorgung von Patienten sind in Kolumbien eher die Regel als die Ausnahme«, kritisiert Luz Fany Zambrano. Die gelernte Krankenschwester ist Vorsitzende von SintraSaludCol – und hat 2011 gemeinsam mit 25 Kolleg_innen die Gewerkschaft initiiert, die binnen drei Jahren auf 10.780 Mitglieder anwuchs. Eine Erfolgsgeschichte – allerdings nur vorübergehend. Denn die Gegner sind mächtig.
Die Arbeitgeber verweigerten organisierten Angestellten den Anschlussvertrag, sagt Zambrano. Kurzzeitverträge über drei Monate oder maximal ein Jahr sind die Regel. SintraSaludCol hat heute wenig mehr als 3.000 Mitglieder. Zambrano wehrt sich gegen die gewerkschaftsfeindliche Praxis. 2012 hat sie ein Jurastudium begonnen, um die Interessen ihrer Kolleg_innen besser vertreten zu können. Sie meint: »Die internationale Debatte über notwendige Investitionen in die Pflege, die von der Internationalen Arbeitsorganisation angeschoben wurde, spielt hier kaum eine Rolle. Wir müssen erst einmal strukturelle Reformen auf den Weg bringen.«
Kern allen Übels sei das Gesetz 100, das 1993 verabschiedet wurde und das System de facto privatisiert habe, erklärt Zambrano. »Damals wurden die EPS, die Fördereinheiten für die Gesundheit, als maßgebliche Instanz für die Finanzierung von Krankenhäusern, Gesundheitsposten und Ärzten eingeführt. An sie schüttet der Staat die Mittel aus, und das hat zu etlichen Korruptionsskandalen und Pleiten geführt, aber auch eine Abwärtsspirale in der Qualität der Gesundheitsversorgung initiiert.«
Davon sind auch die Senioren im Altenheim von Zipaquirá betroffen. »Ohne die Hilfe von Misión Salud wären wir aufgeschmissen«, so Leiterin Nazareth. Misión Salud ist eine Nichtregierungsorganisation, die landesweit Medikamente, deren Haltbarkeitsdatum bald abläuft, bei den Herstellern abholt. Diese Medikamente werden dann an soziale Einrichtungen und Nothilfeorganisationen ausgegeben. Das sichert den Senior_innen im Altenheim von Zipaquirá die medikamentöse Versorgung.
Das ist aber nur ein Beispiel für die Defizite in der Versorgung. Ein anderes: Krankenwagen mit Schwerkranken irren, so wird immer wieder berichtet, durch Bogotá auf der Suche nach einem Krankenhaus, wo den Patient_innen geholfen werden kann, in Kolumbien nennt sich das längst »Irrfahrt des Todes«.
Parallel dazu sieht sich das Justizsystem einer Klagewelle gegenüber. Patient_innen versuchen ihre Rechte durchzusetzen, genauso wie das Pflegepersonal. Das verdient in Kolumbien selten mehr als den Mindestlohn von umgerechnet 232 Euro im Monat. Zudem würden Abfindungen nicht gezahlt, Verträge von organisierten Mitarbeiter_innen nicht verlängert und Gewerkschaftsbeiträge von den Unternehmen nicht weitergeleitet, erklärt Carlos Díaz von der Gewerkschaftsschule Escuela Nacional Sindical in Medellín. Er meint: »Es herrscht ein Ambiente der neoliberalen Gewinnmaximierung. Wir brauchen strukturelle Reformen, um der omnipräsenten Korruption und dem Unterlaufen gewerkschaftlicher Grundrechte Einhalt zu gebieten.«
An den Ausbau von Pflegeeinrichtungen, der angesichts steigenden Bedarfs auch in Kolumbien angezeigt wäre, ist kaum zu denken. Im Altenheim von Zipaquirá feilscht Leiterin Nazareth immer wieder mit der zuständigen EPS, die für die Finanzierung der rund zweihundert Plätze zuständig ist. »Eigentlich gibt es klare Vorgaben, aber wir erhalten immer wieder weniger als die in Rechnung gestellten Leistungen von der EPS.«
Das hat System und die Folgen sind vielfältig. Etliche Gesundheitseinrichtungen schleppen Schulden mit sich herum, führen kostspielige Klagen gegen die EPS und können manchmal ihr Personal, überwiegend Frauen, nicht bezahlen, kritisiert Gewerkschafterin Zambrano. »Es geht schon lange nicht mehr um das Wohl der Patienten. Dieses System produziert Tote und muss endlich reformiert werden.«
Knut Henkel lebt in Hamburg und reist regelmäßig nach Kolumbien