Philippinen: Wenn zu Hause die Jobs fehlen
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16.06.2021 I In den Philippinen sind viele Menschen von Überweisungen ihrer Verwandten im Ausland abhängig. In der Coronakrise stabilisiert das Geld die Wirtschaft, die Probleme des Landes sind damit aber nicht gelöst.
Die weltweiten Rücküberweisungen von Arbeitsmigrant_innen in ihre Heimat sind im Pandemiejahr 2020 anders als vorhergesagt kaum zurückgegangen. Die Überweisungen in Länder mit niedrigem und mittlerem Einkommen betrugen laut Weltbank im ersten Pandemiejahr 540 Milliarden US-Dollar (443 Milliarden Euro) und damit nur 1,6 Prozent weniger als im Vorjahr. Im Vergleich dazu gingen ausländische Direktinvestitionen in diese Länder (ohne China) um 11 Prozent zurück. In der Finanzkrise 2009 waren die Überweisungen noch 4,8 Prozent geschrumpft.
Je nach Ziel- und Herkunftsland der Migrant_innen gibt es große Unterschiede. So schnitten die Philippinen als Land mit den weltweit vierthöchsten Rücküberweisungen (2020: 33,19 Milliarden Dollar, 27 Milliarden Euro) überdurchschnittlich ab. Die Transfers in den südostasiatischen Inselstaat gingen nur um 0,8 Prozent zurück. Im August hatte die Asian Development Bank noch ein Minus von 20,2 Prozent erwartet, die philippinische Zentralbank erst 5, dann 2 Prozent.
Die Philippinen profitierten davon, dass fast 40 Prozent der Überweisungen aus den USA kamen. Dort war der pandemiebedingte Wirtschaftseinbruch milde, die Transfers stiegen. Dagegen erhielt Indonesien 17,3 Prozent weniger Überweisungen. 60 Prozent der indonesischen Arbeitsmigrant_innen waren in Saudi Arabien und Malaysia beschäftigt, die massiv Arbeitskräfte zurückschickten.
Laut Weltbank waren die globalen Rücküberweisungen 2020 höher als alle ausländischen Direktinvestitionen und Entwicklungshilfegelder zusammen. Die migrantischen Transfers tragen so stark zum Bruttosozialprodukt der Entsendeländer bei, in den Philippinen sind es 9,2 Prozent, es ist zugleich die größte Devisenquelle. Das Land mit 108 Millionen Einwohner_innen zählt 13 Millionen Landsleute im Ausland, davon sind rund 10 Millionen Arbeitsmigrant_innen, beliebt wegen ihrer Englischkenntnisse und guter Bildung.
Filipinos und Filipinas arbeiten als Krankenschwestern und Pfleger in den USA und anderen westlichen Ländern, aber auch auf Baustellen in den Golfstaaten, als Haushaltshilfen in Hongkong und Singapur und als Seeleute.
Mitglieder der Organisation, Bannuar Ti La Union, die sich für migrantische Arbeiter_innen einsetzt.
Ein Viertel aller Schiffsbesatzungen weltweit kommt aus den Philippinen. Bis Ende 2020 kehrten wegen der Pandemie 550.000 philippinische Arbeitsmigrant_innen in ihre Heimat zurück, weitere 126.000 warteten an Weihnachten 2020 noch darauf, zugleich gingen Neuentsendungen um 75 Prozent zurück.
»Unsere Arbeitsmigrant_innen mussten schon früher mit Krisen umgehen, doch kehrten noch nie so viele auf einmal zurück,« sagt Ellene Sana vom regierungsunabhängigen Center for Migrant Advocacy in Manila den Nord-Süd News. Sie erinnert an Kriege wie im Libanon und Pandemien wie Sars oder Ebola. »Die Rücküberweisungen gingen jetzt kaum zurück, weil die Migranten wissen, dass ihre Familien auf sie angewiesen sind.«
Jennifer Albano vom Labor Education and Research Network (LEARN), einer Projektpartnerin des DGB-Bildungswerkes, sagt: »Die Philippinen hatten einen der härtesten Lockdowns. Der hat hier viele Jobs gekostet. Ohne das Geld der Angehörigen im Ausland hätten viele Familien nicht überlebt.«
Die Regierung half den Migrant_innen mit 77 Millionen US-Dollar (63 Millionen Euro) für Flugtickets, Cashhilfen, Lebensmittelrationen oder Transporten von der Hauptstadt Manila in die Heimatprovinzen. »Unsere Regierung reagierte etwas besser als andere, aber die Hilfe reichte vorn und hinten nicht«, sagt Sana. Ihre Organisation half Lebensmittel zu verteilen. Albano erinnert daran, dass zurückkehrte Migrant_innen wegen Behördenchaos ihre Quarantäne teilweise tagelang auf der Straße verbringen mussten.
»Arbeitsmigration war mal als vorübergehende Lösung gedacht, weil es hier nicht genug Jobs gibt«, sagt Sana, »doch inzwischen gehen unsere Landsleute schon seit 45 Jahren zum Arbeiten ins Ausland«. Das Hauptproblem seien die niedrigen Löhne. »Eine Lehrerin verdient hier weniger Geld, als wenn sie in Hongkong als Haushaltshilfe arbeitet.«
Die philippinische Wirtschaft schrumpfte 2020 pandemiebedingt um 9,5 Prozent. Gingen 2019 noch 17.000 philippinische Pflegekräfte ins Ausland, galt ab April 2020 für medizinisches Fachpersonal ein Beschäftigungsverbot im Ausland. Seit Jahresbeginn 2021 dürfen insgesamt 5.000 Pflegekräfte ausreisen.
Im Februar bot Manila der britischen und deutschen Regierung sogar zusätzliche Pflegekräfte im Tausch für Covid-19-Impfstoff. London und Berlin lehnten ab. Jocelyn Andamo von der Organisation Filipino Nurses United sagte Reuters: »Wir sind entsetzt, dass die Regierung mit Pflegekräften umgeht wie mit Rohstoffen und Exportprodukten.« Die Pandemie zeigte für Albano nicht nur, dass die Regierung keine überzeugende Politik des Umgangs mit der Krankheit hat, sondern auch, dass Arbeitsmigration eben keine entwicklungsorientierte Wirtschaftspolitik ersetzt: »Wir brauchen mehr Jobs im Land. Menschen sollten nicht zur Migration gezwungen werden, sie sollte nur eine Option sein.«
Autor: Sven Hansen lebt als Journalist in Berlin und bereist Asien regelmäßig
Aus NORD I SÜD news II/2021 Schuldenrkise nach Corona
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