Aus den Projekten: Zentrale Anlaufstelle im Südosten Bangladeschs
19.12.2024 I Ob ausstehende Löhne, Mutterschaftsurlaub oder Unfallschutz: Die Denkfabrik BILS unterstützt das lokale Netzwerk aus Gewerkschaften in der wichtigen Industrieregion Chattogram im Südosten Bangladeschs.
Als die Näherin Nazma Begum aus dem Osten Bangladeschs schwanger wurde, freute sie sich auf die Geburt ihres ersten Kindes. Doch die Freude wich bald der Ernüchterung:
Einer ihrer Vorgesetzten forderte sie auf zu kündigen – um Kosten für das Unternehmen zu sparen. Das ist eine Praxis, mit der viele Frauen in Bangladesch konfrontiert sind. Vor allem in Wirtschaftszentren wie Chattogram, ehemals Chittagong, der zweitgrößten Stadt des Landes, die am Golf von Bengalen liegt, werden Arbeitsrechte oft klein geschrieben.
Ein Großteil der Beschäftigten in der über Jahre boomenden Textilindustrie ist weiblich, die Arbeit dort ist angesehen, die Jobs sind begehrt. Denn nach Angaben der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) sind 85 Prozent der Arbeitnehmer*innen in dem 170 Millionen Einwohner zählenden Land informell beschäftigt. Aber auch diejenigen, die in einem formellen Arbeitsverhältnis stehen, müssen immer wieder dafür kämpfen, dass die ihnen vertraglich zugesicherten Rechte eingehalten werden.
Schon 1995 hat sich deshalb in Dhaka mit der Unterstützung internationaler Gewerkschaften das Bangladesh Institute of Labour Studies (BILS) gegründet. Es setzt sich für die Belange der Arbeiter*innen und der Gewerkschaften in Bangladesch ein, 12 große nationale Gewerkschaftsverbände sind mit BILS assoziiert. So auch das Bangladesh Trade Union Center, bei dem Begum schließlich juristische Unterstützung fand. Sie konnte Mutterschaftsurlaub durchsetzen und ihren Arbeitsplatz behalten.
Dass es mehr Aufmerksamkeit für die Rechte von Frauen gibt, gehört zu den Erfolgen der Denkfabrik BILS, die seit 2016 mit einem zweiten Büro in Chattogram tätig ist. Sie bietet nicht nur Rechtsberatung für Arbeiter*innen an, sondern schult auch Gewerkschaftsmitglieder, sensibilisiert
Arbeitgeber und führt Sicherheitscamps durch. „Unsere Arbeit konzentriert sich auf die Stärkung der Rechte der Arbeitnehmer*innen und die Förderung eines faireren Arbeitsumfeldes“, erklärt Kohinoor Mahmood, Gewerkschafterin und Mitbegründerin von BILS.
Auch die Näharbeiterin Bulbul Akter gehört zu denen, die von dem Angebot profitiert haben. Die Berater*innen unterstützten sie dabei, ihren ausstehenden Lohn einzufordern. Umgerechnet knapp 430 Euro schuldete
der Arbeitgeber ihr, nachdem sie ihre Stelle wegen familiärer Verpflichtungen hatte aufgeben müssen. Er weigerte sich einfach, ihr den Betrag zu zahlen, der in einem Land, in dem Menschen oft mit weniger als 100 Euro im Monat auskommen müssen, eine hohe Summe ist. Mit der Hilfe von BILS konnte Akter Klage einreichen. Nach 20 Monaten Wartezeit erhielt sie schließlich ihr Geld.
BILS ist aber nicht nur für die Textilindustrie, die als Rückgrat der Wirtschaft Bangladeschs gilt, ein wichtiger Ansprechpartner „Wir arbeiten in Branchen wie dem Baugewerbe, Metallverarbeitung, dem Gastgewerbe, dem Gesundheitssektor und im Transportwesen“, sagt Mahmood. Auch hier hat sie ein Beispiel parat: Der Stahlarbeiter Aminul Filed bekam nach einem Betriebsunfall nur kurzzeitig eine gedeckte medizinische Versorgung. Mit Unterstützung von BILS klagt er nun auf Unfallentschädigung. Sein Fall soll demnächst vor dem Arbeitsgericht entschieden werden.
„Das Zentrum in Chattogram konnten wir mit Unterstützung des DGB-Bildungswerks eröffnen“, sagt Mahmood. Zuvor habe BILS in der Hafenstadt lediglich ein kleines Büro für Arbeiter*innen der Schiffsabwrackwerften unterhalten können, wo Themen wie Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz zentral sind. „Die Schiffabwrackindustrie ist ein gefährlicher Sektor. Hier haben wir versucht, die Bedingungen zu verbessern“, sagt Pahari Bhattacharjee, langjähriger Angestellter im BILS-Büro in Chattogram. „Knapp 100 Studierende haben bei BILS ein Praktikum absolviert und so früh Kontakte ins Arbeitsfeld geknüpft.“
Auch ein Netzwerk von Jugend- und Frauenaktivist*innen sowie Rechtsanwaltsfachangestellten gehört zum Umfeld der Organisation. Teams aus
geschulten Gewerkschafter*innen stehen als erste Anlaufstelle für arbeitsrechtliche Fragen zur Verfügung und vermitteln in komplexeren Fällen an BILS und erfahrene Rechtsanwälte, die die Betroffenen vor Gericht vertreten können, erklärt Bhattacharjee den Ablauf.
Doch allmählich läuft die finanzielle Unterstützung des DGB Bildungswerks aus Mitteln des Bundesministeriums für wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit aus. „Wir wollen beide Büros in Chattogram weiter fortführen“, sagt Kohinoor Mahmood, die von der Hauptstadt Dhaka aus die Tätigkeiten koordiniert. Sie ist aber optimistisch und hofft, dass es irgendwie weitergeht: „Wir arbeiten für die Arbeiter*innen. Darum geht es.“
Zudem sei es der Organisation in der Vergangenheit gelungen, zwischen verschiedenen Lagern – Gewerkschaften und Arbeiter*innen als auch der Regierung – zu vermitteln. Das könnte sich bezahlt machen: Seit Anfang August steht der Friedensnobelpreisträger Mohmmad Yunus an der Spitze einer Übergangsregierung, die vielen Hoffnung auf eine bessere Zukunft des Landes gibt. Yunus hatte sich in der Vergangenheit beispielsweise für höhere Löhne in der Textilbranche ausgesprochen und verspricht nun eine Reform des Arbeitsrechts. Ohne ein Netzwerk aus lokalen und überregionalen Gewerkschaften und Mittlern wie BILS wird auch er nicht auskommen.
Autorin: Natalie Mayroth ist Journalistin. Sie berichtet aus Indien und Südasien.