Dem Superoutsourcing Grenzen setzen
13.12.2024 I Es ist ein Megatrend: Unternehmen lagern Kernbereiche ihres Geschäfts aus, oft in den Globalen Süden. Ein Win-win-Konzept, behaupten Arbeitgebende. Ausbeutung, solange die Übernahme der Aufgaben vor Ort nicht mit Entwicklungschancen verbunden ist, kontert ein gewerkschaftsnaher Experte.
Niedrigere Lohnkosten, weniger Verantwortung für Beschäftigte und unbegrenzten Zugriff auf Arbeitskräfte: Das versprechen sich Unternehmen davon, wenn sie ganze Aufgabenbereiche auslagern – oft aus den Industriestaaten in den Globalen Süden. Unternehmen fahren durch das sogenannte Business Process Outsourcing (BPO) enorme Gewinne ein, auf Kosten der Beschäftigten. Gewerkschaften können hier erfolgreich gegensteuern.
BPO ist Outsourcing im großen Stil. Es geht nicht mehr nur um einzelne Aufgaben wie bestimmte IT-Dienstleistungen. Stattdessen werden ganze Geschäftsabläufe und Verantwortlichkeiten ausgelagert. Häufig sind das die Buchhaltung mit dem Finanz- und Rechnungswesen, die Gehaltsabrechnung, die gesamte IT, das Trainieren von Künstlicher Intelligenz (KI) oder der Kundendienst etwa an Callcenter. 2024 dürfte der Umsatz mit BPO nach Zahlen von Statista weltweit 390 Milliarden US-Dollar betragen, die Statistiker*innen gehen von jährlichen Wachstumsraten von etwa 4,7 Prozent aus.
„Unter der Oberfläche von Facebook, OpenAI und den anderen verbirgt sich eine riesige, unsichtbare Belegschaft..."
Das Outsourcing passiert in allen möglichen Branchen. In Deutschland etwa hat Volkswagen Mitte 2024 angekündigt, einzelne Betriebsbereiche auszulagern. Sowohl traditionelle Sektoren wie der Einzelhandel, die Telekommunikation oder das Banken- und Gesundheitswesen setzen auf diese Strategie, aber ebenso Big-Tech-Unternehmen. „Unter der Oberfläche von Facebook, OpenAI und den anderen verbirgt sich eine riesige, unsichtbare Belegschaft – in Südafrika, Kolumbien, in Kenia, auf den Philippinen – von ausgelagerten Arbeitskräften, die völlig unterbezahlt sind und übersehen werden“, sagt Benjamin Parton, Leiter des für BPO verantwortlichen Bereichs bei UNI Global Union. Der Gewerkschaftsdachverband vertritt weltweit mehr als 20 Millionen Beschäftigte im Dienstleistungssektor.
Die Coronakrise hat dem Outsourcing einen Schub gegeben, weil Unternehmen durch die Einschränkungen nicht nur erkannt haben, dass ein Teil der Arbeit auch woanders gemacht werden kann – sondern dass das für sie sogar Vorteile bringt.
Die immer umfassenderen Möglichkeiten, Künstliche Intelligenz einzusetzen, widersprechen dem nicht. „Trotz vieler Vorhersagen, dass die BPO-Arbeit durch KI vollständig automatisiert werden wird, beobachten wir ein Wachstum in der Branche“, sagt Parton. KI verändere die Arbeit, aber es werde immer Bedarf an menschlichen Kräften geben. „Wir sehen, dass es mehr Arbeit im Zusammenhang mit der Datenwertschöpfungskette gibt. Die Moderation von Inhalten, das Training großer KI-Sprachmodelle und andere technische Arbeiten nehmen zu“.
UNI Global Union hat eine Umfrage unter Arbeitnehmer*innen gemacht, die in ausgelagerten Geschäftsbereichen tätig sind. Beschäftigte, die bei der Moderation von Inhalten auf Online-Plattformen helfen, äußerten Probleme wegen zu hoher Produktivitätsziele und mangelnder psychischer Unterstützung, berichtet Parton. Im Kundenservice kann für Beschäftigte die Wut der Kund*innen zum Problem werden. Beschäftigte, die in Heimarbeit Algorithmen wie Suchmaschinen oder große KI-Sprachmodelle trainieren, fühlen sich oft isoliert. In Ländern wie Südafrika oder den Philippinen sind die Stromversorgung oder das Internet instabil. Fällt eines von beiden aus, verdienen die Heimarbeiter*innen kein Geld.
„Diese gesteigerte Produktivität wird nicht mit mehr Lohn belohnt.“
Technische Fortschritte haben das Arbeitstempo in Call Centern und im Kundenservice enorm beschleunigt. Das führt zu höheren Einnahmen für Unternehmen und zu einem äußerst stressigen Umfeld für Beschäftigte, stellt Parton fest. „Diese gesteigerte Produktivität wird nicht mit mehr Lohn belohnt.“
Die wirtschaftsnahe Friedrich Naumann-Stiftung dagegen propagiert BPO als neues Modell der Globalisierung der Arbeitswelt mit einer Win-win-Situation für beide Seiten: Die Arbeitskräfte könnten in ihrer Heimat bleiben, zahlten dort Steuern, und ihr Einkommen helfe der heimischen Wirtschaft, heißt es. Gleichzeitig profitierten europäische Unternehmen, die unter dem Fachkräftemangel leiden.
Doch so einfach ist es nicht, sagt Mirko Herberg. Er ist Koordinator des Projektteams Internationale Gewerkschaftspolitik bei der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES). „Outsourcing ist ein sehr kurzfristiges Pflaster auf die Wunde.“ Eine Win-win-Situation kann es nach Herbergs Auffassung nur geben, wenn mit der Auslagerung auch Entwicklungschancen verbunden sind. Aber zu einem Technologietransfer kommt es so gut wie gar nicht. Zwar würden Stellen in Ländern geschaffen, deren Arbeitsmärkte unter Druck seien. „Die Qualität dieser Jobs aber steht auf einem anderen Blatt“, sagt er. „Entwicklungschancen gibt es nur dann, wenn gute Arbeit geschaffen wird.“
„Entwicklungschancen gibt es nur dann, wenn gute Arbeit geschaffen wird.“
Aber auch wenn Beschäftigte hochqualifiziert sind, bekommen sie häufig nur den Mindestlohn des jeweiligen Landes. Eine Absicherung für den Krankheitsfall gibt es oft nicht. Die Beschäftigten sind einer extremen Kontrolle durch die Unternehmen ausgesetzt, weil ihre Tätigkeiten digital erfasst werden. „Jeder Schritt der Beschäftigten wird aufgezeichnet“, sagt Herberg. „Die Beschäftigten sind gläserne Angestellte.“
Die Bedingungen, unter denen gearbeitet wird, sind häufig schlecht, die Arbeitszeiten sehr lang, Gesundheitsschutz gibt es kaum. Content-Moderator*innen etwa werden oft mit Gewaltdarstellungen und anderen belastenden Inhalten konfrontiert (siehe S. 10/11). Doch sie bekommen von ihrem Arbeitgeber kein Angebot, traumatisierende Inhalte zu bewältigen. „Wenn Menschen nach einigen Monaten nicht mehr arbeiten können und vom Unternehmen ausgespuckt werden, verursacht das eher gesamtgesellschaftliche Kosten als dass es nützt“, sagt Herberg.
Die Beschäftigten gewerkschaftlich zu organisieren, sei schwer, aber nicht unmöglich, so der FES-Experte. „Hilfreich ist, wenn eine globale Gewerkschaftsföderation wie UNI Global Union mit der Konzernzentrale eines globalen Unternehmens verhandelt.“ UNI Global Union hat mit dem französischen Unternehmen Teleperformance eine Rahmenvereinbarung geschlossen, um Arbeitnehmendenrechte zu sichern (siehe auch S. 4/5). Teleperformance ist Weltmarktführer im Bereich BPO. Die Rahmenvereinbarung setzt dem Unternehmen Grenzen bei der Überwachung der Beschäftigten. Und: Lokale Manager*innen dürfen sich nicht dagegen wehren, dass Gewerkschaften Zugang zu den Beschäftigten bekommen.
Die Vereinbarung gilt für fast 500.000 Beschäftigte in 95 Ländern. Sie wird bereits in Kolumbien, El Salvador, Jamaika, Polen und Rumänien umgesetzt. BPO-Beschäftigte in El Salvador haben in diesem Kontext gerade die erste branchenweite Gewerkschaft des Landes gegründet. In Kolumbien und Rumänien gibt es jetzt Tarifverträge für die Beschäftigten. In Rumänien haben die Gewerkschaft Sindicatul IT Timisoara (SITT) und Teleperformance vereinbart, dass sich die Gewerkschaft bei der Einarbeitung neuer Mitarbeiter*innen vorstellen kann. Außerdem kann sie regelmäßig einen Newsletter an alle Beschäftigten senden. Für die Gewerkschaften in Rumänien, die um ihren Status kämpfen und immer wieder Schwierigkeiten haben, in die Betriebe zu gelangen, ist das ein gewaltiger Schritt.
Autorin: Anja Krüger ist Journalistin, sie lebt in Berlin und verfolgt die Arbeit von Gewerkschaften seit Jahren.