Geschlechtergerechtigkeit weltweit
Trotz internationaler Bemühungen und der Schaffung unterschiedlichster politischer, wirtschaftlicher, wie gesellschaftlicher Strukturen: Frauen und Männer werden nach wie vor nicht gleichbehandelt. Mit am deutlichsten sichtbar ist diese Ungleichbehandlung in der Arbeitswelt. Es geht um direkte wie um mittelbare Diskriminierung – sowohl in den Industriestaaten als auch in den Schwellen- und Entwicklungsländern.
Aber: Die Weltgemeinschaft hat sich über die UN-Nachhaltigkeitsziele dazu verpflichtet, die Gleichstellung der Geschlechter voranzutreiben.
Wo sind die Chefinnen?
Frauen leisten vergleichbare Arbeit wie ihre männlichen Kollegen, trotzdem werden sie häufig deutlich schlechter bezahlt. Auch in Deutschland und in den EU-Staaten gibt es diese Lücke, die sogenannte Gender Pay Gap. Diese ungleiche Bezahlung liegt in Deutschland – je nach Berechnungsgrundlage – zwischen 8 und 22 Prozent.
Auch in den Chefetagen der Unternehmen sind Frauen noch selten anzutreffen. Nur rund 21 Prozent der Aufsichtsräte in DAX-Unternehmen sind weiblich. Insgesamt liegt der Anteil von Frauen in Führungspositionen in Deutschland bei einem ähnlichen Wert. Im EU-Vergleich landet Deutschland damit auf Platz neun.
Seit 2016 gilt eine Frauenquote für Aufsichtsräte hierzulande. Große Unternehmen mit mehr als 2000 Mitarbeiter_innen sind demnach verpflichtet diese Posten mit 30 Prozent Frauen zu besetzen. Für rund 3.500 weitere Unternehmen gilt, sich eine konkrete Zielvorgabe zu setzen, um mehr Frauen in die Chefetagen zu bekommen.
Mehr Gleichberechtigung, weniger Armut
Wenn berufstätige Frauen mit gleichberechtigter Bezahlung im Job rechnen können, ist das der beste Weg um Armut vorzubeugen. Staatliche Transferleistungen haben bei weitem nicht den selben Effekt. Eine Studie der Weltbank zeigt wie dramatisch die Einkommens- und Versorgungslücke zwischen Männern und Frauen weltweit ist. Das hängt sowohl mit der geringeren Bezahlung zusammen, als auch mit Teilzeitjobs und Arbeiten mit geringerer Qualifikation. Wissenschaftler_innen gehen zudem davon aus, dass Wachstums- und Wohlstandsraten vor allem für Frauen deutlich steigen würden, wenn Ungleichheiten ausgeräumt würden.
Frauen in Schwellen- und Entwicklungsländern sind besonders von Armut betroffen. Schätzungen zufolge sind 70 Prozent der Menschen, die in extremer Armut leben, Frauen. Sie haben weniger Zugang zu Bildungsangeboten, kaum Möglichkeiten an Kredite zu kommen. Diese Lebensbedingungen wiederum wirken sich auf die Familien aus. Bessere Bezahlung und verbesserte Arbeitsbedingungen führen zu mehr sozialer Sicherheit.
Allerdings sind Frauen in ärmeren Staaten in vielen Fällen weit entfernt von guter Arbeit. Sie arbeiten oft im informellen Sektor, werden ausgebeutet oder sind in rechtlosen Arbeitsverhältnissen tätig. Gleichzeitig sind sie es, die mit ihrer Arbeit das Überleben der Familie sichern. Die Landwirtschaft ist noch immer der Sektor, in dem überwiegend Frauen arbeiten, auch wenn sie das Land nicht besitzen dürfen. Und auch in der Industrie, vor allem in der Textilindustrie, arbeiten überwiegend Frauen. Die massiven Menschenrechtsverletzungen in vielen Zulieferbetrieben der großen Bekleidungsfirmen werden erst seit einigen Jahren immer wieder thematisiert.
Um gute Arbeit zu sichern, braucht es einen starken Fokus auf Geschlechtergerechtigkeit in allen Projekten der Entwicklungszusammenarbeit. So hat sich die EU im aktuellen Gender-Aktionsplan II verpflichtet die Gleichstellung der Geschlechter bis 2020 in 85 Prozent der Programme als wichtigstes Ziel festzulegen.
Gewalt am Arbeitsplatz
Laut einer Studie der Weltgesundheitsorganisation (WHO) werden mehr als ein Drittel aller Frauen weltweit Opfer von körperlicher oder sexueller Gewalt. Diese Übergriffe ereignen sich oft in Arbeitssituationen. UN-Schätzungen zufolge haben etwa ein Drittel der Länder keine Gesetze gegen sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz. Dabei sind Industriestaaten wie Japan, Länder in der EU genau so betroffen, wie Staaten auf dem afrikanischen Kontinent. So hat eine Umfrage in Uganda unter rund 3.000 Organisationen ergeben, dass 90 Prozent der Arbeitnehmerinnen sexuell belästigt wurden. Nicht nur Frauen erfahren solche Übergriffe. Es sind in vielen Fällen auch homo- oder transsexuelle oder intergeschlechtliche Arbeitnehmer_innen.
Seit Juni 2019 gibt es das Übereinkommen 190 und die Empfehlung R206 der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO), die Standards gegen Gewalt und sexuelle Belästigung in der Arbeitswelt setzen. Laut Übereinkommen werden sexuelle Gewalt am Arbeitsplatz als Menschenrechtsverletzung gewertet und als solche geahndet. Jahrelang kämpften Gewerkschaften und Nichtregierungsorganisationen um eine solche Vereinbarung zum Schutz von Frauen. Das besondere an dem Abkommen ist, dass sich alle Arbeitnehmer_innen unabhängig vom eigentlichen Arbeitsverhältnis auf die Vereinbarung berufen können.
Frauen, die Gewalt erfahren haben, haben dadurch Anspruch auf medizinische Versorgung, auf soziale und juristische Betreuung. Letztlich soll es aber darum gehen, die gesellschaftliche Haltung gegenüber (sexueller) Belästigung und Gewalt am Arbeitsplatz zu ändern. Die unterzeichnenden Staaten müssen nun das ILO-Übereinkommen 190 in nationales Recht übernehmen und ratifizieren. In Deutschland wurde der notwendige politische Prozess dazu im Oktober 2019 eingeleitet. Es liegt nun an den Gewerkschaften weltweit für die Ratifizierung und Umsetzung des ILO-Übereinkommens einzutreten.
Veröffentlicht 12 I 2019