Gewerkschaften im Kampf gegen rechte Übernahme
25.04.2024 I Im Superwahljahr 2024 geht es darum, rechte und rechtsextreme Übernahmen in vielen Ländern zu verhindern. Progressive Resolutionen der Internationalen Arbeitsorganisation ILO, Verbesserungen durch das Lieferkettengesetz, Fortschritte in der EU stehen auf dem Spiel. Der Internationale Gewerkschaftsbund IGB startet darum die Kampagne „Für Demokratie“.
Das hat es noch nie gegeben: Mit vier Milliarden Menschen ist im Jahr 2024 die Hälfte der Weltbevölkerung zu Wahlen aufgerufen. In mehr als drei Dutzend Ländern finden Präsidentschaftswahlen statt, in rund 20 weiteren werden neue Parlamente gewählt. Doch dieses Superwahljahr steht nach Einschätzung des Internationalen Gewerkschaftsbundes (IGB) unter keinem guten Vorzeichen.
„Weltweit ist die Demokratie in einem kritischen Zustand“, sagt IGB-Generalsekretär Luc Triangle. „Wir beobachten eine Zunahme von Autoritarismus, rechtsextremen Ideologien, schädlichem Einfluss von Unternehmen auf die Politik und die Untergrabung von Arbeitnehmer*innenrechten.“ Wo rechte oder autoritäre Regime Fuß fassen, folgt stets ein Angriff auf Freiheitsrechte und Gewerkschaftsarbeit. Um die Verteidiger*innen dieser Rechte zu unterstützen, hat der IGB die Kampagne „Für Demokratie“ aufgelegt.
Angriffe auf die Rechte von Arbeitnehmenden nehmen überall zu, das dokumentiert der Globale Rechtsindex des IGB. Im Jahr 2023 erreichten die Verstöße neue Höchstwerte: 87 Prozent der Länder verletzten das Streikrecht, 79 Prozent das Recht auf Tarifverhandlungen. Diese Angriffe und der Anstieg wirtschaftlicher Ungleichheit und Unsicherheit sind nach Überzeugung des IGB die Hauptursachen für öffentliche Unzufriedenheit. Sie bieten rechtsextremen Gruppen einen fruchtbaren Boden.
In etlichen Ländern sind extrem rechte Parteien oder Rechtspopulist*innen bereits an die Macht gekommen – wie in Argentinien oder Italien. In anderen droht ein Rechtsruck, etwa mit der möglichen erneuten Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten. Auch in Indien oder Tunesien ist die politische Lage prekär.
„Neu an dieser globalen Demokratiekrise ist, dass es kein Nord-Süd-Gefälle gibt“, sagt Carolin Vollmann, Expertin für Internationale Gewerkschaftspolitik beim Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB). Früher galten die Staaten des Nordens als stabil. „Die Polarisierung hat auch in Deutschland zugenommen“, sagt Vollmann. Bei den Wahlen im Herbst in Sachsen, Thüringen und Brandenburg könnte die extrem rechte AfD einen großen Zuwachs bekommen. Auch hier stellen sich die Gewerkschaften dem drohenden Rechtsruck entgegen.
Der IGB hat die Kampagne „Für Demokratie“ im vergangenen Dezember beschlossen. Im März startete er mit einem Webinar, bei dem Teilnehmende aus Finnland, Nigeria, den USA, den Philippinen und Argentinien über politische Bedrohungen für die Demokratie und die Auswirkungen auf die Gewerkschaften berichteten. April, Juni und September sind Schlüsselmonate für die Kampagne.
Im April steht unter anderem die Reform der internationalen Finanzinstitutionen wie IWF/Weltbank im Vordergrund. Im Juni geht es um die Verteidigung der Arbeitnehmer*innenrechte, dann wird der IGB den Globalen Rechtsindex 2024 veröffentlichen. Auf die Reform internationaler Strukturen rund um den UN-Zukunftsgipfel konzentriert sich die Kampagne im September.
Der IGB fürchtet, dass ein Rechtsruck in vielen Ländern auch Auswirkungen auf Gremien wie die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) hat, eine Sonderorganisation der UN. Die ILO ist wichtig, weil sie internationale Mindeststandards bei Arbeitsrechten festlegen kann. Sollte die Gruppe nationalistischer und autoritärer Regierungen wachsen, wird das schwerer fallen. „Wenn der Anteil demokratischer Länder in der UN abnimmt, ist es schwieriger, progressive Resolutionen durchzusetzen“, sagt Mirko Herberg, Leiter der Abteilung Internationale Gewerkschaftspolitik der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES). Zwar wird der Verwaltungsrat nur alle drei Jahre neu gewählt, aber bei der jährlichen Internationalen Arbeitskonferenz sind die neuen Regierungen sofort stimmberechtigt.
Auch die transnationale Gewerkschaftsarbeit wird durch Verschiebungen nach rechts beeinträchtigt, sagt Herberg. Das gilt etwa bei grenzüberschreitender Arbeit im Zuge des neuen Lieferkettengesetzes – ein Instrument, mit dem die Hoffnung verbunden wird, Arbeitsstandards im Globalen Süden deutlich verbessern zu können. „Ein weiterer Rechtsruck würde bedeuten, dass dieses Instrument deutlich abgeschwächt werden könnte“, sagt er. Viele Länder hätten sich auf den Weg gemacht, etwas zu verbessern. „Dieser Prozess ist in Gefahr.“
„Wo Demokratie erfahren wird, wird sie auch gewertschätzt“
Mirko Herberg, FES
Sollte es bei den kommenden Europawahlen zum befürchteten Erstarken rechter und rechtspopulistischer Parteien kommen, wird es künftig auch noch schwieriger, fortschrittliche Regeln auf EU-Ebene durchzusetzen, erwartet Herberg. Ein wichtiger Schritt gegen den Rechtsdrift ist seiner Überzeugung nach, dass Gewerkschaften um Mitbestimmung kämpfen und Beschäftigte organisieren. „Wo Demokratie erfahren wird, wird sie auch gewertschätzt“, sagt er.
In Ländern wie Argentinien ist zu sehen, wie schnell die Wahl eines rechtspopulistischen Kandidaten fatale Folgen hat. Der Ende 2023 gewählte Präsident Javier Gerardo Milei versucht seit seiner Amtsübernahme, staatliche Institutionen und Leistungen rasch und rabiat abzubauen. Er schränkt Arbeits- und Freiheitsrechte ein, kürzt staatliche Hilfen und hebt Preiskontrollen auf – trotz einer immensen Inflation bei nicht entsprechend gestiegenen Löhnen.
„Argentinien ist ein Laboratorium für eine neue Idee von Sozial- und Wirtschaftspolitik, die es in dieser Radikalität noch nicht gegeben hat“, sagt Svenja Blanke, Leiterin des FES-Büros in Argentinien. Der Widerstand gegen Milei ist groß, mit Großdemonstrationen und Generalstreiks kämpfen die Verteidiger*innen der Demokratie gegen seine Vorhaben. „Die Gewerkschaften sind ein Bollwerk und ein wichtiger Partner für andere Bewegungen, um das bisher Erreichte zu schützen“, sagt sie. „Argentinien ist eines der wenigen lateinamerikanischen Länder, die noch starke Gewerkschaften haben.“ Da Milei keine parlamentarische Mehrheit hat, kann er immerhin nicht all seine Pläne einfach umsetzen.
Eines könnten Demokrat*innen in anderen Ländern aus der Erfahrung in Argentinien lernen, meint Blanke. Man müsse rechtspopulistische Kandidat*innen und ihre Ankündigungen ernst nehmen, mögen sie auch noch so skurril oder lächerlich wirken. Blanke: „Wir müssen uns vorstellen können, dass sie gewählt werden, sonst haben wir schon verloren.“
Autorin: Anja Krüger ist Journalistin und lebt in Berlin.