Gewerkschaftliche Transformation: Frauen stärken Gewerkschaften
18.12.2023 I Überall auf der Welt kämpfen Gewerkschafterinnen um mehr Einfluss, zeigt die Partnerkonferenz des DGB Bildungswerk Bund in Hattingen. Sie bringen neue Themen ein.
Warum ist Feminismus für die weltweite Gewerkschaftsbewegung wichtig? Wie können frauendiskriminierende Strukturen bekämpft werden? Wie sind Veränderungen in Unternehmen und Gesellschaft möglich? Was tun für mehr Gleichberechtigung in der eigenen Organisation? Und: Geht es im Kampf um mehr Einfluss für Frauen nicht auch um die Zukunftsfähigkeit der Gewerkschaften?
Mehr als genug Fragen für eine dreitägige Konferenz. Eingeladen hatte das DGB Bildungswerk BUND, das Treffen fand vom 30. Oktober bis 1. November 2023 im Tagungshaus Hattingen statt. Finanziert wurde es vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Dieses will unter Führung der Sozialdemokratin Svenja Schulze weltweit die „gleichberechtigte Teilhabe aller Menschen am sozialen, politischen und wirtschaftlichen Leben“ durch eine Feministische Entwicklungspolitk fördern, wie es aus Berlin heißt, „unabhängig von Geschlecht, Geschlechtsidentität, sexueller Orientierung, Hautfarbe, Behinderung oder von anderen Merkmalen“.
Gekommen sind 31 Frauen und 9 Männer, Gewerkschafter_innen aus fast allen Teilen der Erde – aus den Philippinen, Indien und Sri Lanka etwa, aus Kenia, Uganda und Südafrika, aus Brasilien und Kolumbien. Eine von ihnen ist Anna Fos-Tuvera, Direktorin für Gleichstellung beim Internationalen Gewerkschaftsbund (IG) im asiatisch-pazifischen Raum, der unter anderem so unterschiedliche Länder wie Jordanien und Japan, die Mongolei und Neuseeland umfasst. In der Gewerkschaftsbewegung vertritt Fos-Tuvera damit die Interessen von mehr als der Hälfte der Frauen weltweit.
„Natürlich sind die Unterschiede etwa zwischen Australien und Pakistan riesig“, sagt die Gewerkschafterin. Sie selbst stammt ursprünglich von den Philippinen und arbeitet heute von Singapur aus. „Insgesamt dominieren in Asien aber patriarchalische, männerdominierte Strukturen.“ Schließlich dürften Frauen in muslimischen Ländern wie etwa Pakistan oder dem Iran nicht einmal frei reisen, bräuchten die Begleitung eines männlichen Familienmitglieds. „Männerbeherrscht“ sei die Gesellschaft aber beispielsweise auch in Indien, Sri Lanka oder Bangladesch – und leider gelte das noch immer auch für die dortigen Gewerkschaften, sagt Fos-Tuvera. Ergebnis: „Frauen treten nicht in Gewerkschaften ein – ihnen fehlen einfach Mut machende Vorbilder.“
Den Gewerkschaften entgeht damit nicht nur ein riesiges Mitgliederpotenzial. Auch die inhaltliche Arbeit leide massiv, erklärt Fos-Tuvera. „Es sind eben Frauen, die Themen wie geschlechterbasierte Gewalt ansprechen.“ Ihre Erfahrung aus mehr als 20 Jahren Gewerkschaftsarbeit: Männer redeten oft abstrakt über demokratische Strukturen, Politik und Macht, Frauen dagegen viel öfter über die konkreten Bedürfnisse von durchschnittlichen Arbeiter_innen – also über „gute Gehälter, gute Ernährung, gute Wohnmöglichkeiten, gute Gesundheitsversorgung“. Ihre Forderung: „Wir brauchen in den Gewerkschaften einfach mehr Frauen in Führungspositionen.“
Bei der Konferenz in Hattingen ist das Konsens – die Teilnehmer_innen analysieren schnell, dass sie trotz räumlicher Distanz vor ähnlichen Problemen stehen. Denn nicht nur auf Frauen, auch auf viele junge Leute wirkten die Gewerkschaften rund um den Globus strukturell verkrustet und abschreckend, sagen sie. „Wir alle müssen bei uns zu Hause aufräumen“, findet etwa Linda Keitany, die in der kenianischen Hauptstadt Nairobi beim weltweiten Dachverband der Gewerkschaften für den öffentlichen Dienst PSI arbeitet.
Wie das funktionieren kann, erklären Véronica Fernandez Mendez und Marta Ochoa in einer Videoschalte aus Nepal. Sie arbeiten für den globalen Gewerkschaftsverband UNI, der Mitgliedsorganisationen in 150 Ländern mit mehr als 20 Millionen Beschäftigten aus dem Dienstleistungssektor vertritt. Schon 2013 hat UNI ein Mentorinnen-Programm aufgelegt, das besonders jüngere Frauen für Gewerkschaftsarbeit begeistern, aber auch oft noch an den Rand gedrängte Gruppen etwa aus der LGBTIQ-Community stärken soll.
Dazu bilden erfahrene Gewerkschafterinnen Tandems mit Frauen unter 35 Jahren und helfen ihnen beim Netzwerken. Das Programm bietet aber auch Workshops zu Themen wie sexueller Belästigung und Gewalt am Arbeitsplatz sowie Trainings etwa in Kommunikationsstrategien und Verhandlungsführung. Das Ergebnis kann sich sehen lassen: Aktuell arbeiten mehr als 250 Tandems zusammen und es sind mehr als 25 geförderte Frauen gewerkschaftsintern in Führungspositionen aufgestiegen.
Immer einfach sei das nicht gewesen, sagen die UNI-Gewerkschafterinnen: Natürlich habe es männliche Gewerkschaftsspitzen gegeben, die argumentiert hätten, sie könnten keine Frauen in Führungspositionen bringen – einfach weil es keine qualifizierten Frauen gebe. Mittlerweile aber habe ein Umdenken eingesetzt. „In den Gewerkschaftsführungen begreifen immer mehr Leute, wie stark ihre Organisationen sein könnten, wenn sie alle arbeitenden Frauen erreichen würden“, macht Marta Ochoa ihren Mitstreiter_innen in Hattingen Mut: „Das wäre eine Win-win-Situation für alle.“
Autor: Andreas Wyputta lebt in Bochum und berichtet vor allem über Nordrhein-Westfalen.
NORD I Süd news III/2023 >>Zum Newsletter anmelden