Kommentar: Gute Pflege ohne Kommerz
10.09.2024 I Die Privatisierung ist gescheitert und die Beschäftigten sind in der Krise. Höchste Zeit, sich vom Profitgedanken zu verabschieden, kommentiert Huma Haq von der Internationalen der Öffentliche Dienste.
Die Pflege ist eine entscheidende Dienstleistung, ohne sie brechen Gesellschaften und Volkswirtschaften zusammen. Sie bietet den Schwächsten lebenswichtige Unterstützung und sollte sich an deren Bedürfnissen und an den Menschenrechten orientieren. Nur: Weltweit gibt es zwar unterschiedliche Systeme, Finanzierungsregelungen und Ansätze, aber überall arbeiten die Pflegekräfte in unsicheren Verhältnissen, sie werden ausgebeutet. Die Lage ist unhaltbar.
Die COVID-19-Pandemie hat das einmal mehr gezeigt. Die Beschäftigten
in der Pflege waren konfrontiert mit niedrigen Löhnen, unzureichender Personalausstattung, unbesetzten Impfstellen, hoher Personalfluktuation, Gesundheitsrisiken und wenig Sicherheit am Arbeitsplatz. Burnout und Stress führten dazu, dass weltweit zahlreiche Pflegekräfte ihren Job aufgeben.
Belegschaften in der Krise
So viele Menschen wie nie zuvor verlassen die Branche. So verschärft sich die Personalkrise. Zugleich nimmt die Zahl der Menschen auf der Welt zu – und damit auch der Pflegebedarf der Bevölkerung insgesamt. Die unterfinanzierten und unterbezahlten Pflegedienste überfordert das.
Doch privaten Anbietern von Pflegedienstleistungen ist der Profit letztlich wichtiger als ihre Arbeitnehmer*innen und ihre Kund*innen. Es ist eindeutig, dass die private Erbringung von Pflegedienstleistungen nicht zu einer besseren, hochwertigen Dienstleistung führt. Es gibt zahlreiche Beispiele wie der französische Konzern Orpea, der britische HC-One oder Regis Healthcare in Australien, wo die Gewinnmaximierung Vorrang hat vor den Beschäftigten, die immer mehr Patienten mit immer weniger Zeit und Ressourcen versorgen müssen.
Profitstreben laugt aus
Jahrzehntelang haben sich Unternehmen in eine eigentlich staatliche Aufgabe eingemischt. In der Folge sind nun in vielen Ländern die Pflegesysteme geschwächt, sie versagen. Denn die Privatisierung hat zu extraktiven, auslaugenden Finanzmodellen geführt: Die tatsächliche Pflegearbeit wird dabei unterbewertet und unterbezahlt, eine stark weibliche und oft migrantische Belegschaft
ausgebeutet, die soziale Ausgrenzung gefördert.
Unterfinanzierung, unzureichende rechtliche Rahmenbedingungen, mangelnde Rechenschaftspflichten, obligatorische Auftragsvergaben für Pflegedienste, Massenprivatisierung öffentlicher Dienstleistungen – das alles hat die Pflegesysteme untergraben. Die Unternehmen rechnen zudem Gewinne klein, um Steuern zu vermeiden, was wiederum die staatlichen Finanzen schwächt. Überdeckt wird die Misere durch gewerkschaftsfeindliche Kampagnen multinationaler Pflegekonzerne.
Kämpfen lohnt
Was dagegen zu tun ist? Die Internationale der Öffentlichen Dienste (IÖD) fordert gut finanzierte öffentliche Qualitätspflegesysteme – und gut dafür ausgebildetes, gut bezahltes und gut gefördertes Personal. Öffentliche Pflegesysteme gibt es und kann es geben. Die Voraussetzung: Der Profitgedanke darf nicht mehr im Mittelpunkt des Pflegesektors stehen, nirgends auf der Welt. Und: Das Leben der Beschäftigten darf nicht länger prekär sein.
Schon jetzt ist klar, dass Pandemien, Naturkatastrophen, die Klimakrise und die von den globalen Finanzinstitutionen vorangetriebene Sparpolitik öffentliche Dienste weiterhin stark in Anspruch nehmen werden. Darum brauchen Beschäftigte mehr Gehör. Sie müssen unterstützt werden bei der Forderung nach angemessenen Investitionen in die Pflegesysteme und nach menschenwürdiger Arbeit, Sicherheit und sozialem Schutz, und die IÖD wird das tun.
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Kommentatorin: Huma Haq ist Beauftragte für Sozialfürsorge in der Internationalen der Öffentlichen Dienste (IÖD), englisch Public Services International (PSI). Die IÖD ist ein globaler Gewerkschaftsverband, der die Kämpfe der Beschäftigten in der Pflege im öffentlichen, privaten und gemeinnützigen Sektor vereint. Sie vertritt Mitgliedsgewerkschaften auf der ganzen Welt, die Pflegekräfte organisieren, Kampagnen für bessere Arbeitsplätze durchführen und sich für grundlegende Reformen der Pflegesysteme einsetzen.
Sorgearbeit weltweit, NORDSÜD NEWS 2024, Ausgabe 2