Kommentar: Ungleichheit der Macht? Das geht konkreter
18.12.2023 I Die BMZ-Strategie für eine Feministische Entwicklungspolitik hat gute Ansätze. Bei der Analyse wie auch bei der Frage, wie die Ziele umgesetzt werden sollen, braucht es aber mehr Ehrlichkeit und Genauigkeit, sagt Frauenrechtlerin Franziska Wiethold.
Zwischen Globalem Norden und Globalem Süden existiert ein politisch-ökonomisches Machtungleichgewicht, das die heutigen sozialen und ökonomischen Probleme im Globalen Süden mit verursacht. Postkoloniale und patriarchale Strukturen dominieren nach wie vor und prägen auch die Entwicklungspolitik des Globalen Nordens. Das ist die entscheidende Aussage im Strategiepapier „Feministische Entwicklungspolitik – für eine gerechte und starke Gesellschaft weltweit“ des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, BMZ.
Feministische Entwicklungspolitik will dagegen die postkolonialen und patriarchalen Strukturen abbauen, unter denen Frauen besonders leiden. Und noch mehr: Sie will alle Gruppen in den Blick nehmen, die wegen ihres Geschlechts, ihrer Herkunft, ihrer Religion, ihrer sexuellen Orientierung oder anderweitig diskriminiert werden. Feministische Entwicklungspolitik strebt also eine Gesellschaft an, an der alle Menschen gleichberechtigt teilhaben. Auch Männer müssen oder können dabei ihre Geschlechterrollen ändern. Das ist der Kompass.
Aber das BMZ konkretisiert zu wenig, was mit den ökonomischen Machtungleichgewichten gemeint ist. Ja, postkoloniale Strukturen wirken bis heute nach, aber was ist mit den Machtungleichgewichten, die erst nach Ende der offiziellen Kolonialherrschaft durch die neoliberale Globalisierung entstanden? Etwa die Dominanz großer Agrarkonzerne, die die Landwirtschaft im Globalen Süden harter Konkurrenz aussetzen und so mit zur Verelendung von Landbewohner_innen und zur Landflucht beitragen. Das BMZ benennt sie kaum. Auch die Macht multinationaler Konzerne, die Länder des Globalen Südens als Billiglohnstandorte benutzen, wird kaum erwähnt.
Oder die EU-Außenpolitik: Sie beförderte mit deutscher Unterstützung lange Zeit diese Politik, beispielsweise durch Freihandelsabkommen wie TTIP, die unter anderem Multinationalen Konzernen ein Klagerecht gegen Staaten geben sollen, wenn sie eine „Verletzung ihrer Investitionsinteressen“ sehen. Immerhin: Soziale Bewegungen und Gewerkschaften konnten diese sogenannte Freihandelspolitik durch breite Protestbewegungen zumindest behindern und Parlamente zur Verabschiedung von Lieferkettengesetzen drängen – zunächst in Deutschland und anderen Staaten und hoffentlich bald in der EU. Endlich werden Multinationale Konzerne für das verantwortlich gemacht, was ihre Zulieferer in ihrem Auftrag Beschäftigten zufügen. Auf diese politischen Auseinandersetzungen geht das BMZ-Papier so gut wie nicht ein.
Das BMZ will Frauen den Zugang zu Bildung, zu Arbeitsplätzen im formellen Bereich mit Arbeitsbedingungen entsprechend der ILO-Normen und anderer Standards sichern. Aber auch diese Ziele werden bei der Projektbeschreibung zu wenig konkretisiert. Gewerkschaften werden gar nicht erwähnt, obwohl Frauen erst mit ihnen zusammen für mehr Rechte und für bessere Arbeitsbedingungen streiten können – und obwohl Gewerkschaften in vielen Ländern des Globalen Südens unter staatlicher Unterdrückung leiden. So kämpfen beispielsweise Gewerkschaften in asiatischen Ländern aktuell für eine Erhöhung des gesetzlichen Mindestlohnes, der ein eigenständiges Leben erst ermöglicht.
Wenn das BMZ das Machtungleichgewicht zwischen Globalem Norden und Globalem Süden abbauen will, müssen Entwicklungsprojekte auch die Rechte von Arbeiter_innen gegen Unternehmermacht und gegen wirtschaftsfreundliche und arbeitnehmerfeindliche Regierungen im Globalen Süden stärken:
• Wie können Frauen und andere marginalisierte Gruppen gegenüber Unternehmen existenzsichernde Löhne, bessere Arbeitsbedingungen und Schutz vor sexuellen Übergriffen durchsetzen? Wie können Gewerkschaften gestärkt werden? Wie können Betroffene ihre Rechte trotz geringer Unterstützung durch Justiz und Regierungen in Anspruch nehmen? Das Beschwerderecht aus dem deutschen Lieferkettengesetz reicht dazu bei weitem nicht aus.
• Wie können Arbeiter_innen, die meist nur 10 bis 15 Jahre in Elektronikfirmen, in der Textilindustrie, der Agrarindustrie arbeiten (können), eine eigenständige, stabile Lebensperspektive aufbauen? Was passiert mit ihnen, wenn die Massenproduktion für den Globalen Norden aus ökologischen Gründen eingeschränkt werden muss („just transition“)?
• Wie muss eine faire deutsche beziehungsweise europäische Handelspolitik gestaltet sein, die nicht nur die Interessen der deutschen Wirtschaft berücksichtigt, sondern die ökonomischen Machtverhältnisse zwischen Globalem Norden und Globalem Süden abbauen will?
• Inwieweit kann eine feministische Entwicklungspolitik auch entgegen dem Rechtsruck in vielen Ländern des Globalen Südens (der leider auch im Globalen Norden um sich greift) feministische NRO und Gewerkschaften unterstützen, die immer mehr unter staatlichen Repressionen zu leiden haben?
In diese Richtung sollte das BMZ seine positiven Ansätze weiter entwickeln und konkretisieren. Die Berufung des ehemaligen DGB-Vorsitzenden Reiner Hoffmann zum „SDG-Botschafter für gute Arbeit weltweit“ durch Entwicklungsministerin Svenja Schulze im September 2022 könnte ein erster kleiner Schritt in diese Richtung gewesen sein. Wie weit er trägt, muss sich weisen.
Autorin: Franziska Wiethold ist Vorstandsmitglied der gemeinnützigen Frauenrechtsvereinigung FEMNET. Während ihrer Berufstätigkeit hat sie hauptamtlich bei der Gewerkschaft verdi gearbeitet mit dem Schwerpunkt Einzelhandel.