Sozio-ökologische Transformation
“There are no jobs on a dead planet“
Der Klimawandel gehört zu den größten Herausforderungen dieser Zeit – vielleicht ist er die größte. Die globale Erwärmung lässt Eis schmelzen und Permafrostböden auftauen. Die Meeresspiegel steigen, Wetterextreme wie Überschwemmungen, Dürren und Stürme mehren sich, Wüsten breiten sich aus. Das mindert die Lebenschancen und die Lebensqualität heutiger und zukünftiger Generationen weltweit. Viele der Veränderungen betreffen zunächst Länder und Menschen im globalen Süden, die viel weniger zu ihrer Entstehung beigetragen haben als die im globalen Norden. Ihnen fehlen aber oft Know-how, Good Governance und Geld, um sich auch nur an die Veränderungen anzupassen und die schlimmsten Folgen zu mindern. Das fördert Armut, Ungleichheit und Migrationsbewegungen.
Im Pariser Abkommen von 2015 hat sich die Weltgemeinschaft verpflichtet, den Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur im Vergleich zum vorindustriellen Niveau auf weniger als 2 Grad zu begrenzen. Darüber hinaus wollen sich die Mitgliedsstaaten auch bemühen, den Temperaturanstieg sogar auf 1,5 Grad über dem vorindustriellen Niveau zu beschränken.
Wesentlicher Treiber für den Klimawandel ist die Verbrennung fossiler Brennstoffe für Energie, Industrie, Transport, Wärme. Um die Pariser Ziele erreichen zu können, muss diese so schnell wie möglich auf Null reduziert werden, was wiederum eine fundamentale Umstrukturierung von Gesellschaften und Volkswirtschaften erfordert.
Auch die Gewerkschaften halten den Weg in eine kohlenstoffarme Zukunft für alternativlos. Der Internationale Gewerkschaftsbund (IGB), die globalen Gewerkschaftsbünde und auch der DGB und seine Mitgliedsgewerkschaften unterstützen die Klimaziele von Paris und bringen sich aktiv in die internationalen aber auch nationalen Klimaschutzdebatten ein. Die Umsetzung ist allerdings eine große Herausforderung: In den konkreten Transformationsprozessen gibt es immer wieder Zielkonflikte, denn Arbeitsplätze in den fossilen Industrien sichern nach Zahlen der Internationalen Arbeitsorganisation 38 Prozent aller Beschäftigten ihr Auskommen. Zudem sind die Jobs in dem Sektor gut bezahlt, bieten soziale Sicherung und zumindest in Deutschland auch starke Mitbestimmungsstrukturen für Arbeitnehmer_innen.
Beim Strukturwandel zu einer emissionsärmeren Ökonomie gilt es also, die sozialen und beschäftigungspolitischen Folgen zu berücksichtigen und zu minimieren. Entscheidend ist, dass die Chance genutzt wird: Wenn sich Wirtschaft und Gesellschaft im Sinne der Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen verändern, muss neue und nachhaltige Beschäftigung mit guten Arbeitsplätzen entstehen, etwa in Landwirtschaft und Lebensmittelerzeugung, im Zusammenhang mit erneuerbaren Energien und nachhaltigen Werkstoffen, sowie im Rahmen von Mobilität und auch im Bildungs-, Gesundheits- und Sozialwesen. Das gilt im globalen Norden und im globalen Süden. Deshalb ist die sozial-ökologische Transformation auch ein wichtiger Teil der Entwicklungszusammenarbeit.
Gewerkschaften weltweit wollen verhindern, dass der Strukturwandel für Privatisierungen missbraucht wird. Ihr Ziel ist es, die neuen Sektoren zu organisieren und in den Regionen, wo die überwiegende Mehrheit informell beschäftigt ist, eine solidarische Interessenvertretungspolitik für alle zu etablieren. Die Voraussetzung dafür ist, dass die Gewerkschaftsrechte nicht eingeschränkt und ihre Repräsentant_innen nicht drangsaliert oder bedroht werden.
Just Transition
Nationale und internationale Gewerkschaften, ihre Verbünde und Dachverbände entwickelten daher das Leitbild des gerechten Strukturwandels („just transition“), das die Notwendigkeit des umweltgerechten Strukturwandels mit denen des sozialen Strukturwandels kombiniert. 2012 lud der DGB gemeinsam mit Kirchen und Umweltverbänden zu einem Transformationskongress. 2016 richtet der Internationale Gewerkschaftsbund das "Just Transition Centre“ ein, das den sozialen Dialog zwischen Gewerkschaften, Arbeitgebern, Kommunen und anderen Gruppen organisieren soll. In den Beschlüssen des 21. DGB Bundeskongresses 2018 taucht der Begriff 18-mal auf.
Während damit heute ein gemeinsamer Austausch aller Stakeholder gemeint ist und Kompromisse vorausgesetzt werden, bezeichnete „just transition“ in der Anfangszeit ein radikaleres und systemkritischeres Konzept: In den 1990er Jahren entwickelten kanadische und US-amerikanischen Gewerkschafter_innen den Begriff „gerechter Strukturwandel“ auf der Grundlage der Erfahrungen mit den Arbeitsplatzverlusten durch Strukturwandel und Konversion beispielsweise in der Rüstungsindustrie und mit dem Streik beim Ölkonzern Shell von 1973. Damals organisierten sich Arbeiter_innen und Umweltaktivist_innen gemeinsam, um gegen die Gefährdung von Umwelt, Bevölkerung und Beschäftigten zu protestieren und Kompensationen für bereits Erkrankte durchzusetzen. Aus solchen gewerkschaftlichen und kommunal verankerten Initiativen entstand später die Just Transition Alliance, die heute zum Climate Justice Movement gehört. Ein wichtiger Ansatzpunkt ist die diskriminierende Verteilung der ökologischen Kosten: Am meisten betroffen von Umweltverschmutzung und Klimawandel und am häufigsten abhängig von extrem gesundheitsgefährdender Arbeit sind Indigene, People of Color oder andere benachteiligte Gruppen.
Veröffentlicht 12 I 2019