Ungleichheit weltweit
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12/2019 I Es sind Zahlen, die aufrütteln: Rund ein Prozent der Weltbevölkerung besitzen circa die Hälfte des Gesamtvermögens. Etwa zehn Jahre nach der Finanzkrise hat sich die Zahl der Milliardär_innen weltweit nahezu verdoppelt. Zugleich gelingt es deutlich weniger Menschen, sich aus extremer Armut zu befreien. Laut der Studie „Public Good or Private Wealth“ der Entwicklungsorganisation Oxfam hat sich das Tempo, in dem sich extreme Armut verringert seit 2013 halbiert. Vor allem in afrikanischen Staaten steigt die extreme Armut wieder an.
Die Lücke zwischen Arm und Reich wird weltweit größer, die soziale Ungleichheit nimmt zu. Besonders Frauen und Mädchen sind betroffen. Im weltweiten Vergleich besitzen Männer 50 Prozent mehr Vermögen als Frauen. Zudem sind die Gehälter von Frauen im Durchschnitt rund 23 Prozent niedriger als das der Männer. Hinzu kommt, dass Frauen unbezahlte Pflege- und Sorgearbeit leisten. Oxfam zufolge beläuft sich diese Arbeit jedes Jahr auf einen Wert von rund 10 Billionen US-Dollar.
Mehr Vermögen, geringere Löhne
Laut Global Wage Report der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) sind die globalen Lohnzuwächse so niedrig wie zuletzt 2008 – und liegen somit unter dem Niveau vor der weltweiten Finanzkrise. In Zahlen heißt das: der weltweite Lohnzuwachs lag 2017 bei 1,8 Prozent. 2016 wurde er noch mit 2,4 Prozent beziffert. Für den Vergleich wurden 136 Staaten beleuchtet.
Zwar haben sich in Schwellen- und Entwicklungsländern die Reallöhne im Durchschnitt über einen Zeitraum von rund 20 Jahren fast verdreifacht. Trotzdem reicht das erwirtschaftete Geld Arbeitnehmer_innen nicht aus, um ihre Lebenshaltungskosten zu decken.
Auch diese Erhebung zeigt, dass vor allem Frauen unter diesem Lohngefälle leiden. Laut ILO ist der sogenannte gender pay gap in Ländern mit hohem Einkommen am oberen Ende der Lohnskala am höchsten, während der gender pay gap in Ländern mit niedrigem Einkommen bei den am schlechtesten bezahlten Arbeitnehmerinnen am höchsten ist.
Die Gründe: Zum einen werden klassische Frauenberufe etwa in der Pflege oder Kinderbetreuung schlechter bezahlt. Zum anderen sorgt die Mutterschaft in vielen Staaten für niedrigere Einkommen, da die Arbeitszeit reduziert, die Erwerbsbiographie unterbrochen wird oder es kaum Aufstiegschancen in Unternehmen gibt. Zudem leiden Frauen weltweit unter Diskriminierung und Vorurteilen. Dies wiederum ist eine weitere Ursache für das Lohngefälle.
Die Vermögen in modernen Gesellschaften sind extrem ungleich verteilt: So lautet die zentrale These des französischen Volkswirten Thomas Piketty. Er hat mit seinen Erkenntnissen wesentlich dazu beigetragen, dass die Verteilung von Einkommen und Vermögen weltweit einen größeren Stellenwert auf der ökonomischen und politischen Agenda erhält. Warum konzentriert sich das Vermögen bei wenigen Reichen? Laut Piketty liegen die Gründe in einem höheren Kapitaleinkommen und den Möglichkeiten Geld anzulegen, zum Beispiel in Immobilien, Fonds oder Aktien. Zudem ist es für reiche Menschen leichter Vermögen durch Erbschaften aufzubauen als durch Arbeit.
Laut einer Analyse der Hans-Böckler-Stiftung wird diese Kluft in den EU-Staaten besonders in Deutschland und Österreich sichtbar. Das belegt auch der sogenannte Gini-Koeffizient, der die Einkommens- und Vermögensverteilung in einzelnen Staaten bewertet. Je näher der Gini-Koeffizient am Wert 1 liegt, desto größer die Ungleichverteilung. Deutschland, Österreich, Zypern, Frankreich und Portugal haben in der Europäischen Union die höchsten Werte.
Gerechtere Steuerpolitik und Investitionen
Die Gründe für soziale Ungleichheit sind vielfältig. Die Schieflage ist aber vor allem auf eine ungerechte Besteuerung von Konzernen und Vermögen zurückzuführen. In manchen Staaten, darunter Brasilien oder auch Großbritannien, müssen die ärmsten zehn Prozent der Bevölkerung einen höheren Anteil ihres Einkommens für Steuern abtreten, als die reichsten zehn Prozent.
Helfen würde also eine gerechtere Besteuerung von Vermögenden. Entwicklungsorganisationen fordern zudem höhere Investitionen in Bildung und Gesundheit und einen kostenlosen Zugang zu diesen Angeboten. In vielen Staaten reicht das Einkommen der Menschen nicht aus, um Kinder in die Schule zu schicken, eine Ausbildung zu machen oder sich Medikamente zu besorgen.
Weniger Bildung verschärft die soziale Ungleichheit. Da vor allem in Entwicklungs- und Schwellenländern soziale Sicherungssysteme fehlen, drängen Krankheiten die Menschen weiter in die Armut. Die Staatengemeinschaft hat sich bis 2030 über die UN-Nachhaltigkeitsziele dazu verpflichtet Ungleichheit in und zwischen den Ländern zu verringern sowie konkret Armut in all ihren Formen und überall zu beenden und ein gesundes Leben für alle Menschen jeden Alters zu gewährleisten.
Ungleichheit weltweit: Schwerpunkt Lateinamerika
2019 rollte eine Protestwelle über Lateinamerika hinweg. In Chile, Ecuador oder Kolumbien gingen die Menschen zu Tausenden auf die Straße. Die politischen Konstellationen in den Staaten sind unterschiedlich, dennoch verbindet ein Aspekt die Demonstrant_innen: eine zunehmende soziale Ungleichheit. Sinkende Löhne, steigende Arbeitslosigkeit und neue Armut brachten die Menschen dazu, ihren Unmut zu äußern.
Hinzu kommt der politische Rechtsruck in vielen Staaten Lateinamerikas, etwa in Argentinien, Brasilien oder Bolivien, wodurch staatliche Programme für Bedürftige und Menschen mit geringem Einkommen eingestellt wurden und gleichzeitig die Steuerbelastung für Menschen mit hohem Einkommen verringert wurde.
Das DGB Bildungswerk BUND und die Partner in Lateinamerika wollen vor allem gewerkschaftliche Strukturen vor Ort stärken. Denn: Arbeitnehmer_innen bangen um ihre Arbeitsrechte und fordern mehr soziale Gerechtigkeit. Unterstützung gibt es beispielsweise in Brasilien für den Gewerkschaftsdachverband CUT. Dort liegt der Schwerpunkt auf der Ausbildung, Förderung und Stärkung des gewerkschaftlichen Nachwuchses.
Außerdem gibt es Kooperationen mit der Kleinbäuer_innengewerkschaft CONTAG und der Landarbeiter_innengewerkschaft CONTAR. Sie setzen sich für bessere Arbeitsbedingungen und soziale Sicherungssysteme in ländlichen Regionen ein. Viele Landarbeiter_innen beginnen bereits mit 14 Jahren oder früher auf den Plantagen und Feldern zu arbeiten. Die schweren körperlichen Tätigkeiten sind eine hohe Belastung für die Menschen. Gewerkschaften fordern Angebote zum Arbeitsschutz und zur Gesundheitsvorsorge sowie Unterstützung im Alter.
Das Lateinamerika-Projekt des DGB-Bildungswerks hat seinen Sitz in Sao Paulo im Süden Brasiliens. Von dort aus wird die Arbeit mit den Partnerorganisationen sowie anderen gewerkschaftlichen Einrichtungen koordiniert.
Veröffentlicht 12 I 2019