Schöneberger Forum 2019
Planbarkeit, Selbstbestimmung, Entlastung:
Arbeitszeit im öffentlichen Dienst neu gestalten!
Das Thema Arbeitszeit stand im Mittelpunkt des Schöneberger Forums 2019. Am 19. und 20. November kamen in Berlin über 400 VertreterInnen aus Personalräten, Schwerbehindertenvertretungen, Gleichstellungsstellen und Gewerkschaften zusammen, um über Themen wie Wechselschichtdienst, Mobile Arbeit oder lebensphasenorientierte Arbeitszeitmodelle zu diskutieren.
Das Auftaktpodium mit Prof. Dr. Jutta Rump (ibe), Dr. Anita Tisch (Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin), Prof. Dr. Stefan Süß (Heinrich Heine Universität Düsseldorf), Jörg Radek (GdP).
Bild: Simone M. Neumann
Übersicht der Foren
Forum I: Mindeststandards für Gute Arbeit im Wechselschichtdienst
Schichtarbeit belastet betroffene Beschäftigte massiv. Im Fokus des Forums stand daher die Frage, wie Personalräte Schichtdienstleistende durch Dienstvereinbarungen und Initiativen entlasten können. Tobias Michel warnte zunächst davor, einen allgemeingültigen Dienstplan entwickeln zu wollen. Ein Schichtsystem, welches im Stahlwerk für die vorwiegend männliche Belegschaft gut funktioniere, sei für ein Krankenhaus wahrscheinlich ungeeignet. Er empfahl, immer aufs Neue die Wünsche der Beschäftigten einzubeziehen. Im Projekt „Gesünderes Arbeiten in der Polizei“ erstritt die GdP Rheinland-Pfalz Verbesserungen. 13 Dienststellen kreierten hier neue Schichtmodelle, die in Pilotphasen getestet wurden. Parallel wurden rechtliche Grundlagen für eine Rüstzeitpauschale von 20 Minuten pro Schicht und mehr Zusatzurlaub geschaffen. Und auch für den Zoll wurden Anknüpfungspunkte für Personalräte aufgezeigt. Im Hauptzollamt Singen können beispielsweise ältere Beschäftigte auf einem Tagarbeitsplatz hospitieren und überlegen, ob sie aus dem Schichtdienst dorthin wechseln wollen.
ReferentInnen: Stefanie Loth (GdP Rheinland-Pfalz), Tobias Michel (ver.di, Schichtplanfibel), Bernd Becker (GdP Rheinland-Pfalz), Andreas Gallus (ver.di, Personalrat Hauptzollamt Singen), Norbert Schwidder (Mitglied im Personalrat des Hauptzollamtes Hamburg)
Moderation: Kalle Kunkel (ver.di FB 3, Gesundheits- und Sozialwesen in Berlin-Brandenburg)
Forum II: Wie die Arbeitszeit unsere Gesundheit beeinflusst
„Das Unfallrisiko steigt deutlich bei überlangen Arbeitszeiten.“ Diese von Dr. Jana Greubel statistisch unterlegte Aussage bestätigten ForenteilnehmerInnen in Berichten aus ihrem Arbeitsalltag. Prof. Christoph Wunder bekräftigte den Zusammenhang zwischen Arbeitszeit und Gesundheit. Seine Studie zeigt: Wird die Wochenarbeitszeit – unfreiwillig – um eine Stunde erhöht, nehmen Arztbesuche und Krankheitstage, vor allem auf Grund psychischer Beeinträchtigungen, zu. Im Forum wurde aber nicht nur der gesundheitliche Einfluss von Arbeitszeit unter die Lupe genommen, sondern auch, welche Intensität die innerhalb der Arbeitszeit geleistete Arbeit hat. Dr. Lena Hünefeld erläuterte, dass die Arbeitsintensität im öffentlichen Dienst im Vergleich zu anderen Branchen innerhalb von zwei Jahren am stärksten zugenommen hat. Damit einher ginge auch eine Zunahme gesundheitlicher Beschwerden. Auswege aus dem Arbeitszeit-Dilemma schilderte Sabine Heidebrecht-Rüge aus ihrer Tätigkeit als Personalratsmitglied. Initiativanträge zu Stellenmehrbedarfen, die unter anderem mit Unfallverhütung und der Einhaltung des Arbeitsschutzes begründet werden, sowie Organisationsuntersuchungen zur Ermittlung des tatsächlichen Personalbedarfs seien nur zwei von zahlreichen Möglichkeiten für Personalräte, tätig zu werden.
ReferentInnen: Dr. Lena Hünefeld (Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin), Prof. Dr. Christoph Wunder (Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Ökonometrie und empirische Wirtschaftsforschung), Dr. Jana Greubel (Beratungsstelle Arbeit & Gesundheit), Sabine Heidebrecht-Rüge (Personalratsvorsitzende Stadt Neumünster)
Moderation: Matthias Schlenzka (DGB Berlin Brandenburg)
Forum III: Selbstbestimmt oder entgrenzt? Mobile Arbeit mit Dienstvereinbarungen gestalten
Eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben oder mehr Autonomie und Flexibilität, das sind die Hoffnungen, die viele Beschäftigte mit mobiler Arbeit verbinden. Dr. Marta Böning stellte in ihrem Einstiegsreferat zu Beginn des Forums fest, dass die Debatte um Mobile Arbeit und Home Office auch Sinnbild für die Digitalisierungsdebatte sei. Neben den Chancen und Risiken für Beschäftigte erläuterte sie die gesetzlichen Ordnungsrahmen für selbstbestimmtes mobiles Arbeiten einschließlich Home Office. Der Rechtsanspruch auf Mobile Arbeit/Home Office müsse perspektivisch bei Einführung durch Tarif- und Betriebsparteien ausgestaltet werden. Mit Hinweis auf einen Artikel in „Der Personalrat (Ausgabe 7-8/2016)“ verwies sie auf bereits bestehende Gesetzestexte zu Beteiligungsmöglichkeiten von Personalräten hinsichtlich der Ausgestaltung mobiler Arbeit. Thorsten Schnalle stellte eine praxiserprobte Dienstvereinbarung vor und gab wichtige Hinweise, Anregungen und Ideen für die Einführung und Ausgestaltung von Dienstvereinbarungen zur mobilen Arbeit bzw. Telearbeit.
ReferentInnen: Dr. Marta Böning (DGB Bundesvorstand, Abteilung Recht), Thorsten Schnalle (ver.di, Stadt Hannover)
Moderation: Dr. Judith Beile (wmp consult)
Forum IV: Mehr Work als Life? Mit lebensphasenorientierten Arbeitszeitmodellen die Balance finden
Eine komplett individuelle Arbeitszeitgestaltung ist für eine gute Balance zwischen Arbeit und Privatleben durchaus wünschenswert, aber auf Grund des damit verbundenen Aufwands für Unternehmen und Behörden nicht umsetzbar, stellte Prof. Dr. Stephan Kaiser fest. Und das, obwohl sich Zeitbedarfe im Verlauf der Lebens verändern. „Die Geburt eines Kindes ist für Beschäftigte diesbezüglich das „kritischste“ Ereignis“, erklärte er. Aber auch Pflegeaufgaben, ehrenamtliche Funktionen, Hobbys, Haustiere oder die Pendelzeit beeinflussen und verändern die Bedürfnisse der Beschäftigten. Welche Maßnahmen umgesetzt werden können, damit Beschäftigte Beruf und Familie besser vereinbaren können, schilderte Dr. Judith Beile. Entscheidend dabei sei, dass die Maßnahmen mitbestimmt erarbeitet werden. Die Fragen und Diskussionsbeiträge aus dem Publikum nahmen vor allem die Folgen einer starken Individualisierung von Arbeitszeitmodellen in den Blick. Ein hoher Organisationsaufwand und Regelungen zur Verteilung von Aufgaben seien notwendig, um Konflikte mit den KollegInnen, die in klassischer Vollzeit verbleiben, zu vermeiden. Auch die Berücksichtigung der jeweiligen Interessen gelte es so zu regeln, dass Konflikte - zum Beispiel zwischen Beschäftigten mit Kindern und solchen mit anderen Verpflichtungen - vermieden werden.
ReferentInnen: Dr. Judith Beile (wmp consult), Prof. Dr. Stephan Kaiser (Universität der Bundeswehr München, Institut für Entwicklung zukunftsfähiger Organisationen & Professur für ABWL, Personalmanagement und Organisation)
Moderation: Sandra Mierich (Hans-Böckler-Stiftung)
Forum V: Neue Wege zur Entlastung von Lehrkräften
Ausgangspunkt der Diskussion im Forum waren die Studien zur Arbeitszeit und zu Belastungen von Lehrkräften, die von der Kooperationsstelle Hochschule und Gewerkschaften der Universität Göttingen erstellt wurden. Frank Mußmann, der die Befunde aus Niedersachsen vorstellte, konstatierte: Schulformübergreifend leisten rund 57 Prozent der Lehrkräfte wöchentliche Mehrarbeit, 17 Prozent überschreiten sogar dauerhaft die gesetzliche Höchstarbeitszeit von 48 Stunden pro Woche. Der DGB-Index Gute Arbeit markiert ebenfalls eine hohe Arbeitsintensität von Lehrkräften. So fühlen sich 75 Prozent regelmäßig bei der Arbeit gehetzt, bei allen Beschäftigten liegt dieser Wert bei 54 Prozent, erläuterte Rolf Schmucker. Astrid Henke und Maike Wiedwald, GEW Landesvorsitzende aus Schleswig-Holstein und Hessen, zeigten im Anschluss Wege auf, wie Gewerkschaften auf solche Befunde reagieren können: Überlastungsanzeigen, Petitionen, Forderungen nach und Engagement in Arbeitszeit-Kommissionen.
ReferentInnen: Dr. Frank Mußmann (Kooperationsstelle Hochschulen und Gewerkschaften der Universität Göttingen), Astrid Henke (GEW Landesvorsitzende Schleswig-Holstein), Maike Wiedwald (GEW Landesvorsitzende Hessen), Dr. Rolf Schmucker (DGB-Index Gute Arbeit)
Moderation: Lea Karrasch (DGB Niedersachsen – Bremen – Sachsen-Anhalt)
Forum VI: Gute Praxis: Nominierte und Preisträger des Deutschen Personalräte-Preises 2019 stellen ihre Projekte vor
Die Nominierten in alphabetischer Reihenfolge des Ortes:
- Haupt-Jugend- und Auszubildendenvertretung des Landes Berlin
- Personalrat des Landesamtes für Flüchtlingsangelegenheiten, Berlin
- Gesamtpersonalrat der Stadt Bremen
- Hauptschwerbehindertenvertretung der Polizei Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf
- Hauptpersonalrat der Polizei Schleswig-Holstein, Kiel
- Gesamtpersonalrat der Landeshauptstadt München
- Lehrerhauptpersonalrat beim Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur Mecklenburg-Vorpommern, Schwerin
- Schwerbehindertenvertretung des Jobcenters Kreis Segeberg
- Personalrat des Hauptzollamts Singen
Mehr zu den Gewinnern finden Sie hier.
Plenum "Arbeitszeit zwischen Wunsch und Wirklichkeit"
Mit Cornelia Rieke (wmp Consult), Uwe Meinhardt (IG Metall) , Dr. Alexander Voitl (Ministerialdirektor im Bayerischen Staatsministerium der Finanzen und für Heimat), Torsten Westphal (EVG) und Oliver Bandosz (ver.di)
Videos
Umfrage: Wieviele Stunden pro Woche arbeitest du?
Vollzeit, Teilzeit, Schicht: Arbeitest du nur, oder lebst du auch? Eine Straßenumfrage in Berlin zum Thema Arbeitszeit und Vereinbarkeit.
Personalrat: Wie funktioniert die Freistellung?
Als nicht freigestelltes Personalratsmitglied wollen Sie eine Schulungs- oder Bildungsveranstaltung besuchen? Kein Problem Dank §46 Bundespersonalvertretungsgesetz.