LGBTIQ* in der Türkei - Mit einem Ratgeber gegen Homophobie
1.9.2022 I In der Türkei steht es schlecht um die Akzeptanz von Menschen aus der LGBTI Community. Das hat mit Vorurteilen zu tun, aber auch mit einer diskriminierenden Berichterstattung. Die Türkische Journalisten Union kämpft dafür, dass sich das ändert.
Die Pride Parade 2022 sollte im Juni in Istanbul stattfinden. Doch wie in den Jahren zuvor untersagten die Behörden die Demonstration, die lesbische, schwule, bi- und intersexuelle, trans Menschen und andere in der Öffentlichkeit sichtbar machen und für ihre Situation sensibilisieren sollte. Zwar ist Homosexualität in der Türkei strafrechtlich nicht verboten, die meisten LGBTI Menschen werden aber gesellschaftlich geächtet, diskriminiert und immer wieder auch tätlich angegriffen. Die Selbsthilfeorganisationen der LGBTI Community, Kaos und Lambda, sehen sich ständig Angriffen ausgesetzt, nicht zuletzt auch durch die Polizei. Als rund 200 Menschen versuchten, die Parade trotz Verbot durchzusetzen, schlug die Polizei mit aller Härte zu. Es gab etliche Verhaftungen.
In den türkischen Medien spielte das keine große Rolle. Ohnehin werden LGBTI Personen dort eher ins kriminelle Milieu oder ins Rotlichtviertel verbannt, eine respektvolle Sprache ist die große Ausnahme. Die Türkische Journalisten Union, (Türkiye Gazeteciler Sendikase, TGS) die seit den 1950er Jahren bestehende Gewerkschaft für Journalist_innen, kämpft seit langem gegen diese Diskriminierung an. Nun hat sie mit Unterstützung der EU, die das Geld für den Druck bereitstellte, einen »Ratgeber für Gendergleichheit im Rahmen von ethischem Journalismus« herausgegeben. Er soll helfen, den Kampf gegen Homophobie und Sexismus zu systematisieren.
Die Autor_innen rufen Journalist_innen dazu auf, sich mit Vorurteilen und Stereotypen auseinanderzusetzen und Fake News über LBGTI Personen zu korrigieren sowie sie nicht nur als Opfer darzustellen, sondern als Menschen, die aktiv für ihre Rechte eintreten. Zudem ermuntern sie sie explizit, sich mit LGBTI Themen auseinanderzusetzen – und warnen davor, die sexuelle Neigung von Personen medial offenzulegen, wenn das mit dem Thema gar nichts zu tun hat.
Diesen teils aggressiven, teils diskriminierenden Umgang mit Lebensweisen, die von heteronormativen Vorlagen abweichen, gab es in der Türkei nicht immer. Er hängt auch mit den Veränderungen der Presselandschaft zusammen. Ende der Nullerjahre gab es noch eine Vielfalt kritischer Medien. Damals wurde etwa die Sonntagsbeilage der linksliberalen Tageszeitung »Radikal« von Tugrul Eryilmaz verantwortet, der sich offen als Schwuler bekannte und Themen wie Transgender, Bisexualität oder andere Orientierungs- und Identitätsfragen auch immer wieder ins Blatt hob. Zur selben Zeit gab es in den Mainstream-Medien das erste und bis heute einzige Mal eine weibliche Chefredakteurin, Nurcan Akat, die das Traditionsblatt »Milyet« leitete. Den Höhepunkt des gesellschaftlichen Aufbruchs erreichte die Türkei während der Gezi-Bewegung 2013, die das halbe Land zu Protesten gegen die immer autoritärer werdende Herrschaft des heutigen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan inspirierte. Im kurzen Sommer der Anarchie veranstaltete die LGBTI Community 2013 eine Pride-Parade an der bis zu 100.000 Menschen teilnahmen.
Diesen teils aggressiven, teils diskriminierenden Umgang mit Lebensweisen, die von heteronormativen Vorlagen abweichen, gab es in der Türkei nicht immer.
Mit der gewaltsamen Niederschlagung der Protestbewegung nahm auch die Diskriminierung wieder zu. 2013 gründete sich in der TSG eine Gruppe, die systematisch gegen Geschlechterdiskriminierung und LGBTI Verunglimpfung angehen wollte. Evrim Kepenek, eine der Gründerinnen der Gruppe, erzählte später, dass es zunächst auch um Solidarität mit Journalist_innen ging, die selbst zur LGBTI Community gehörten und sich ganz überwiegend nicht trauten, sich dazu zu bekennen, weil sie Angst hatten, gemobbt zu werden oder gar ihren Job zu verlieren. »Wir wollten uns gegenseitig Mut machen«, sagte sie.
Doch seitdem hat sich die Situation dramatisch verschlechtert. Fast alle unabhängigen oder regierungskritischen Medien wurden mit Hilfe einer gegängelten Justiz mundtot gemacht oder von regierungsnahen Geschäftsleuten aufgekauft. Auch die TGS veränderte sich stark.
Journalist_innen der Mainstream-Medien traten aus der Gewerkschaft aus oder gar nicht mehr ein. Heute steht die TGS in ganz klarer Opposition zum Regime Tayyip Erdogans und kämpft verzweifelt für einen letzten Rest von Pressefreiheit.
Einfluss auf das Fernsehen oder die großen regierungsnahen Zeitungen hat die TGS nicht mehr, entsprechend wenig Echo haben die Handreichungen für einen ethischen Umgang mit LGBTI Personen in den Mainstream-Medien heute. »Wir kämpfen natürlich trotzdem weiter gegen Diskriminierung«, sagt Ahmet Günes, ein Gründungsmitglied der oppositionellen Zeitung »Birgün«, die stark im TGS vertreten ist. »Auch wenn die Schreibenden der Regierung in der TGS nur noch eine feindliche Organisation sehen, einen gewissen Einfluss haben wir als größte und älteste Journalist_innen-Organisation im Land schon noch.«
Der Autor: Jürgen Gottschlich ist Journalist und lebt in Istanbul
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