Deutsches Lieferkettengesetz: Zum Gespräch mit Gewerkschaften verpflichtet
31.8.2023 I Fast 60 Prozent der Fälle von Zwangsarbeit entfallen auf Landwirtschaft und Fischindustrie. Das deutsche Lieferkettengesetz soll dem entgegenwirken und Arbeits- und Menschenrechte im Geschäft der Supermärkte stärken. Was bringt es?
Kinderarbeit auf Kakaoplantagen, Zwangsarbeit in der Orangensaftindustrie, Verfolgung von Gewerkschafter_innen des Kaffeeanbaus – die Liste von dokumentierten Menschen- und Arbeitsrechtsverletzungen entlang der Lieferkette im Lebensmittelsektor ist lang. Die Arbeiter_innen in der Nahrungsmittelproduktion sind besonders von Menschenrechtsverletzungen bedroht: Laut dem UN-Bericht zu Menschenhandel 2022 fanden rund 29 Prozent der erfassten Fälle von Zwangsarbeit zwischen 2012 und 2021 in der Landwirtschaft statt und etwa 28 Prozent in der Fischindustrie.
Das deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) soll das ändern. Mit ihm werden Firmen mit Sitz in Deutschland verpflichtet, ihre Lieferketten zu überprüfen und gegen Menschenrechtsverletzungen vorzugehen. Seit dem 1. Januar 2023 gilt das Gesetz. Unternehmen mit mindestens 3.000 Mitarbeitenden müssen seitdem analysieren, welche Risiken von Umwelt- und Menschenrechtsverletzungen in ihren Lieferketten bestehen. Sie müssen präventive Maßnahmen ergreifen, um Verstößen vorzubeugen. Bei Rechtsverletzungen müssen sie Abhilfe schaffen. Außerdem muss ein internes Beschwerdeverfahren eingerichtet werden. Ab 2024 gilt das Gesetz auch für Unternehmen mit mindestens 1.000 Mitarbeitenden. Gibt es nach rund acht Monaten Erfolge?
„Im Moment kann ich noch nicht sagen, das Gesetz wirkt, aber es ist normal, dass es nach so einer kurzen Zeit global noch keine starke Veränderung gab“, sagt Peter Schmidt. Er ist seit 35 Jahren Gewerkschafter, 13 Jahre davon als hauptamtlich Beschäftigter Vorsitzender des Europäischen Betriebsrats von Nestlé. Bei der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten war Schmidt lange zuständig für Internationales und Europa. Heute ist er Mitglied im Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss, einem Nebenorgan der EU, in dem Arbeitgeberverbände, Gewerkschaften und andere Interessengruppen vertreten sind. Schmidt wertet das sogenannte Lieferkettengesetz als Erfolg für Arbeitnehmerrechte. Gewerkschaften hätten damit ein Druckmittel.
Um Risiken wirksam zu analysieren und Maßnahmen zu treffen, sind Manager vor Ort auf Gewerkschaften angewiesen, meint Schmidt. Das Gesetz verlange die Zusammenarbeit von Gewerkschaften und Unternehmen, die sei nicht überall üblich. „Das gibt uns die Möglichkeit, dass die Kolleginnen und Kollegen zum Beispiel in Indonesien oder Pakistan tatsächlich Zugang zu den Unternehmensführungen finden. Multinationale Unternehmen sind extrem zentralistisch organisiert, sie sind dann also von oben verpflichtet, in Gespräche mit den Gewerkschaften einzutreten. Das funktioniert natürlich nicht von heute auf morgen“, so der Gewerkschafter.
Schmidt weiß aus Erfahrung, wie Gewerkschaften in europäischen Unternehmen über ihre Beziehungen zum Management Arbeitnehmervertretungen in anderen Ländern unterstützen können, selbst dort, wo sie es politisch schwer haben. Auf die Zusammenarbeit zwischen Gewerkschaften entlang der Lieferkette werde es ankommen, um Verbesserungen für Arbeitnehmende zu erwirken, meint er.
Das zeigt auch eine aktuelle Studie im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung, auch wenn es darin um die Wirkungen des Lieferkettengesetzes im Automobilsektor in Südafrika, Kenia und Ghana geht. Die Autor_innen kommen zu dem Schluss, dass zuerst Arbeitnehmende, insbesondere am Anfang der Lieferkette, sowie Graswurzelbewegungen über die Möglichkeiten des Gesetzes informiert werden müssen.
Vor allem prekäre Beschäftigte sind von Menschenrechtsverletzungen bedroht: Erntehelfer_innen auf Kakaoplantagen in Ghana oder auf Spargelfeldern in Deutschland. Sie sind häufig unregelmäßig beschäftigt, auf die Arbeit angewiesen und schlecht vertreten. Es ist fraglich, ob sie von Beschwerdemechanismen Gebrauch machen. Im deutschen Lieferkettengesetz sind Unternehmen aber nur verpflichtet, mittelbare Zulieferer zu überprüfen – außer es gibt Hinweise auf Verletzungen bei Zulieferern weiter am Anfang der Kette.
Die Frage, was genau die Beachtung der unternehmerischen Sorgfaltspflichten – wie es im Gesetz steht – „in angemessener Weise” ausmacht, wird im Laufe der Zeit verhandelt werden. Dafür gibt es etwa die Überprüfung von Beschwerden durch das zuständige Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle.
Die Zusammenarbeit mit Gewerkschaften bei der Erfüllung von Sorgfaltspflichten ist zum Beispiel im Gesetz nicht explizit festgeschrieben. Dort heißt es zwar auch, Unternehmen müssen „angemessene Löhne“ zahlen. Genauer definiert ist aber auch das nicht. Viele Branchenstandards oder nationale Mindestlöhne sind nicht existenzsichernd. Gleichzeitig ist der Zusammenhang zwischen Löhnen und Menschenrechtsverletzungen wie Zwangsarbeit oder Kinderarbeit hinreichend belegt.
„Der Kapitalismus ist mit dem Gesetz nicht abgeschafft”, sagt Schmidt. „Lebensmittelkonzerne haben Profitmargen zwischen 17 und 23 Prozent.” Um Profite zu sichern, üben sie Druck auf die Versorgungskette aus. Gleiches gilt für Supermärkte in Deutschland, wo sich nur fünf große Unternehmen den Markt teilen. Verstöße gegen Menschenrechte müssten mit viel höheren Strafen belegt und so richtig teuer gemacht werden, findet Schmidt.
Die Autorin: Leila van Rinsum lebt als Journalistin in Berlin, ihr Schwerpunkt: Internationaler Handel und Entwicklungspolitik.