Umbau in Kolumbien: Eine fast friedliche Agrarreform
31.08.2023 I Kolumbiens Präsident Gustavo Petro will eine ökologischere Landwirtschaft, auch um unabhängig zu werden etwa von Bohnen aus den USA und China. Die Bauern und Bäuerinnen fordern jedoch mehr: eine ländliche Entwicklung. Einige ziehen dafür bis vor das Agrarministerium.
„Nein zu Importen und Ja zur Lagerung“, skandierten mehrere hundert Reisbauern und -bäuerinnen vor dem Agrarministerium an der 7. Straße in Bogotá, der Hauptstadt Kolumbiens, Ende Juni. „Wir fordern ländliche Entwicklung“ war auf einem Transparent von einigen zu lesen, die aus dem Departamento Huila angereist waren.
Huila, Meta, Tolima und Casanere heißen die wichtigsten Reisanbauregionen des Landes und die weißen Körner zählen in dem südamerikanischen Land zu den Grundnahrungsmitteln. Doch die Anbaubedingungen für die rund 60.000 Reisbauern und -bäuerinnen dort sind prekär. Zum einen machen ihnen Klimawandel und ausbleibende Regenfälle zu schaffen, zum anderen internationale Freihandelsverträge. Mit ihnen wurde der kolumbianische Markt weit geöffnet für billigere Konkurrenz vor allem aus den USA und dem benachbarten Ecuador.
„Parallel zur Marktöffnung wurde die Infrastruktur abgebaut, die wir brauchen, um unseren Reis einzulagern und nach Ernteende peu à peu auf den Markt zu bringen“, kritisierte Julio Calas, Redner auf der improvisierten Bühne vor dem Agrarministerium. Drinnen verhandelten derweil Vertreter_innen der Demonstrierenden mit dem Stab von Ministerin Jhénifer Mojica. Sie hat Entgegenkommen signalisiert. Die Regierung von Gustavo Petro strebt eine agrarpolitische Kehrtwende an: Sie wollen Ernährungssicherheit, ökologischen Anbau und eine Agrarreform.
„Das hat revolutionären Charakter, ist aber in einem Land wie Kolumbien alles andere als einfach umzusetzen“, so Fabio Arias, der Vorsitzende der CUT, der Central Unitaria de Trabajadores de Colombia. Der größte Gewerkschaftsdachverband unterstützt nicht nur den Kurs der Regierung, sondern auch die Forderung der Reisbauern. „Kolumbien war bis vor 20 bis 30 Jahren komplett unabhängig von Nahrungsmittelimporten. Dann kam die neoliberale Regierungsperiode, die unsere Landwirtschaft brutal öffnete. In der Konsequenz importieren wir heute Bohnen aus China und den USA, obwohl hier die Felder oft brach liegen“, kritisiert der 60-jährige. Das liegt für Arias an zwei Faktoren: der Landkonzentration und den Freihandelsverträgen.
Dem ersten Faktor will die Regierung Gustavo Petro durch den Aufkauf von Brachland und die Einrichtung eines Landkatasters beikommen. Drei Millionen Hektar sind es, die in einem ersten Schritt vom ultrakonservativen Dachverband der Viehzüchter, Fedegán, gekauft werden sollen. Zwar wird noch verhandelt, aber einzelne Flächen sind bereits erworben und auch schon umverteilt worden.
Das ist in Kolumbien überaus symbolträchtig nach Dekaden der Zwangsenteignung mit vorgehaltener Waffe. Damit sich das nicht wiederholen kann, soll ein modernes Landkataster eingerichtet werden. Dabei steht die deutsche Regierung mit beratender Expertise zur Seite. Das Kataster könnte, so das Ziel der Regierung Petro, die Grundlage für die Besteuerung von Brachland liefern und so Druck auf die Großgrundbesitzer aufbauen, Land zu verkaufen. Für ihre Flächen haben sie in der kolumbianischen Geschichte selten oder nie Abgaben entrichtet.
Diese friedliche Agrarreform durch die Hintertür hat bereits die ersten formellen Hürden im Parlament genommen, was zumindest von Kleinbauern-Genossenschaften als historisch gefeiert wurde. Richtig ökonomisch durchschlagen wird sie aber wohl erst, wenn es begleitende Maßnahmen gibt, die Infrastruktur verbessert und staatliche Gesundheitseinrichtungen ausgebaut werden, auch Schulen, Gerichte und vieles mehr. Die von den Reisbauern eingeforderten Lagerhallen für Reis, Getreide und andere langlebige Nahrungsmittel wie Bohnen oder Mais zählen ebenfalls dazu. Die Bauten würden ihre Marktposition verbessern.
Das allerdings ist nicht im Interesse aller: Die USA, die EU und andere Big Player werden auf die Erfüllung der Freihandelsverträge pochen, um weiter ihre billigeren Waren auf den kolumbianischen Markt bringen zu können. Maßnahmen wie die von den Reisbauern geforderten Zölle gegen Billigimporte wird die Regierung Petro kaum ohne Konsequenzen wie Verfahren vor internationalen Schiedsgerichten initiieren können. Was bleibt, ist die Hoffnung auf Nachverhandlungen, so Fabio Arias. Er fordert zudem, dass die Regierung Petro alsbald mit Konzepten aufwartet, um den kleinen ökologischen Sektor im Land zu stärken. Der hat bei Kaffee, Honig und Kakao bereits einige Achtungserfolge vorzuweisen – inklusive Exporten nach Deutschland.
Der Autor: Knut Henkel lebt als Journalist in Hamburg und reist regelmäßig nach Kolumbien.