» Die Kunden sind meist reiche weiße Männer «
10.09.2024 I Sorgearbeiter*innen, die ihre Dienste über digitale Plattformen anbieten, hoffen, schnell gut entlohnte Arbeit zu finden. Doch dann finden sie sich „häufig in einer sehr prekären Lage wieder“, sagt die südafrikanische Wissenschaftlerin Fairuz Mullagee.
Fairuz Mullagee, Sie forschen in Südafrika zur Plattform-Ökonomie. Derzeit liegen Care-Plattformen im Trend. Was genau ist das?
Fairuz Mullagee: Care-Plattformen sind die Uberisierung der Haus- und Sorgearbeit. Diese Plattformen arbeiten im Prinzip wie andere Online-Plattformen auch. Nur bieten dort keine Restaurants ihre Speisen und keine Chauffeur*innen ihre Fahrdienste an, sondern Sorgearbeiter*innen ihre Sorgearbeit für Privathaushalte. In Südafrika boomt dieses Geschäft.
Was ist das Besondere an diesen Plattformen?
Diese Plattformen spiegeln die Ungleichheit unserer Gesellschaft wider. Südafrika ist ein Land mit hoher Vermögensungleichheit. Bei Care-Plattformen sind die Kunden meist reiche
weiße Männer, die Arbeiter*innen meist schwarze Frauen. Denn Sorgearbeit ist zu 99 Prozent weiblich. Häufig sind es auch Migrant*innen aus Asien oder anderen afrikanischen Ländern, die auf den Plattformen in Südafrika ihre Dienste anbieten. Insofern ist Migration auch ein wichtiges Thema bei Care-Plattformen.
Wieso bieten die Arbeiter*innen ihre Dienstleistungen auf den Plattformen an?
Die Plattformen versprechen ihnen schnelle und flexible Arbeit. Gerade in einem Land mit 40 Prozent Arbeitslosigkeit und gerade für Arbeiter*innen ohne regulären Aufenthaltsstatus ist das ein großes Versprechen. Gleichzeitig stellen die Plattformen auch einen guten Lohn in Aussicht. Doch in der Realität kommt ihr ausbeuterischer Charakter schnell zum Vorschein – und die Arbeiter*innen finden sich häufig in einer sehr prekären Lage wieder.
Was sind die größten Probleme?
Es gibt zwar auch in Südafrika gute Arbeitnehmer*innenrechte, die die Arbeiter*innen eigentlich schützen sollen. Aber diese werden kaum durchgesetzt. Insbesondere, wenn die Plattform-Arbeiter*innen keinen regulären Aufenthaltsstatus haben, rächen sich diese irregulären Beschäftigungsverhältnisse. Die Angestellten haben häufig nicht den Mut, bei Missbrauch zur Polizei zu gehen oder ihren ausstehenden Lohn einzuklagen. Gleichzeitig weisen die Plattformen alle Verantwortung von sich und behaupten, dass sie keine Arbeitgeber seien und die Dienstleistungen nur vermitteln würden.
Was würde den Sorgearbeiter*innen helfen?
Das Problem sind nicht die Plattformen an und für sich. Sie bieten den Sorgearbeiter*innen ja durchaus auch Vorteile. Das Problem sind die Eigentümer hinter den Plattformen, die diese nicht aus Altruismus aufgebaut haben, sondern um möglichst viel Profit mit ihnen zu machen. Deswegen arbeite ich seit einiger Zeit mit Kolleg*innen und betroffenen Hausangestellten an einer non-profit Alternative zu den bestehenden kommerziellen Plattformen. Ich hoffe, diese Plattform bald der Öffentlichkeit vorstellen zu können.
Was ist mit klassischer Gewerkschaftsarbeit?
Es gibt Initiativen, Plattformarbeiter*innen im Carebereich zu organisieren. Aber das ist eine sehr schwierige Aufgabe. Zum einen müssen sich da auch die Gewerkschaften ändern. Zum anderen haben die Plattform-Arbeiter*innen häufig auch kein Vertrauen, dass die Gewerkschaften ihre Lage verbessern können. Eine große Barriere für gewerkschaftliches Engagement ist zudem die Gefahr, dass die Plattformen einem das Profil löschen, sobald sie davon erfahren. Man bekommt keine Arbeit mehr, wenn das eigene Engagement bekannt wird.
Unterscheidet sich die Gewerkschaftsarbeit in diesem Bereich im Globalen Süden von der im Globalen Norden?
Definitiv. Wie im Globalen Norden werden auch im Globalen Süden das Internet und Soziale Medien immer wichtiger für die Aufklärung und Erreichbarkeit der Angestellten. Doch im Süden ist nicht überall ein Internetzugang vorhanden und wenn, ist er oft teuer. Das ist ein Hindernis.
Könnte eine internationale Zusammenarbeit der Gewerkschaften beim Thema Plattform-Ökonomie helfen?
Es ist sehr wichtig, dass die Gewerkschaften des Globalen Nordens und Südens zusammenarbeiten. Denn unsere Situation unterscheidet sich vielleicht in manchen ökonomischen, politischen oder kulturellen Bereichen. Wir sind aber alle von der gleichen rasanten Entwicklung der Digitalisierung betroffen. Auch in Deutschland gibt es Plattformen im Care-Sektor.
Wie könnte eine solche Zusammenarbeit aussehen? Gibt es mögliche gemeinsame Forderungen?
Bisher hat noch niemand eine Antwort gefunden auf die neuen Herausforderungen der Plattform-Ökonomie. Es braucht deshalb vor allem gemeinsame Veranstaltungen und Konferenzen, wo man sich treffen und miteinander diskutieren kann. Die Gewerkschaften müssen diese Orte schaffen und den Plattformarbeiter*innen ein Netzwerk bauen, in dem sie sich austauschen und organisieren können.
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Interviewte: Fairuz Mullagee forscht an der University of the Westerncape im südafrikanischen Kapstadt. Sie leitet dort derzeit ein Projekt zum Aufbau einer Kooperationsplattform für Haus- und Pflegekräfte.
Interviewer: Simon Poelchau befasst sich als Journalist in Berlin mit Fragen der Ökonomie.
Sorgearbeit weltweit, NORDSÜD NEWS 2024, Ausgabe 2
Studie zu Strategien
Plattformen wie Uber oder Deliveroo, also Fahr- und Lieferdienste sind allgegenwärtig. Aber auch die weniger bekannter Plattformen im Care-Sektor entstanden bereits mit der frühen Entwicklung digitaler Plattformarbeit. Während die häufig männlichen Fahrer im öffentlichen Raum sichtbar sind, sind die meist weiblichen Hausangestellten nahezu unsichtbar. Das hat Auswirkungen darauf, welche bzw. wessen Arbeitsverhältnisse überhaupt zum Thema werden. Auch für die gewerkschaftliche Organisierung ist das ein Hindernis. Eine neue Studie herausgegeben von der Friedrich-Ebert-Stiftung und der European Service Union beleuchtet das Thema Plattformarbeit im Care-Sektor aus Gewerkschaftsperspektive und identifiziert Strategien zur Verbesserung der Rechte von Plattformarbeiter*innen.