Ein Accord für KI-Arbeiter*innen
13.12.2024 I IT-Konzerne lagern Kernbereiche ihrer Arbeit in Länder mit schlechteren Arbeitsbedingungen aus, um zu sparen. Sie müssen verpflichtet werden, sich um die Einhaltung von Menschen- und Arbeitsrechten in der ganzen Kette zu kümmern, fordert UNI Global Union-Generalsekretärin Christy Hoffman.
Unternehmen schmücken technologische Fortschritte gern mit Versprechen von Wohlstand: Alle würden davon reicher werden, einkommensschwache Länder könnten traditionelle Entwicklungshürden überspringen, es entstünden bessere und nachhaltigere Arbeitsplätze. Doch die Realität zeigt, dass neue technologische «Revolutionen» weitgehend altbekannte Ausbeutungsmuster reproduzieren. Die Entwicklung von generativer KI beispielsweise wird von einigen wenigen – extrem reichen – Technologiegiganten dominiert.
Doch beim Boom der KI geht es nicht nur um gut bezahlte Ingenieur*innen im Silicon Valley oder in Stockholm, oder um die Automatisierung von Büroarbeit weltweit. Im Hintergrund verbirgt sich eine große, unsichtbare Arbeiterschaft rund um den Globus, die massiv unterbezahlt ist. Denn gebraucht werden Arbeitskräfte, die die Daten kennzeichnen, kategorisieren und Inhalte beispielsweise von sozialen Medien moderieren. Sie stehen in keinem direkten Beschäftigungsverhältnis zu den Alphabets, Metas, Amazon Web Services oder OpenAIs dieser Welt. Stattdessen arbeiten sie für Business-Process-Outsourcing-Organisationen (BPOs), in einigen Fällen auch für Plattformen.
In Ländern wie Kolumbien, Kenia, den Philippinen, Rumänien und Südafrika ist ihre Situation aktuell geprägt von niedrigen Löhnen, brutalen Produktivitätsanforderungen, instabilen und unsicheren Arbeitsbedingungen. Die globale Gewerkschaftsbewegung kann den in der Lieferkette arbeitenden Menschen helfen, weltweit Macht aufzubauen. Wir können die Organisierung in wichtigen BPO-Technologiezentren unterstützen und helfen, Strategien zu entwickeln, um die Unternehmen in die Verantwortung zu nehmen, die die Arbeit dorthin auslagern.
Wir wissen, wie man Unternehmen in Lieferketten zur Rechenschaft zieht.
Wir wissen, wie man Unternehmen in Lieferketten zur Rechenschaft zieht. Im Jahr 2013 einigten wir als UNI und unsere Partner uns mit führenden Modemarken darauf, Verantwortung für die Sicherheit in den Fabriken ihrer Auftragnehmer zu übernehmen. Wir schlossen ein Abkommen, das damals als Bangladesh Accord bekannt wurde. Heute hat sein Nachfolgeabkommen, der International Accord, über 200 Unterzeichner, was die Nachhaltigkeit des Modells und den Erfolg seines Level-Playing-Field-Ansatzes beweist, also der Idee, gleiche Bedingungen für alle zu gewährleisten.
In ähnlicher Weise sollten Technologieunternehmen, die von der Arbeit dieser Lieferketten-Arbeitskräfte profitieren, ihre Auftragnehmer verpflichten, grundlegende Rechte zu respektieren. Unternehmen entlang der gesamten Datenlieferkette sollten grundlegende Verpflichtungen wie existenzsichernde Löhne, eine sichere und gesunde Arbeitsumgebung, Richtlinien zur Bekämpfung geschlechtsspezifischer Gewalt sowie realistische Produktivitätsziele einhalten. Arbeiterinnen und Arbeiter sollten keine Drohung, Belästigung und sogar Gewalt ertragen müssen, nur weil sie einer Gewerkschaft beitreten wollen. Wie beim International Accord sollten sich Technologieunternehmen verpflichten, Verantwortung für die Arbeitskräfte der Lieferkette zu übernehmen. Und angesichts der Fähigkeit der Technologieunternehmen, diese Arbeit leicht überall auf der Welt zu verlagern, ist eine globale Strategie notwendig.
Eine gute Vorlage für die Gewerkschaftsbewegung, um solche globalen Vertragsstandards zu schaffen, ist das globale Abkommen von UNI mit Teleperformance, dem weltweit größten BPO-Arbeitgeber. Die Grundlage dieses Vertrags ist das Recht der Arbeitnehmer*innen, eine Gewerkschaft zu gründen und Tarifverhandlungen zu führen. Es enthält Schutzmaßnahmen für die elektronische Überwachung und Kontrolle von Arbeitnehmer*innen sowie Bestimmungen zur psychischen Gesundheit für Content-Moderator*innen.
Wir nutzen dieses rechtlich bindende Abkommen, um Arbeitnehmende in über einem Dutzend Ländern bei der Mobilisierung und Gewerkschaftsbildung zu unterstützen – und wir sehen Erfolge. Etwa in Kolumbien und Rumänien, wo UNI-Mitglieder kürzlich Tarifverträge abgeschlossen haben.
Leider ist der Bedarf an verbindlichen, starken Schutzmaßnahmen für die Lieferkette bei den großen Technologieunternehmen noch nicht angekommen. Im Gegenteil, sie stehen ihnen erst einmal ablehnend gegenüber. Das wird dadurch begünstigt, dass Politik und Regierungsbehörden das Problem nicht ernst zu nehmen scheinen oder ihnen die Kapazitäten fehlen. Das kennen wir von fast jedem globalen Abkommen, das wir verhandelt haben. Es wird ein vereinter Einsatz von Arbeitnehmenden weltweit nötig sein, um zu zeigen, warum Unternehmen ihre Arbeit wertschätzen müssen. Regulierungsbehörden
müssen für sicherere Arbeitsplätze und sicherere Technologien eintreten. Dazu wird es breite Partnerschaften und eine Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft und Interessenvertretungen brauchen.
Wir müssen alle an der Seite der Arbeitskräfte in den BPOs stehen!
Kommentatorin: Christy Hoffman ist Juristin und Ökonomin und seit 2018 Generalsekretärin von UNI Global Union. Sie hat mehr als 25 Jahre Erfahrung als Gewerkschafterin in den USA, zunächst als Betriebsrätin bei der International Association of Machinists in einer Triebwerksfabrik, später als Organisatorin und schließlich als Rechtsberaterin für US-Gewerkschaften wie UMWA, Teamsters und SEIU. Den Bangladesch Accord handelte sie 2013 mit aus.
UNI Global Union ist ein globaler Verbund von Dienstleistungsgewerkschaften. Er vertritt mehr als 20 Millionen Beschäftigte in 150 Ländern.