Contentmoderator*innen in Kenia: Doppelstrategie mit Gewerkschaft und Klage
18.12.2024 I Als outgesourcte Content-Moderatorin für Facebook muss Kauna Malgwi in Nairobi täglich gewalttätige Videos sichten – ohne psychische Unterstützung und für wenig Geld. Als sie sich organisieren will, wird sie mit 260 Kolleg*innen entlassen. Aber aufgeben gilt nicht. Die BPO-Arbeiter*innen kämpfen jetzt für ein starkes keniaweites Abkommen.
Während viele Unternehmen in Deutschland händeringend nach IT-Fachkräften suchen, gibt es in Kenia einen Überschuss an gut ausgebildeten, Tech-affinen jungen Leuten, die arbeitslos sind. Kein Wunder, dass international agierende Konzerne im Bereich Kommunikation und IT das ostafrikanische Land immer mehr als Standort für auszulagernde Geschäftsfelder entdecken. Business Process Outsourcing (BPO) nennt es sich, wenn Unternehmen Teile ihrer Geschäftsprozesse an Drittanbieter auslagern. Auch die Regierung sieht hier Potenzial, im Frühjahr 2024 hat Präsident William Ruto angekündigt, die Infrastruktur für die Ansiedlungen im großen Stil auszubauen. Sein Ziel sei es, in den nächsten fünf Jahren auf eine Million BPO-Jobs zu kommen.
BPO-Partner von Google, Meta, dem Mutterkonzern von Facebook, und Microsoft hier ist beispielsweise die US-Firma Sama, die auch Mitarbeitende in Uganda und Indien beschäftigt, um Daten für Kunden aus dem Silicon Valley zu kennzeichnen oder deren Contentmoderation zu übernehmen. Kauna Malgwi hat bei Sama gearbeitet. Das Unternehmen hatte die damals 25-Jährige 2019 aus ihrem Heimatort im Norden Nigerias nach Nairobi eingeflogen. Sie war für Inhalte in Hausa zuständig, der nach dem Arabischen am zweithäufigsten gesprochenen Sprache der afro-asiatischen Sprachenfamilie.
Täglich musste Malgwi stundenlang Videomaterial von grausamer Gewalt ansehen, um zu bewerten, ob es gegen die Richtlinien von Facebook verstieß. Darauf sei sie nicht vorbereitet gewesen, sagt Malgwi heute. Und der Vertrag habe ihr verboten, mit anderen über ihre Arbeit zu sprechen, sie hatte keine psychologische Betreuung. Bald konnte die junge Frau nicht mehr schlafen und essen, hatte Panik-Attacken. Auch andere Moderator*innen litten unter ähnlichen Belastungen. Doch Versuche, sich gewerkschaftlich zu organisieren, endeten damit, dass Malgwi und 260 ihrer Kolleg*innen 2023 entlassen wurden. Sie verklagten Meta. Erst im Oktober 2024 entschied das kenianische Arbeitsgericht nun, dass die Klage zulässig ist. Jetzt beginnt der eigentliche Prozess. Malgwi und ihre Kolleg*innen haben ihre ausstehenden Gehälter und Abfindungen noch nicht erhalten. „Viele sitzen fest und haben Mühe, etwas zu essen auf den Tisch zu bringen“, sagt Malgwi. Einige kämpfen mit posttraumatischem Streß.
Doch die Tech-Arbeiter*innen haben nicht nur auf die Gerichte gewartet. Nach ihrem Rauswurf gründeten sie mit mehr als 150 Content-Moderator*innen von Facebook, TikTok und ChatGPT die African Content Moderators Union in Nairobi. Auch Daten- und Cloud-Arbeiter*innen oder Call Center-Agent*innen sind der Gewerkschaft beigetreten. Im Oktober hat die African Content Moderators Union unter Führung der Gewerkschaft der Kommunikationsarbeiter*innen Verhandlungen mit Teleperformance aufgenommen, einem französischen Unternehmen, das die Moderation von Inhalten für TikTok in Nairobi regelt.
Der französische Konzern ist der weltgrößte BPO-Arbeitgeber und hat Ende 2022 mit UNI Global Union, dem Verbund der Dienstleistungsgewerkschaften, bereits ein Rahmenabkommen geschlossen (siehe Kommentar S. 4+5). Die Gewerkschaft will nun auch für Kenia eine Vereinbarung über bessere Löhne und Arbeitsbedingungen, Verträge für alle Beschäftigten sowie Arbeitserlaubnisse für ausländische Arbeitnehmer*innen und psychische Gesundheitsfürsorge anstreben.
Malgwi sagt, die Probleme für Tech-Beschäftigte ähnelten sich in allen Bereichen: „Die Arbeitsbelastung ist hoch und es herrscht oft ein toxisches Arbeitsumfeld.“ Auch die Bezahlung ist gering – umgerechnet gerade mal 2 US-Dollar in der Stunde verdienen die Content-Moderator*innen in Kenia, in Europa und den USA wäre es das Zehnfache.
Ben Mkalama, der an der Universität von Nairobi Betriebswirtschaft lehrt, bestätigt, dass die Arbeitsstandards in der Branche schlecht seien. Er hat die Entwicklung der BPO-Industrie in Kenia untersucht und mit vielen dort Beschäftigten gesprochen. Diese berichteten, dass die Arbeitszeiten zu lang seien und ein großer Druck herrsche. Gleichzeitig, so Mkalama, seien die Arbeitskräfte von diesen Jobs abhängig. Die kenianische Kommunikationsbehörde sei zudem nicht in der Lage, die lizenzierten BPO-Unternehmen zu kontrollieren, von denen es sehr viele gebe. Genaue Zahlen dazu sind nicht bekannt, doch darunter sind große Unternehmen genauso wie Ein-Personen-Betriebe.
Bei seiner Feldforschung traf Mkalama auf einen Arbeitgeber, der drei Personen in einem Raum hinter seinem Haus beschäftigte. „Sie arbeiten rund um die Uhr“, berichtet der Forscher. Auftraggeber sei eine bekannte Institution an der Ostküste der USA, deren Namen er nicht nennen möchte. „Der Zeitunterschied beträgt neun bis zwölf Stunden. Das heißt die Beschäftigten in Kenia arbeiten dann auch nachts, um die Kunden zufrieden zu stellen“, sagt Mkalama.
Die kenianische Regierung habe Versuche der Beschäftigten, sich gewerk-
schaftlich zu organisieren, nicht wohlwollend aufgenommen, erzählt Malagwi. Die Beamten hätten der African Content Moderators Union die Registrierung verweigert, stattdessen wurde sie als Mitglied der Gewerkschaft der Kommunikationsarbeiter zugelassen. „Sie glauben, dass wir ausländische Unternehmen verjagen.“
Und tatsächlich hat die Nachfolgefirma von Sama die Content Moderation nach Ghana verlegt. Aber das hält Malgwi und ihre Kolleg*innen nicht auf. Im Gegenteil, das Nigerianische Kapitel der African Content Moderators Union ist bereits gegründet. Andere sollen folgen.
Autorin: Leila van Rinsum ist Journalistin, sie lebt in Berlin und reist regelmäßig nach Kenia.
Superoutsourcing, NORDSÜD NEWS 2024, Ausgabe 3