Globale Wertschöpfungsketten
Die Wertschöpfungskette beschreibt die Entwicklung eines Produkts von der Rohstoffgewinnung bis hin zur Wiederverwertung bzw. Entsorgung. In jedem Schritt sind Arbeitnehmende aus unterschiedlichsten Professionen an der Entwicklung des Produkts beteiligt und alle sollten menschenwürdige Arbeitsbedingungen vorfinden können. Durch Outsourcing und Offshoring werden immer mehr Prozesse zur Entwicklung eines Produkts aus dem Unternehmen und/oder dem Land ausgelagert. Produkte sollen effizienter und kostengünstiger hergestellt werden, um auf dem liberalen Weltmarkt zu bestehen. Dabei werden schlechtere Arbeitsbedingungen in Ländern des globalen Südens durch multinationale aber auch mittelständische Betriebe des globalen Nordens in Kauf genommen. Es fehlt bei vielen Unternehmen das Verantwortungsgefühl für die Arbeitsbedingungen bei der Entstehung ihres Produkts.
Das bekannteste Beispiel aufgrund der kritischen Arbeitsbedingungen für globale Wertschöpfungsketten liefert die globale Bekleidungs- und Textilindustrie. Bekleidung hat eine immer kürzere Lebens- und Nutzungszeit, daher wird auch häufig der Begriff Fast Fashion gebraucht. Die Baumwolle als einer der wichtigsten Rohstoffe kommt meistens aus China, Indien, Pakistan oder den USA, der Stoff wird gefärbt, verarbeitet und genäht in Südasien. Das fertige Kleidungsstück kauft die Kundschaft im Textildiscounter im globalen Norden und landet zum Recycling in Afrika oder wieder in Südasien: Die Produktion und der Vertrieb verschiedenster Waren findet seit langem global statt.
Um Arbeiter_innen weltweit vor Ausbeutung zu schützen, ihre Gesundheit zu sichern und eine umweltschonende Umsetzung entlang der gesamten Wertschöpfungskette aller Branchen zu gewährleisten, braucht es national und international geltende Regeln und Vereinbarungen.
Globale Rahmenabkommen
Globale Gewerkschaftsverbände haben Anfang der 2000er Jahre das Instrument der globalen Rahmenabkommen eingeführt, um transnationalen Unternehmen Grenzen zu setzen. Dieses Abkommen ist eine ausgehandelte Vereinbarung zwischen transnationalem Unternehmen und einem globalen Gewerkschaftsverband (und evtl. nationalem Gewerkschaftsverband). Es beinhaltet eine unternehmens- und/oder wertschöpfungsbezogene und grenzübergreifende Vereinbarung über Mindeststandards der Arbeitsbeziehungen in dem jeweiligen Unternehmen und in den letzten Rahmenabkommen war auch die Lieferkette beinhaltet. Mittlerweile haben die globalen Gewerkschaftsverbände über 120 globale Rahmenabkommen insbesondere mit europäischen transnationalen Unternehmen verhandelt und abgeschlossen. Am relevantesten sind diese Abkommen in den Branchen, die von IndustriALL Global Union, UNI Global Union, der Bau- und Holzarbeiter Internationale (BHI) und der Internationale Union der Lebensmittel-, Landwirtschafts-, Hotel-, Restaurant-, Catering-, Tabak- und anverwandter Arbeitnehmerverbände (IUL). Die globalen Rahmenabkommen werden als ein erfolgreiches Instrument für globale Gewerkschaftsverbände gesehen, erfordern aber von ihnen ein hohes Maß an Begleitung und Unterstützung auch bei den Mitgliedsgewerkschaften in den Herkunftsländern der transnationalen Unternehmen.
Das Textilbündnis
In Deutschland hat Bundesentwicklungsminister Gerd Müller 2014 das Bündnis für nachhaltige Textilien ins Leben gerufen. Auslöser war damals unter anderem der verheerende Brand in der Textilfabrik Rana Plaza in Bangladesch 2013. Mehr als 1.100 Menschen kamen dabei ums Leben, rund 2.500 Personen wurden verletzt.
Am Textilbündnis beteiligen sich derzeit rund 130 Vertreter von Gewerkschaften, aus der Wirtschaft, von Nichtregierungsorganisationen und der Bundesregierung. Gemeinsam wollen sie soziale, ökologische und ökonomische Verbesserungen entlang der gesamten Textil-Lieferkette erreichen – von der Rohstoffproduktion bis zur Entsorgung. Grundlage sind verbindliche Zielvereinbarungen, die regelmäßig überprüft werden. Die Mitglieder der Initiative decken heute rund die Hälfte des deutschen Textilmarktes ab. Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB), die IG Metall sowie Nichtregierungsorganisation engagieren sich im Bündnis, um die Qualität der festgelegten Standards sicherzustellen.
Das Bündnis fördert zudem gute Beispiele in den Produktionsländern. Drei Bündnisinitiativen setzen hier bereits Zeichen. Die Bündnisinitiative Existenzsichernde Löhne versucht unter Einbezug der gemeinsam von Marken und IndustriALL Global Union gegründeten Initiative Action Collaboration Transformation (ACT) direkt bei den Einkaufspraktiken der Marken anzusetzen und das Konzept für existenzsichernde Löhne gemeinsam mit den Marken in Kambodscha umzusetzen.
Auch in den Niederlanden wurde ein Textilbündnis gestartet. Das Dutch Agreement on Sustainable Garment and Textiles arbeitet eng mit dem deutschen Bündnis für nachhaltige Textilien zusammen.
Nationaler Aktionsplan Wirtschaft und Menschenrechte
Im Dezember 2016 hat das Bundeskabinett den Nationalen Aktionsplan Wirtschaft und Menschenrechte verabschiedet. Damit manifestiert die Bundesregierung ihre Absicht und ihre Erwartung an Unternehmen, dass die Menschenrechte entlang der gesamten Liefer- und Wertschöpfungskette geachtet und gewahrt werden. Konkret sollen Leitlinien für Firmen und Branchen entwickelt und Wirtschaftsvertreter_innen gezielt unterstützt faire, globale Wettbewerbsbedingungen zu schaffen.
Der DGB und Nichtregierungsorganisationen beurteilten den Aktionsplan 2016 als sehr unambitioniert und setzen in ihrer Halbzeitbilanz zur Umsetzung des NAP im Dezember 2018 eine noch schlechtere Bewertung an: „Statt weiterhin auf Dialogforen und die Suche nach Konsens mit der Wirtschaft zu setzen, erwarten wir von der Bundesregierung, dass sie klare und verbindliche Vorgaben macht, die (abgestuft nach Größe und Sektor) für alle Unternehmen gelten. Diese Empfehlung richtete im Oktober 2018 auch der Sozialausschuss der Vereinten Nationen an die Bundesregierung. Auch unabhängig vom Monitoring empfahl der VN-Ausschuss der Bundesrepublik, Unternehmen gesetzlich zur menschenrechtlichen Sorgfalt zu verpflichten. Eine Umfrage unter 3.000 deutschen Unternehmen zur Umsetzung des Nationalen Aktionsplans im Oktober 2019 ergab, dass nur 20 % von 500 Unternehmen, die der Bundesregierung geantwortet haben, die sehr schwachen Anforderungen zu menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten umgesetzt haben. Die Umfrageergebnisse des Monitoringprozesses zur Umsetzung des Nationalen Aktionsplans haben die Bundesministerien für Arbeit und Soziales (BMAS) und wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) dazu veranlasst zu verkünden, dass die Ministerien gemeinsam an einem Lieferkettengesetz arbeiten werden. Die Initiative Lieferkettengesetz – ein Zusammenschluss von Gewerkschaften und Nichtregierungsorganisationen – verurteilte die Ergebnisse scharf und begrüßte die Ankündigung von BMAS und BMZ.
Der Nationale Aktionsplan reiht sich ein in eine Reihe von Maßnahmen, die helfen sollen, die Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung sozial und umweltverträglich zu gestalten. Zudem setzt die Bundesregierung mit dem Aktionsplan die Leitlinien für Wirtschaft und Menschenrechte der Vereinten Nationen um, die im Jahr 2011 einstimmig im Menschenrechtsrat beschlossen wurden.
Veröffentlicht 12 I 2019