Kampf um die Landwirtschaft: „Auf freiwilliger Basis funktioniert es nicht“
13.07.2023 I Die EU und die Mercosur Staaten, das sind Brasilien, Argentinien, Uruguay und Paraguay, wollen ein Handelsabkommen abschließen. Brasiliens Präsident Lula da Silva lehnt aber Sanktionen bei Verletzung von Menschenrecht- und Umweltstandards ab. Es gehe um Vertrauen. Für DGB-Handelsexpertin Nora Rohde reicht Vertrauen nicht.
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Nord Süd news: EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sagte unlängst, das EU-Mercosur-Abkommen befinde sich nahe der „Ziellinie“. Bei Brasiliens Präsident Luiz Inácio Lula da Silva und Argentiniens Staatschef Alberto Fernández klingt das anders. Was denken Sie?
Nora Rohde: Es gibt definitiv Nachbesserungsbedarf. Aufgrund der geopolitischen Lage wird derzeit viel über moderne Partnerschaften gesprochen. Wenn wir diese ernst meinen, muss das Abkommen verändert werden. Deshalb befinden wir uns noch nicht in der Nähe der Ziellinie.
Was heißt das für den Agrarbereich – worum geht es den Mercosur-Staaten?
Sie fürchten, eine Marktöffnung werde langfristig ihre klein- und mittelständische Landwirtschaft gefährden. Ähnliches gilt für Unternehmen in anderen Sektoren, wenn der Beschaffungsmarkt für die EU geöffnet wird. Das wird von der EU in allen Handelsabkommen gefordert Aus Sicht des DGB gibt es außerdem beim Nachhaltigkeitskapitel noch großen Bedarf für Veränderungen.
Wo hakt es?
Das Nachhaltigkeitskapitel umfasst Umwelt- und Arbeiternehmer_innenstandards, hier vor allem die ILO-Kernarbeitsnormen. Daran knüpft auch die Frage von Rechten der Indigenen und des Stopps der Entwaldung an. Zu diesem Punkt hat die EU mit der Richtlinie für entwaldungsfreie Lieferketten eine sanktionsbewährte Initiative gestartet. Allerdings umfasst das Nachhaltigkeitskapitel ja auch über die Entwaldung hinausgehende Umwelt- und Sozialstandards. Wenn Unternehmen dagegen verstoßen, würden aktuell keine Sanktionen folgen. Das ist problematisch, sowohl die EU-Kommission als auch die Bundesregierung haben sich klar zu Sanktionen bekannt.
Genau solche Sanktionen sind jedoch wunder Punkt in den Mercosur-Staaten. Lula sagte, eine Partnerschaft müsse auf Vertrauen und nicht auf Sanktionen aufgebaut sein. Können Sie seine Kritik verstehen?
Ja, ich kann das verstehen. Deshalb muss das Abkommen ausgewogen gestaltet sein. Die Standards des Abkommens sind die ILO Kernarbeitsnormen, also grundlegende Minimalstandards, auf die sich mehr als 180 Ländern geeignet haben. Mit dem Pariser Klimavertrag hat man sich international auf das gemeinsame Ziel verpflichtet, den Klimawandel aufzuhalten. Diese Verpflichtungen müssen sich auch in Handelsabkommen widerspiegeln. Und es muss gewährleistet sein, dass sich auch Unternehmen daran halten. Die jahrelange Erfahrung zeigt allerdings, dass das auf freiwilliger Basis nicht funktioniert. Es braucht die Möglichkeit von Sanktionen als letzte Eskalationsstufe, wenn alle anderen Schritte nicht funktionieren. Das heißt nicht, dass wir immer so weit gehen wollen.
In einem Positionspapier des DGB wird die Befürchtung geäußert, durch das Abkommen könnten die Mercosur-Staaten zu reinen Rohstofflieferanten verdammt werden. Wie kommen Sie darauf?
Schon jetzt ist der Handel der EU mit den Mercosur-Staaten durch den Export von Rohstoffen geprägt. Verarbeitet werden diese Produkte in der EU oder anderen Ländern. Die Wertschöpfung würde also zu einem großen Teil außerhalb des Mercosur stattfinden. Diese Tendenz würde das Abkommen durch Zollabbau et cetera weiter verschärfen. Um dem entgegenzuwirken, muss es die Möglichkeit geben, Industrie und Wertschöpfung vor Ort aufzubauen. Das Handelsabkommen steht solchen Ziele aber entgegen.
Nach heftiger Kritik hat die EU einen Zusatzvertrag für mehr Umweltschutz und Nachhaltigkeit nachgelegt. Reicht das nicht aus?
Das Problem ist, dass man nicht genau weiß, was in diesem Zusatzvertrag steht. Es gibt zwar einen Leak. Allerdings sei dieses veröffentlichte Dokument nicht auf dem aktuellen Stand, wurde uns gesagt. Und was wir in dem Leak lesen konnten, bleibt weit hinter den Erwartungen zurück, auch im Hinblick auf Sanktionen. Es ist praktisch eine Wiederholung dessen, was schon im Abkommen steht, nur in anderen Worten. Außerdem fragen wir uns, welche Verbindlichkeit das Dokument haben wird. Auch beim CETA-Abkommen mit Kanada gab es ein Zusatzprotokoll, wo eine Überarbeitung des Nachhaltigkeitskapitels mit Sanktionsmöglichkeiten verankert ist. Aber wir warten seit fünf Jahren darauf, dass es dazu kommt. Ob höhere Standards überhaupt in solchen Protokollen geregelt werden können, ist unklar.
Was wäre die Alternative? Komplett neu verhandeln?
Dass man nach zwanzig Jahren nicht komplett von vorne anfangen will, ist verständlich. Da kann ich die Skepsis der Politik durchaus nachvollziehen. Allerdings ist auch die Frage berechtigt, ob ein zwanzig Jahre altes Mandat den heutigen Bedingungen, gerade im Hinblick auf Klimawandel und geopolitischer Lage, noch gerecht wird. Deshalb sollten sich die Verhandelnden gegenseitig die Flexibilität einräumen und an einigen Punkten nachbessern, um doch noch einen ausbalancierten Text hinzubekommen, der die Interessen beider Seiten widerspiegelt.
Die Interviewte: Nora Rohde ist Referentin für internationale Handelspolitik und öffentliche Daseinsvorsorge beim Bundesvorstand des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB). Zuvor arbeitete sie zu handelspolitischen Themen in verschiedenen NROs sowie für die Heinrich-Böll-Stiftung in Washington, D.C. und Berlin zu Themen globaler Wirtschaftsgovernance.
Der Interviewer: Niklas Franzen lebt in Berlin und São Paulo und berichtet seit vielen Jahren aus und über Brasilien