Textile Ketten: Mindeststandards besiegelt
Können sich Kund_innen auf Textil-Label verlassen, weil Gewerkschaften in ihre Entwicklung eingebunden und die Kriterien zuverlässig sind? – Ein Überblick
In der Ära der Selbstregulierung schossen sie aus dem Boden: Siegel für Menschenrechte, faire Löhne, Nachhaltigkeit, Klimabilanzen oder ökologische Materialien. Es ist nicht leicht, den Durchblick zu behalten, schon gar nicht in der Textilbranche.
Es gibt private Siegel, etwa von Brancheninitiativen, wie „amfori BSCI“. Manch ein Konzern entwickelt auch einfach ein eigenes Label, zum Beispiel „Conscious“ von H&M. NRO haben welche entworfen und immer häufiger beteiligen sie sich zusammen mit Gewerkschaften und Unternehmen an Siegeln in sogenannten Multi-Stakeholder Initiativen. Ein bekanntes Beispiel ist die „Fair Wear Foundation“. Und auch der Staat vergibt Zertifizierungen, etwa den „Blauen Engel“ vom Bundesumweltministerium und Umweltbundesamt oder den „Grünen Knopf“ vom Entwicklungsministerium. Das Gegenstück auf EU-Ebene ist das „EU-Ecolabel”.
Dass das unübersichtlich ist, hat auch die Bundesregierung erkannt – und mit die Initiative „Siegelklarheit“ ins Leben gerufen. Eine Instanz, die Konsument_innen dabei unterstützen soll, „sich in der Vielzahl der Siegel, die Ihnen begegnen, zu orientieren“. Die Webseite siegelklarheit.de bietet eine guten Einstieg für alle, die den Überblick behalten wollen.
Von 34 gelisteten Siegeln wurden bislang 14 bewertet, derzeit werden die Kriterien dafür überarbeitet. Die Label erhalten Punkte für Glaubwürdigkeit, Umweltfreundlichkeit und Sozialverträglichkeit. In jedem Bereich gibt es mehrere Unterpunkte, die Antworten der Unternehmen dazu können eingesehen werden. Die Bewertung hat zwei Schwachstellen, die viele Siegel im allgemeinen auch haben: Zum einen ist die Teilnahme freiwillig und zum anderen beruht die Prüfung auf Selbstauskünften und Dokumenten, die von den geprüften Siegeln selbst stammen.
Fokus: Umwelt und Arbeit
Im Themenschwerpunkt Umwelt und Nachhaltigkeit gibt es etwa den „Blauen Engel“ und das „EU-Ecolabel“. Dagegen sind Arbeitsrechte zum Beispiel bei „Fair Wear“ und „Fairtrade“ entscheidend. Beides, also hohe Standards im Umwelt- und Arbeitsschutz, bieten etwa der „Global Organic Textile Standard“ (GOTS) und „Oeko-Tex Made in Green“.
"Blauer Engel“ steht vor allem für ordentliche Umweltstandards, „Fair Wear“ für die Einhaltung von Arbeitsrechten und "GOTS“ für beides
Einbezug von Gewerkschaften
Alle hier erwähnten Siegel fordern von den nutzenden Unternehmen, dass sie das Recht auf die Bildung von Gewerkschaften in den Zulieferbetrieben schützen. Bei „Fairtrade“ und „Fair Wear“ gehört es zum Konzept, dass Gewerkschaften eine aktive Rolle in der Durchsetzung von Standards des Labels spielen sowie in Prüfungen und Risikoanalysen. Dafür fordert „Fair Trade“ beispielsweise ein Kontrollkommitee mit Arbeitnehmervertreter_innen in Textilfabriken. Bei „Fair Wear“ entsenden Gewerkschaften zwei von fünf Mitgliedern des Leitungsgremiums. Zum Expertenrat des „Blauen Engel“ werden auch Vertreter_innen von Gewerkschaften eingeladen, um Kriterien zu überarbeiten.
Bezüglich der Formulierung von Standards, fragt Siegelklarheit, ob „es Möglichkeiten der Mitarbeit gibt für Interessengruppen, die direkt von der Einführung des Standards betroffen sind”. Diese Frage bejahen alle der oben genannten Siegel bis auf „Oeko-Tex“. Ebenso haben fast alle Siegel einen öffentlichen Beschwerdemechanismus in Bezug auf die Standardsetzung. Nur bei „Fair Wear“ kann keine Beschwerde eingereicht werden.
Auf die Frage nach der „unabhängigsten Art der Konformitätsprüfung, die der Standard erfordert”, bekommen alle hier genannten Siegel die volle Punktzahl, weil sie „Drittanbieter“ antworten und nicht etwa „Selbsteinschätzung“. Das heißt, die Überprüfung wird im besten Fall an unabhängige Prüfer _innen ausgelagert. Aber auch hier muss genau hingesehen werden. Ein häufiges Problem ist, dass Unternehmen ihre Prüfer_innen selbst bezahlen. Auch die Textilfabrik Rana Plaza wurde vor ihrem Einsturz vom TÜV Rheinland als sicher zertifiziert.
Faire Bezahlung
„Fair Wear“ ist das einzige Label, das sofort die verbindliche Zahlung eines existenzsichernden Lohnes verlangt. „Fairtrade Textile Production“ erlaubt eine Übergangsfrist von 6 Jahren und „Oeko-Tex“ empfiehlt den existenzsichernden Lohn nur. „Fair Trade Baumwolle“ hat gar keine Vorgabe dazu und fordert lediglich die Einhaltung des gesetzlichen Mindestlohns. Das „EU-Ecolabel“ verlangt von den zertifizierten Unternehmen weder die Zahlung des gesetzlichen Mindestlohns noch Vergütung von Überstunden oder bezahlten Urlaub.
Tatsächlich ist fast nirgendwo in der Textilbranche ein Existenzlohn zu bekommen. Von den 311 Textilkonzernen, die die NRO Clean Cloth Campaign regelmäßig untersucht, zahlen nur sieben Prozent einen. „Faire Löhne“ heißt bei Siegeln damit nicht „Löhne, von denen Beschäftigte auch gut leben können“, also genug zu essen haben, sich medizinische Versorgung und die Schulbildung ihrer Kinder leisten können. Sie sind aber – etwa durch Prämien wie bei „Fairtrade“ – etwas höher als der Branchenstandard.
Fazit
Die bekannten Label geben einen Anreiz, Mindeststandards etwas höher zu setzen, und schärfen bei Unternehmen sowie Konsument_innen das Bewusstsein für umwelt- und sozialverträgliche Bedingungen entlang der Lieferkette. Bei den Standards ist aber noch viel Luft nach oben, um wirklich fair zu sein.
Die Autorin: Leila van Rinsum beschäftigt sich als Journalistin in Berlin mit Internationalem Handel und Entwicklungspolitik.