Widerstand gegen britische Bergbaufirma
Ein Text unserer Partnerorganisation Repórter Brasil
07.07.2022 I Zerstörte Häuser, vertrocknete Ernten, verschmutzte Flüsse: Der britische Bergbaukonzern Brazil Iron steht im Nordosten Brasiliens massiv in der Kritik. Bewohner_innen der Quilombo-Gemeinden organisieren Widerstand.
Das Bild der Göttin Iemanjá hängt neben gekreuzigten Christusfiguren, Postern des Fußballvereins Vasco da Gama, Fotos der Enkelkinder und einem Heiligenbild. Die Lehmwände des Hauses von Leonisia Maria Ribeiro sind voller Bekenntnisse. Aber in den letzten Jahren haben sie Spuren bekommen, die selbst ihren Glauben in Frage stellen. Es sind Risse, die sich durch die Lehmziegel ziehen und Ribeiro beunruhigen: "Es fehlt nur noch, dass uns diese Bomben töten".
Bei den „Bomben“ handelt es sich um Dynamit, das die britische Bergbaugesellschaft Brazil Iron einsetzt, um Eisenerz in der höchstgelegenen Region der Chapada Diamantina abzubauen. Die Region befindet sich im Bundesstaat Bahia, im Nordosten Brasiliens. Ribeiro ist eine sogenannte Hexendoktorin in der Quilombo-Gemeinde Bocaina in der Nähe des Unternehmens.
Quilombos - Orte des Widerstandes
Quilombos sind selbstverwaltete Siedlungen Schwarzer Brasilianer_innen. Während der Kolonialzeit wurde sie als Territorien gegründet, in denen sich geflohene Sklav_innen niederließen und ihre Kultur bewahren konnten. Legendär ist der Widerstand von Zumbi dos Palmares. Der Sohn afrikanischer Sklav_innen führte die Quilombo Palmares im Nordosten Brasiliens an. Mehrfach wehrte er Angriffe der Kolonialarmee ab, bis er im Jahr 1695 hingerichtet wurde. Bis heute gibt es Quilombos in ganz Brasilien und bis heute sind sie ein Synonym für den schwarzen Widerstand.
Die Auswirkungen der Explosionen zeichnen sich als Narben an den Wänden von Pires' Haus ab. "Diese Bomben erschüttern das ganze Haus. Manchmal sehe ich es erzittern. Ich habe Angst, dass es einstürzen wird. Ich stelle mir oft vor, dass ich schlafe und das Haus irgendwann endgültig zusammenbricht.“
Wochen, nachdem das Team von Repórter Brasil Ribeiro interviewt hatte, kontrollierte das Institut für Umwelt und Wasserressourcen (Inema), die Umweltbehörde der Landesregierung Bahias, die Anlagen des Bergbauunternehmens und beschloss ein vorübergehendes Verbot der Aktivitäten. Das Verbot ist seit dem 26. April in Kraft und wurde mit mindestens 15 Unregelmäßigkeiten begründet. Unter anderem damit, dass das Unternehmen keine Mittel für die Sanierung der zerstörten Häuser zur Verfügung stellte.
Risse an der Wand
Ribeiro betet voller Leidenschaft. Während sie die Risse an der Wand zeigt, erinnert sie sich an die Vergangenheit. Früher lief sie kilometerweit über die unbefestigten Straßen, um an den Wochenenden an religiösen Festen teilzunehmen. Die 76-Jährige schließt die Augen, runzelt die Stirn und stimmte das Lied an, das früher immer bei Segnungen gesungen wurde: "Komm, komm, komm, Heiliger Geist".
Ein paar Kilometer weiter spielt Ana Joana Bibiana Silva, 81 Jahre alt, auf einer Matraca und singt ein Lied in Vorbereitung auf die Karwoche. Das Wohnzimmer ihres Hauses ist mit bunten Bändern geschmückt, die von der Decke herabhängen und die rote Wand zieren. Es sind Überbleibsel der letzten "folia de reis" (Volksfest, Anm. d. Ü.), als sie die Bewohner_innen der Gemeinde in ihrem Haus empfing.
Die beiden Quilombo-Gemeinden feierten das vorübergehende Verbot der Bergbautätigkeiten. Nach Ansicht des Kollektivs der Anwohner_innnen, SOS Bocaina und SOS Mocó, hätte das Verbot allerdings schon früher ausgesprochen werden müssen, da das Bergbauunternehmen ohne die erforderlichen Umweltgenehmigungen tätig war.
Neben dem Kampf der beiden Gemeinschaften hat eine weitere Episode die Aufmerksamkeit auf das Bergbauunternehmen Brazil Iron gelenkt. Am 28. März begab sich das Team von Repórter Brasil zum Hauptsitz des Unternehmens im Zentrum von Piatã, um ein Gespräch mit einem Vertreter des Unternehmens zu führen. Statt eine Antwort zu geben, rief der Logistikmanager von Brazil Iron die Polizei. Der Vorfall löste Proteste verschiedener Organisationen aus, darunter der Brasilianischen Vereinigung für Investigativen Journalismus (Abraji) und des Komitees zum Schutz von Journalisten (CPJ).
Behörde greift durch
Rückfragen über die Geschichte der Verstöße von Brazil Iron beantwortete Inema nicht sofort. Die Behörde beschloss, ein Team zu entsenden, um das Unternehmen zu kontrollieren. Wochen später teilte Inema mit, dass sie den Betrieb des Bergbauunternehmens verboten hatte. Die Behörde listet 15 Verstöße auf, darunter das Fehlen von Studien zur Ablagerung von Bergbauabfällen, wodurch Quellen und Flüsse gefährdet sind. Außerdem werden fehlende Mittel für die Reparatur von 18 durch Explosionen beschädigte Häuser bemängelt.
Brazil Iron schätzt den Verlust durch den vorübergehend stillgelegten Betrieb auf umgerechnet rund 36.000 Euro pro Tag. Die Verluste insgesamt belaufen sich auf umgerechnet rund 800.000 Euro. In einer Erklärung schrieb das Bergbauunternehmen, es habe das Verbot "mit großer Überraschung und Enttäuschung" zur Kenntnis genommen. Es bestritt, Verstöße begangen zu haben. Außerdem erklärte das Unternehmen, die Maßnahme habe bei Familien, die von der Beschäftigung im Bergbauunternehmen abhängig sind, "Angst und Unsicherheit" ausgelöst.
Das Bergbauunternehmen ist die brasilianische Tochtergesellschaft der britischen Holdinggesellschaft Brazil Iron Trading Limited. Das Unternehmen wurde 2011 nach dem Erwerb von Schürfrechten in der Chapada Diamantina gegründet. Das Unternehmen hat 25 Anträge auf Mineralienforschung bei der Nationalen Bergbaubehörde (ANM) eingereicht. Vor dem Verbot hatte das Unternehmen eine Genehmigung zur Förderung von 600.000 Tonnen Erz pro Jahr, die sich noch in der Forschungs- und Explorationsphase befand.
Sollte es jedoch gelingen, den Betrieb wieder aufzunehmen, gibt es bereits ehrgeizige Pläne. Das Unternehmen will auf dem Gelände eine Pelletieranlage (erste Eisenverarbeitung) errichten, die 10 Millionen Tonnen pro Jahr produzieren soll. Darüber hinaus ist der Bau einer Eisenbahnlinie zur Küste Bahias für den Export des Erzes geplant.
Das Unternehmen plant Investitionen in Höhe von umgerechnet rund 900 Millionen Euro, die nach Angaben des Pressebüros etwa 25.000 direkte und indirekte Arbeitsplätze schaffen werden. Derzeit beschäftigt Brazil Iron 500 Mitarbeiter_innen und schätzt, dass das Unternehmen insgesamt 2,5 Tausend indirekte Arbeitsplätze schafft.
„Für uns ist die Quelle unbezahlbar“
Repórter Brasil konfrontierte die Bergbaufirma nicht nur mit den durch die Explosionen verursachten Risse in den Wänden, sondern auch mit anderen Beschwerden der Anwohner_innen. Dazu gehört die Verseuchung der Bebedouro-Quelle. Der Ort erhielt seinen Namen, weil es sich um eine Quelle handelt, an der die Bewohner_innen früher in Trockenzeiten klares Wasser zum Trinken fanden.
"Sie [Brazil Iron] begannen oben auf dem Hügel mit dem Abbau, und der Erzabfall floss in die Quelle", sagte die Quilombo-Bewohnerin Catarina Silva. Sie begleitete Repórter Brasil zur Quelle, um die Auswirkungen der durch den Bergbau verursachten Verschmutzung zu zeigen.
Silva erinnert sich, dass das Wasser vorher kristallklar war. Egal, wie viel es regnete, der geschützte Wald auf der Spitze des Hügels habe verhindert, dass die Wassergrube durch das ablaufende Wasser verschmutzt wurde. "Für das Unternehmen ist das Erz wertvoll, aber für uns ist die Quelle unbezahlbar. Das ist unser ganzes Leben", beklagt Silva.
Das Bergbauunternehmen hat auch den Damm beschädigt, der die beiden Gemeinden versorgt. Der oberhalb von Cachoeira do Veado gelegene Stausee wurde verseucht, nachdem vor zwei Jahren ein mit Erz beladener Lastwagen auf der Straße umgestürzt war. Auch nach der Wasseraufbereitung zieht es der Quilombo-Bewohner Bráulio Silva vor, kein Risiko einzugehen. Alle zwei Wochen reitet er auf einem Esel los, um sein Trinkwasser von einer anderen Quelle zu holen. Er meint: "Das Wasser aus dem Damm ist immer noch schlecht.“
Erschwerend kommt hinzu, dass die Chapada Diamantina das Wasserreservoir von ganz Bahia ist. Das erklärt Marjorie Csëko Nolasco, Geologin und Professorin der Staatlichen Universität von Feira de Santana. Die zentrale Region der Chapada, in der sich Brazil Iron befindet, ist reich an Quellen, die drei Becken speisen: die Flüsse Contas, Paraguaçu und Paramirim - einer der Arme des São Francisco. "All diese Flüsse fließen durch trockene Regionen und das Wasser begünstigt die gesamte semiaride Region Bahias. Deshalb sollte dies ein Kulturerbe sein", sagt die Wissenschaftlerin.
In einer Erklärung teilte Brazil Iron mit, ein Unternehmen mit der Analyse der Wasserqualität zu beauftragen. Die Firma bestritt aber, für die Risse verantwortlich zu sein. Trotz dieser Aussage erklärte das Unternehmen, dass sie "als Beweis ihres guten Willens und ihrer Sorge um die örtliche Bevölkerung bereits Fachleute für die Durchführung von Reparaturen an den Häusern beauftragt hat".
Heimat wird Industriegebiet
In den beiden Quilombo-Gemeinden leben zusammen 150 Familien. Bocaina ist mit 100 Familien etwas größer. Mocó, in der Nähe des Minenbetriebs, leidet besonders unter dem Staub der Arbeiten. "Die Kaffeebäume begannen zu vertrocknen und starben", beklagt Irani Oliveira Costa.
Als Einwohnerin von Mocó hat Costa eine geteilte Meinung über das Bergbauunternehmen. Einerseits ist sie froh, dass das Unternehmen ihren Sohn und einige Verwandte eingestellt hat, andererseits beschwert sie sich über den Staub.
"Unsere Heimat ist ein Industriegebiet geworden. Es ist nicht mehr so bewohnbar wie früher", sagt Solange Costa, die Tochter von Costa, die in der Gemeinde Urlaub machte. Sie lebt an der Küste von São Paulo und vergleicht Mocó mit Cubatão im Bundesstaat São Paulo, das über viele Jahre die am stärksten verschmutzte Stadt der Welt war.
"Die Menschen sind zwar glücklich, weil sie Arbeit haben, aber es ist sehr schwierig, dort zu leben", sagt sie. Als Kind spielte Solange zwischen den Kaffee-, Mango- und Orangenbäumen auf dem Grundstück ihrer Großmutter. Heute sind die Ernten wegen des Erzstaubs abgestorben.
In einer Stellungnahme erklärte Brazil Iron, mit dem Einsatz von sechs Wassertrucks zu versuchen, den Staub zu reduzieren und dass andere Maßnahmen umgesetzt würden. Die Firma teilte auch mit, dass sie einen Überwachungsausschuss eingesetzt habe und plane, eine Versammlung mit den betroffenen Gemeinden zu organisieren, um eine Kommission zur Überwachung des Projekts (CAE) zu gründen.
Allerdings lehnten 14 Organisationen, darunter die Pastorale Landkommission und die Bewegungen SOS Bocaina und SOS Mocó, in einer öffentlichen Erklärung ihre Teilnahme ab. Sie verweisen auf die mangelnde Transparenz des Unternehmens bzw. Projekts. In der Erklärung heißt es: "Es gibt zum Beispiel keine Informationen darüber, auf welches Unternehmen sich dieser CAE bezieht".
Modell für eine andere Gesellschaft?
"Wenn die Gesellschaft als Ganzes, einschließlich der Unternehmen, wie zum Beispiel der Bergbauunternehmen, in einer zunehmend räuberischen Art und Weise lebt, die den Planeten an den Rand des Zusammenbruchs bringt, dann haben die traditionellen Gemeinschaften das Wissen, das sie mit allen teilen können, um auf eine gerechtere Weise mit ihrer Umgebung zu leben", sagt der Schriftsteller Itamar Vieira Júnior.
Der Autor erklärt, dass die Quilombo-Gemeinschaften über das Wissen ihrer Vorfahren und über einen Werdegang verfügen, der mit der Fähigkeit zum Widerstand verbunden ist. "Seit Jahrhunderten an den Rand gedrängt und unsichtbar, haben sie eine nachhaltige Beziehung zu der Umwelt aufgebaut, in der sie leben", unterstreicht er.
Für Vieira Júnior hat der brasilianische Staat die rückständige entwicklungspolitische Vision nicht überwunden, die nicht mehr in die heutige Zeit passe: "Es scheint wie ein Hirngespinst, aber es genügt, die Karten der Quilombo-Gemeinschaften und der Erhaltung der Umwelt übereinander zu legen, um die direkte Beziehung zwischen beiden zu verstehen.“
Während Brazil Iron Anwält_innen und Ingenieur_innen beauftragt, um die von der Umweltbehörde in Bahia auferlegten Bedingungen für die Wiederaufnahme des Bergbaus zu erfüllen, halten die Einwohner_innen der Quilombos an ihrem Glauben fest und wehren sich, um ihre Lebensweise zu bewahren.
Autoren: Daniel Camargos aus Piatã (Bahia)
Übersetzung/Redaktion: Niklas Franzen
Es handelt sich um eine kontextualisierte, leicht gekürzte Übersetzung mit zusätzlichen, erklärenden Informationen. Eingeschobene Absätze sind von der Redaktion erstellt. Der Originaltext erschien am 18.05.2022.