Aus den Projekten: 12 Stunden Schichten in nasskalter Umgebung
31.08.2023 I Frauen, die in Fabriken Meeresfrüchte verarbeiten, erleiden häufig Schnittverletzungen und Hautinfektionen. Sie haben regelmäßig Fieber, sind oft Belästigungen ausgesetzt. Ashmita Sharm kämpft mit der Nichtregierungsorganisation Society for Labour Development (SLD) dagegen und fordert „ein globales Netzwerk der Solidarität“.
Nord Süd news: Ashmita Sharma, die Meeresfrüchteindustrie wächst sehr stark, weil der Konsum weltweit zunimmt. Der größte Teil der Produkte wird in Afrika und Asien beschafft und verarbeitet. Während Männer hauptsächlich in der Fischerei und Fischzucht arbeiten, wird der Verarbeitungssektor von Frauen dominiert. Wie ist deren Lage?
Ashmita Sharma: Die Arbeitsbedingungen in den Fabriken sind prekär. Die Löhne sind extrem niedrig – nicht genug, um ein menschenwürdiges Leben zu ermöglichen. Arbeiterinnen haben kein direktes Beschäftigungsverhältnis mit den Fabriken, in denen sie arbeiten, und sind daher vom Arbeitsrechtsschutz ausgeschlossen. Sie werden von Personalvermittlern, sogenannten Contractors, rekrutiert, die aus demselben Dorf stammen wie sie. Frauen arbeiten in der Regel 12 Stunden pro Tag in Schichten von 9 bis 21 Uhr, auch Samstag und Sonntag. Sie haben im Monat zwei bis drei Tage frei, es ist nicht festgelegt, wann das ist. Es gab auch Fälle, in denen Arbeitnehmerinnen verpflichtet waren, bis 2 Uhr morgens zu arbeiten. Dabei sind Schichten, die bis in die Nacht reichen, meist für Wanderarbeiterinnen vorgesehen. Diese Beschäftigten sind einem höheren Risiko geschlechtsspezifischer Gewalt ausgesetzt.
Wie sind die Bedingungen am Arbeitsplatz?
Die Risiken für die Gesundheit am Arbeitsplatz sind hoch, die Arbeitssicherheit in den Verarbeitungsbetrieben ist unzureichend. Beispielsweise müssen Arbeitnehmerinnen bei sehr niedrigen Temperaturen von bis zu 10 Grad Celsius arbeiten. Aufgrund unzureichender Sicherheitsausrüstung erleiden Arbeiterinnen häufig Schnittverletzungen und Hautinfektionen. Sie haben regelmäßig Fieber oder leiden unter Kopfschmerzen, Augenentzündungen oder Atemproblemen. Darüber hinaus entstehen starke Schmerzen im unteren Rücken durch stundenlange, sich wiederholende Arbeit in nasser und kalter Umgebung.
Gibt es geschlechtsspezifische Herausforderungen? Sie sprachen von geschlechtsspezifischer Gewalt.
Es besteht auch die Gefahr geschlechtsspezifischer Gewalt und Belästigung in den Fabriken. Die Vorgesetzten in den Fabriken sind überwiegend männlich. Es gibt Muster von körperlicher und geistiger Verletzung, von sexueller Belästigung, Nötigungen, Drohungen oder Freiheitsberaubung. Frauen werden keine angemessenen Pausen eingeräumt, um auf die Toilette zu gehen.
Mit was für einem Projekt will Ihre Organisation SLD jetzt gegensteuern?
Es geht darum, Arbeiterinnen in der Fischverarbeitungsindustrie zu organisieren und ihre Führungsqualitäten auszubauen und zu stärken. Verarbeitungsbetriebe müssen die Kosten für existenzsichernde Löhne, Acht-Stunden-Arbeitsschichten, angemessene Gesundheits- und Sicherheitsmaßnahmen und soziale Sicherheit in die Kosten für Meeresfrüchteprodukte einbeziehen, was wiederum die Arbeits- und Lebensbedingungen der Beschäftigten verbessern wird. Damit eines dieser Ziele erreicht werden kann, ist es sehr wichtig, dass Arbeiterinnen zusammenkommen und ihre Stimme gegen Arbeitsrechtsverletzungen am Arbeitsplatz erheben.
Wie gehen Sie vor?
Auf der Mikroebene zielt das Projekt darauf ab, Arbeiterinnen die Möglichkeit zu geben, auf Fabrikebene in der Meeresfrüchteverarbeitungsindustrie von Veraval, Gujarat, vertreten zu werden. Auf der Makroebene wollen wir gemeinsam mit anderen interessierten Organisationen einen gemeinsamen Rahmen für die Interessenvertretung entwickeln. Ziel ist es, durch Lobbyarbeit auf Branchenebene menschenwürdige Arbeitsplätze für Abnehmer_innen in der Fischverarbeitungsindustrie zu schaffen.
Welchen Einfluss haben die Abnehmer der Meeresfrüchte?
Internationale Käufer_innen tragen ein hohes Maß an Verantwortung und sollten dafür Rechenschaft ablegen. Die Einkaufspraktiken wirken sich auf Lieferanten aus, und das wiederum wirkt sich auf die Beschäftigten aus. Wenn Lieferant_innen eine stabile Geschäftsbeziehung zu ihren Abnehmer_innen haben, führt dies insgesamt zu besseren Arbeitsbedingungen. Das Machtungleich zwischen Käufer- und Zulieferbetrieben wurde während der Covid-19-Pandemie und des in Indien verhängten Lockdowns deutlich. Beschäftigte litten stark darunter, dass sie ihren Arbeitsplatz verloren, nachdem Markenfirmen Bestellungen storniert hatten. Auch bei den Zulieferern drohte große Unsicherheit. Es ist sehr wichtig, dass wir die Vernetzung in der globalen Wertschöpfungskette bewerten und uns nicht nur auf bestimmte Teile davon konzentrieren.
Was ist mit anderen Beteiligten wie Gewerkschaften und NGOs?
Der Appell an sie ist, ein globales Netzwerk der Solidarität aufzubauen, um die Arbeitsnormen durch die Gewährleistung menschenwürdiger Arbeit in der globalen Lieferkette zu verbessern.
Die Interviewte:
Ashmita Sharma ist
Geschäftsführerin der in Delhi ansässigen NGO Society for Labor and Development (SLD), die sich für Arbeits- und Frauenrechte einsetzt
Die Interviewerin:
Anja Krüger ist Journalistin und lebt in Berlin.