Landrechte: Keine Ernte ohne Frauen
18.12.2023 I Traditionell hatten in vielen Staaten nur Männer das Recht, Land zu besitzen. Das zu ändern, ist eine zentrale Frage – nicht nur um Gleichberechtigung herzustellen, sondern auch um die Armut zu bekämpfen. Rein gesetzliche Änderungen allein werden aber nicht helfen.
Ohne Frauen, die auf dem afrikanischen Kontinent Gemüse anbauen, bewässern und ernten, würden unzählige Marktstände und Kochtöpfe leer bleiben. Davon ist Esther Mwaura-Muiru überzeugt. „Mehr als 80 Prozent der Frauen arbeiten in der landwirtschaftlichen Produktion“, sagt die Kenianerin. Doch kaum eine besitzt auch den Acker, auf dem sie Maniok, Tomaten, Zwiebeln und Okras anbaut. In zahlreichen Ländern gehören weniger als zehn Prozent der Anbauflächen Frauen. Genaue Zahlen liegen nicht vor, weil es vielerorts keine Kataster gibt. Die globale Kampagne „Stand for her Land“ kämpft dafür, dass Frauen Landbesitzerinnen werden. Mwaura-Muiru ist deren Direktorin für globale Interessenvertretung.
Gleichberechtigung in allen Aspekten rund um Land ist das Ziel, denn nur so können nachhaltige Entwicklung und die Agenda 2030 erreicht werden, sagt die Aktivistin. Wenn Frauen Land „besitzen, managen und kontrollieren“, verbessere sich nicht nur ihre persönliche wirtschaftliche Situation. „Auswirkungen sind auch auf nationaler Ebene sichtbar“, sagt Mwaura Muiru. Wer Land besitzt, kann effektiver investieren, etwa in Bewässerungssysteme, was zu einer Produktionssteigerung führt. Damit verbessert sich die Ernährungssituation ganzer Familien. Überschüsse können verkauft werden. Das Geld lässt sich wiederum in Gesundheitsvorsorge und Bildung investieren. Das stärkt die gesellschaftliche Stellung von Frauen.
„Wenn Frauen Land besitzen, wissen sie auch, wohin sie gehören“, erklärt die Aktivistin. Genau das war im Jahr 2000 auch der Grund, warum sie anfing, sich mit Landfragen zu beschäftigen. „HIV-Infektionen hatten in Kenia ihren Höhepunkt erreicht. Wir erlebten, dass Witwen und Waisen deshalb von ihren Wohnorten verjagt wurden. Sie hatten weder eine Unterkunft noch ausreichend Nahrungsmittel.“ Mwaura-Muiru befand: Das darf nie wieder passieren.
In zahlreichen Gesellschaften werden Ländereien nur an die Söhne vererbt, weil die Töchter durch Heirat eine neue Familie bekommen – so der traditionelle Gedanke. Stirbt der Mann, geht der Besitz oft an seine Brüder über und kommt damit „zurück zur Familie“. Witwen und Kinder des Verstorbenen werden teilweise sogar aus gemeinsam gebauten Häusern vertrieben.
Auf dem Papier regeln bereits seit mehreren Jahren nationale Gesetze die Landrechte neu, etwa in Sierra Leone. Dort können landesweit Frauen heute ebenso wie Männer Besitzer_innen sein. An rechtlichen Änderungen würde es nicht mangeln, sagt Mwaura-Muiru. „Wir haben wundervolle Gesetze. Doch die müssen ebenso wie globale Standards umgesetzt werden.“ Auch dafür setzt sich die Kampagne ein. Weltweit will sie Aufmerksamkeit herstellen und ein Netzwerk aufbauen. In den einzelnen Ländern kämpfen Frauen auf lokaler Ebene für eine Verbesserung und üben so Druck auf ihre Regierungen aus.
Auch Ghana hat 2020 ein neues Landgesetz verabschiedet. Das bisherige Gewohnheitsrecht hatte Frauen in den meisten Regionen vom Landbesitz ausgeschlossen. Zu den Änderungen gehört nun, dass beide Ehepartner als Eigentümer eingetragen werden, wenn sie Flächen während ihrer Ehe gemeinsam erwerben. Trotzdem stehen Frauen, die in der Landwirtschaft arbeiten, vor zahlreichen Schwierigkeiten, sagt Freda Frimpong, Gewerkschaftssekretärin des ghanaischen Gewerkschaftskongresses (TUC) im Großraum Accra. „In ländlichen Regionen ist die Armutsrate sehr hoch.“ Maschinen, die die Arbeit erleichtern, können sich viele nicht leisten. Zuschüsse aus staatlichen Programmen erhalten eher Männer. Die Folgen davon, dass Frauen bisher kaum Land besessen haben, werden noch lange sichtbar sein. „Für Gewerkschaften ist das ein zentrales Thema.“
Bashiratu Kamal, Gleichstellungsbeauftragte in der ghanaischen Gewerkschaft für landwirtschaftliche Arbeiter_innen (GAWU), organisiert deshalb Treffen mit Politiker_innen und traditionellen Herrschern. Frauen dürfen auf den Feldern nicht nur Hilfsarbeiterinnen sein, fordert die Gewerkschafterin und betont: „Es geht um Kontrolle und Eigentum von Land.“ Zugang zu Anbauflächen haben viele Frauen zwar. „Felder können ihnen aber schnell und ohne Vorankündigung von der Familie weggenommen werden.“ Die Unsicherheit ist groß.
Die Änderung von Besitzverhältnissen ist für Bashiratu Kamal allerdings nur der erste Schritt. „Frauen brauchen Kapital und Kredite, um Äcker überhaupt bestellen zu können. Sie müssen in der Lage sein, einen Traktor zu mieten, einen Pflug zu kaufen. Auch brauchen sie Zugang zu Märkten.“ Erst dann ändere sich der Arbeitsalltag von Frauen in der Landwirtschaft nachhaltig und „Armut wird tatsächlich bekämpft“.
Autorin: Katrin Gänsler lebt in Nigeria und Benin und berichtet über ganz Westafrika.